Er hatte Roxana nie merken lassen, dass er von der Haft ihrer Eltern wusste. Sie hatte ihm nur gesagt, ihre Eltern lebten in Arequipa. Ihr Bruder arbeitete inzwischen in der Landwirtschaftsgenossenschaft, in der er nach der Verhaftung der Eltern großgezogen worden war.
Garcia war sicher, dass Roxana ihn mit größter Freundlichkeit behandeln würde, sobald er wieder bei ihr auftauchte.
Im Büro sagte seine Sekretärin, Señorita Roxana habe kurz nach seinem Weggang angerufen, um zu sagen, dass sie später käme.
"Ja ja," antwortete Garcia, und winkte belästigt ab.
Er überprüfte seine Geräte und lauschte interessiert dem Anruf aus dem Fischereiministerium mit Kinzels Büro.
Er überlegte.
Fernandez Schwägerin hatte ein Gespräch zwischen Fernandez und Minister Bustamante arrangiert.
Bustamante hatte Fernandez heute in aller Frühe getroffen.
Am selben Abend wollte Bustamante Graf und Kinzel in seinem Büro empfangen.
Wieso hatte dann Walter Fernandez nicht Kinzel und Graf darüber unterrichtet? Oder hatte er?
Garcia überprüfte die Telefonate aus Fernandez Wohnung. Fernandez hatte von dort aus nicht angerufen, weder in Kinzels Büro noch bei Kinzel zuhause.
Er spulte das Band mit allen Telefonaten zu und aus Kinzels Büro nochmal ab. Walter Fernandez hatte sich dort nicht gemeldet, das stand fest. Bei Kinzel zuhause war nur ein Anruf eingegangen, aber der kam von einer deutschsprachigen Freundin Karin Kinzels.
Oberst Garcia überspielte das Telefonat aus dem Fischereiministerium auf seinen Datenträger und löschte dann die Originalbänder vollständig.
Er wollte rechtzeitig bei Walter Fernandez´ Wohnung sein, um zu sehen, wer der Gast sein würde, den Graf und Kinzel dort treffen wollten.
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Enrique Pato war gemächlich an dem Haus vorbeigeschlendert, in dem die gutaussehende Frau verschwunden war, die mit Graf die Nacht verbracht hatte. Er bildete sich ein, erregte Stimmen gehört zu haben. Er ging bis zur Straßenecke, um ebenso gemächlich zu seinem Auto zurück zu schlendern.
Er bat seinen Fahrer, noch nicht zu starten. Im Spiegel hielt er das Haus im Auge. Nach wenigen Minuten verließ ein Mann das Haus, stieg in einen weißen Toyota und fuhr an ihnen vorbei. Pato glaubte, den Mann schon mal gesehen zu haben.
Erst nachdem der Toyota um die nächste Ecke gebogen war, fuhr auch Patos Wagen an. Der Toyota bog nach weiteren drei Straßenblocks nach rechts auf die Avenida Arequipa. Pato pfiff, als er über Telefon die Daten für den weißen Toyota bekam: Das Fahrzeug war als Dienstwagen zugeteilt auf Oberst Carlos Garcia Alvarez, der wiederum einer Dienststelle zugeordnet war, deren Bezeichnung Pato sofort als Institution des Geheimdienstes erkannte, IM 3, Inteligencia Militar. Jetzt fiel Pato ein, von wo er den Mann wiedererkannt hatte: Der war gestern am Flughafen gewesen und hatte in der Schar der Abholer gestanden, als Graf ankam!
Nach ungefähr 15 Blocks bog der Wagen nach links ab und hielt an, um am Ende des Grünstreifens den Gegenverkehr abzuwarten. Patos Wagen stand genau hinter ihm. Sobald sich eine Lücke im Gegenverkehr auftat, fuhren beide Fahrzeuge an und überquerten die Gegenfahrbahn. Sie waren in einer Gegend, in der eine Reihe ausländischer Botschaften ihre Residenzen hatten, in der Ärzte praktizierten, und in der sich zwischen Wohnhäusern auch etliche mehrstöckige Bürogebäude befanden. Nach weiteren zwei Blocks bog der Toyota in eine Einfahrt, zu der sich ein bewachter Schlagbaum öffnete und die auf einen mit Bastmatten überdachten Parkplatz führte. Enrique Pato kannte sowohl diesen Parkplatz als auch das danebenstehende Gebäude. Er war selbst einige Male hier gewesen, wenn er mit dem Geheimdienst der Streitkräfte zu tun gehabt hatte.
Pato wies seinen Fahrer an, zum eigenen Büro zurückzukehren, das sie nach wenigen Minuten erreichten. Als erstes rief er die Daten der Halterin des Volkswagens auf. Dass Roxana Torreblanca für das Verteidigungsministerium arbeitete, wusste er bereits. Was Enrique Pato aber einen Pfiff ausstoßen ließ, war, dass die Eltern von Señorita Torreblanca, verurteilt wegen Drogenhandels, in einem Gefängnis in Arequipa saßen. Er war erfahren genug, um zu wissen, was diese Formulierung tatsächlich bedeutete.
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Enrique Pato rief einen Freund an, der in eben dem Gebäude arbeitete, in dem Garcia vorhin verschwunden war, und bat ihn zu überprüfen, ob die mit Deutschland befasste Abteilung sich zur Zeit mit einer besonderen Überprüfung der peruanischen Vertretung der Deutschen Rhein-Ruhr-Stahl beschäftigte.
Die Antwort, die er nach wenigen Minuten erhielt, überraschte ihn:
"Enrique, ich habe unsere Computer abgefragt. Wenn es eine Besonderheit gäbe, müsste das vermerkt sein. Es ist aber nichts vermerkt. Möchtest du, dass ich den Abteilungsleiter frage? Das ist ein Oberst Carlos Garcia Alvarez."
„Vielen Dank, das ist nicht nötig," antwortete Pato.
Er suchte mit seinem Computer die Datei von Kinzel und prüfte, ob diese in den letzten Tagen von einer anderen Stelle abgefragt worden war. Die Antwort war negativ.
Bei der Datei von Walter Fernandez wurde er fündig. Innerhalb seiner eigenen Organisation hatte es in der vergangenen Woche zwei Zugriffe auf Fernandez´ Datei gegeben. Der andere Abfragende war ein Pato unbekannter Leon Pilato aus dem Antidrogenbereich. Er beschloss, Pilato nicht nach dem Warum zu fragen.
Enrique Pato wusste, dass sich die verschiedenen Behörden mit Informationen gegenseitig unterstützten.
Dennoch, jetzt hatte Enrique Pato wirklich etwas zu grübeln.
In weitere Verwirrung stürzte ihn das Telefonat aus dem Fischereiministerium an das Büro Kinzels.
Er hoffte, dass das Abhören des Treffens in Fernandez´ Wohnung heute Mittag ihm weitere Aufschlüsse geben würde.
Es war jetzt an der Zeit, nach Miraflores in das Apartment zu fahren.
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Nachdem Garcia weg war, fuhr Roxana zum Einkaufszentrum von San Isidro. Dort ging sie in einen Eisenwarenladen, wo sie gegenüber dem Inhaber ihre ganze Überredungskunst aufwenden musste, sofort das Schloss an ihrer Haustür auszutauschen. Außerdem ließ sie innen eine Sicherheitskette anbringen. Sie sah dem Mechaniker bei seiner Arbeit zu, überprüfte anschließend die Festigkeit der Kette und gab ihm ein Trinkgeld.
Sie verschloss das Haus, ging in ihr Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Sie wimmerte wie ein verletztes Tier.
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Walter und Liliana begrüßten Graf und Kinzel mit großer Herzlichkeit.
Graf schaute sich um.
Walter lebte in einer geräumigen Wohnung, von der aus man einen herrlichen Blick auf die Strände von Miraflores hatte. Im Norden sah man die Insel San Lorenzo vor der Hafenstadt Callao im feinen Dunst der Gischt der sich brechenden Wellen des tiefblauen Pazifischen Ozeans.
Graf schätze, dass die Wohnung über mindestens 400 Quadratmeter verfügte, eher mehr. Allein das Wohnzimmer hatte eine bis zum Boden reichende Fensterfront von sicherlich fünfzehn Metern Länge zur Terrasse hin.
Die Einrichtung war geschmackvoll, mit überwiegend hellen Möbeln und Teppichen und mit Ölgemälden offenbar zeitgenössischer peruanischer Künstler.
Vom Wohnraum aus sah Graf durch zwei weit geöffnete Schiebetüren in ein Esszimmer, an dessen Tisch insgesamt zwölf Stühle standen. Auch das Esszimmer hatte eine Fensterfront zur Terrasse hin. Über sämtlichen Fenstern waren gelb-weiß gestreifte Markisen herabgelassen, die verhinderten, dass sich die Räume bei der intensiven Sonneneinstrahlung zu sehr aufheizten.
Auf der Terrasse standen, im Schatten der Markisen, voluminöse Sitzmöbel aus naturbelassenem Korbgeflecht mit dicken Polstern, deren Bezüge ebenfalls gelb-weiß gestreift waren. Es gab ferner mehrere Liegestühle mit bequem aussehenden Kissen im gleichen Bezug.