TANZFLUR MASTER. Mave O'Rick. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mave O'Rick
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738044638
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die Wirkung in all ihrer halluzinogenen Schizophrenie eingesetzt hatte, war in meinem Leben nichts mehr wie zuvor. Die Tanzfläche wurde zum Tanzflur, der Beton unter meinen Füßen wurde zu einem warmen, hüfthohen, hellblauen Meer wie an der Südküste Menorcas, die Wellen, die mich bis zu den Eiern sanft umspülten, ließen mich leicht nach vorne und hinten wanken, sicherten mir aber zu jeder Zeit einen unumstößlichen Halt im Wasser; ich genoss es, unbemerkt ins Meer zu pissen und fühlte mich frei.

      Vor mir saßen Fische an der Bar, tranken Cocktails und aßen panierte Walfilets, der Barkeeper war ein Haifisch in Dolce-&-Gabbana-Anzug und Anglermütze. Die Stimmung war grandios. Um den Tanzflur herum saßen Schach spielende Schäferhunde, die ein Turnier ausrichteten, einer davon hatte einen viel zu großen orangenen Jack Russell Terrier als Haustier dabei, was ich sehr merkwürdig fand, da Hunde im Club eigentlich schon immer verboten waren. Nichts konnte mir die Stimmung verhageln, die Laser im Club wurden zu essbaren Neonschnüren, die ihre Konsistenz ständig wechselten und sich der Situation anpassten.

      Boritz schwamm auf mich zu, um sich für immer zu verabschieden. Er habe gerade mit zwei Bewohnern der Venus ausgemacht, als Pornostar auf dem Merkur Karriere zu machen, und der Flieger ginge in knapp fünf Minuten von der dritten Toilettenkabine im Frauenklo aus über das transgalaktische Einwohnermeldeamt auf der Venus, mit Weiterflug zum Merkur. Ich wünschte ihm einen guten Flug und versprach ihm, ihn bald zu besuchen.

      Ich schaute Boris ein letztes Mal an und bemerkte, wie sich sein sehr deutsches Gesicht zusehends veränderte. Wie durch ein Powerlifting verursacht, verzogen sich seine großen blauen Augen zu fast schwarzen, kleinen Schlitzaugen, seine blond gefärbten Haare im Undercut-Style verfärbten sich schwarz, wurden kürzer und waren auf einmal ohne einen erkennbaren Schnitt, seine Nase wurde platter und breiter und seine Haut verfärbte sich zu einem gelblichen Braunton. Boritz Körpergröße schwand um sicher 20 Zentimeter, und dann sagte er in astreinem Chinesisch:

      我现在回家

      派对已经完了

      我没有兴趣了

      Durch höfliches Nicken und ein ehrliches Lachen bestätigte ich ihm all das Gesagte, denn natürlich verstand ich komplett Chinesisch, sprechen konnte ich es dennoch nicht. Aus Boritz Schultze war Bo Chen geworden, und aus Bo Chen wurde die verniedlichende Koseform Bochen, wie ich ihn heute manchmal noch nenne, wenn ich ihn um einen Gefallen bitten will.

      Der frischgebackene Chinese Bo Chen machte sich also auf den Weg zum Merkur, um dort als Erdling eine Karriere als Pornostar einzuschlagen. Ich tauchte durch eine ungefähr zehn Meter lange Höhle in die Lobby meines Hotels und traf dort Piotr, der mich ansah, nur den Kopf schüttelte und sagte: „Du bist so tot, ey!“

      Der wunderschöne Aufenthalt auf Menorca wandelte sich durch die Worte Piotrs innerhalb von Sekunden zu einem Horrortrip durch die Hölle. Eigentlich war es sogar der Keller der Hölle. Dieser Trip dauerte mit Sicherheit zwei Tage, die Details dazu habe ich verdrängt, aber in meiner Erinnerung übrig geblieben sind die Minuten – oder waren es Stunden? – auf Menorca, und ich würde diese Pille jederzeit wieder fressen.

      Bo Chen kam noch in derselben legendären Nacht als Boritz zurück vom Merkur. Aus der Pornokarriere wurde wohl nichts, stattdessen wurde ihm laut eigener Aussage im transgalaktischen Einwohnermeldeamt der Pass und sämtliche Kleidung abgenommen und er wurde nackt, wie er dann war, zurück zur Erde geschickt. Und so stand er dann tatsächlich nach dem Rückflug zur Erde komplett nackt mitten in der Hölle vor mir und fing zu weinen an. Seine Kleidung dieses Abends ist bis heute verschollen, und den Blick der Leute am darauffolgenden Morgen, als wir gemeinsam nach Hause flogen, werde ich sicher nie vergessen: Boritz, wie gesagt komplett nackt, und ich von oben bis unten mit nasser Kleidung. Wäre ich nur bloß nicht durch diese Höhle in die Lobby getaucht.

      Das soll es aber auch gewesen sein mit den ganzen Rückblenden. Ich stehe wie damals an genau derselben Stelle, wo Piotr meinen Menorca-Urlaub in einen Höllentrip verwandelt hatte, und stecke ihm heimlich sein Fläschchen Poppers zu. Mein Blick schwenkt auf den Bildschirm mit der Live-Übertragung des Tanzflurs, und was ich da gerade sehe, kann ich kaum fassen. Boritz macht mitten auf dem Tanzflur meinen Durch-die-Beine-Springen Dance-Move, mehrfach.

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      04 SWAGGERS ... WAS GEHT?

       live Sonntagmorgen, 23.11.2014 – 00:04 Uhr

      Ich werde ihn auslachen. Ich werde Boritz so derbe auslachen, ich werde nie wieder aufhören, ihn auszulachen, aber davor muss ich dringend kurz aufs Klo, pissen.

      Die drei Meter bis zur Klotür sind die befriedigendsten Meter meines Lebens, das Grinsen könnte mir kein Boxer dieser Welt aus dem Gesicht zimmern, denn ich habe gewonnen, ich habe Boritz nach allen Regeln der Kunst geschlagen, ihn vernichtet, den Endsieg errungen und nach ganz großem Tennis mit 7:5 im fünften Satz den Pokal in die Höhe gestreckt. Boritz Schultze imitiert meinen Move, das Spiel ist aus, ich habe es gesehen und mein Antlitz hängt auf ewig in der Sieger-Galerie des Universums.

      Auf dem Klo stehen bereits zwei „Swaggers“ an den Pissoirs, und ich könnte neben meiner Freude über Boritz Niederlage direkt über diese zwei Hampelmänner weiterlachen. Ein Swagger ist eine Gattung Mensch, die ich einfach nur verachte. Bei diesen Idioten kommt alles zusammen, wofür ich Gott hassen könnte, wenn es ihn denn gäbe. Swaggers sind, kurz gesagt, dumm und prollig, haben keine Ahnung von der Welt, treten immer im Rudel auf und sind auch nur in diesem „Auflauf von Zurückgebliebenen“ so unglaublich „swag“, laut und überheblich, wie sie eben sind. Privat und in Wahrheit sind es komplexbeladene, arme Würstchen, deren Selbstvertrauen tief im Keller steckt und die eine Frau nur dann abbekommen, wenn diese stockbesoffen kotzend im Busch liegt und auf einen Namen wie Chantalle-Shakira hört.

      Swaggers stehen mit Vorliebe in den Großraum-Discotheken dieser Nation die ganze verschissene Nacht an der Bar oder am Rand der Tanzfläche und machen sich über jene lustig, die von allen anerkannt gut tanzen oder einfach freigeistlich mutig das machen, was ihnen die Droge gerade zu tun vorgibt. So kompensiert der Swagger seinen komplexbeladenen Frust und projiziert ihn auf das Objekt, das er selber gerne wäre, denn weder kann er selber tanzen, noch besitzt er Taktgefühl, Stil oder irgendetwas, für das sich zu leben lohnt.

      Swaggers haben auch alle den gleichen Kleidungsstil. Sie tragen die Base-Cap, wenn sie eine tragen, noch rückwärts, haben Polo-Shirts mit Seiten- oder Längsstreifen an, dazu eine normale blaue Jeans und schwarze Lederschuhe, die ich nicht einmal zu meiner Konfirmation getragen hätte. Die etwas besser situierte Variante des Swaggers stellt dazu noch den Kragen des Polo-Shirts auf und wählt die FDP.

      Und genau zwei Exemplare von diesen Doktorsöhnchen stehen nun also neben mir am Pissoir. Beide haben einen größeren Schwanz als ich, was auf jeden Fall unfair ist, denn diese beiden Fachidioten hätte ich gar nicht erst ins Leben gelassen und schon gar nicht ins „Ing! Ong!“. Aber Piotr kennt Gott und die Welt und es lässt sich nicht ändern, dass auch in dieser abgefuckten Bude so spießige Spastis rumlungern und versuchen, einen Fick zu ergattern. Leider gibt es halt auch die passenden „Swaggerinnen“ dazu, aber um diese einzigartige Bratzigkeit auch noch zu beschreiben, bräuchte ich irgendeine Droge, die mich beruhigt, und dafür ist es definitiv noch zu früh am Tag.

      Und als hätte ich es nicht geahnt, beweisen sie mit einem Satz und einer Geste direkt das Klischee, denn Swagger A hält Swagger B die rechte Hand vor die Nase und sagt: „Alter, riech mal hier, die hatte ich eben noch in Lisas Muschi.“ – woraufhin Swagger B nur blöde lacht.

      Ich bin fassungslos, denn wahrscheinlich kennt Swagger B wirklich nicht den Geruch einer Fotze, und Swagger A hatte gerade das erste Mal in seinem Leben seine Finger in der feuchten Möse irgendeiner Swaggerin oder halt in einer kotzenden Chantalle-Shakira. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Swagger B gerade den uringetränkten Geruch von Swagger As Pimmel einatmete, denn diesen hielt Swagger A ja noch, kurz bevor er seine rechte Hand Swagger B unter die Nase gerieben hat. Lecker.