Leicht angetrunken taumelte sie wieder in ihre Wohnung. Die Sonne würde bald aufgehen, also zog sie die Fenster zu und legte sich zufrieden ins Bett.
Am Nachmittag weckte sie das Läuten vom Telefon. Benommen nahm sie ab und bereute es in der Sekunde. Karl war in der Leitung. Dieser Anruf sollte ihm bestätigen, dass es Helene schlecht ging und sie ohne ihn nicht zu Recht kam. Obwohl die Scheidung schon einige Zeit rechtskräftig war, dachte er noch immer, seine Exfrau würde bald wieder an seiner Seite sein. Einen Mann wie Karl verließ man nicht einfach. Dachte er.
Schadenfroh fragte er nach der viel zu kleinen Wohnung und wie sie die langen Tage so ganz alleine verbrachte.
Helene nahm ihm schnell den Wind aus den Segeln. Sie erzählte, wie schön ihr Heim doch war, trug extra dick auf um ihn zu ärgern. Auch von der Jobzusage erzählte sie und wie sehr sie sich auf die neue Herausforderung freute.
Karl jedoch lachte, meinte frech, Helene würde die Arbeit in dem fremden Betrieb nie bewältigen können, weil sie niemals richtig gearbeitet habe.
Helene spürte die Wut in ihr aufsteigen, war jedoch noch viel zu müde, um darauf zu reagieren und beendete spontan das Telefongespräch. Karl war entrüstet, sie hatte einfach aufgelegt. Hatte er doch eine depressive, frustrierte Helene erwartet. Jedoch nicht mit ihrem Zynismus und selbstsicheren Stimme. War da vielleicht ein anderer Mann im Spiel? Könnte er sie etwa verlieren?
Helene setzte sich auf die Bettkante. Ihr Kopf brummte und die Augen waren trotz langem Schlaf schwer offen zu halten. Sie war anscheinend nichts mehr gewohnt, ob es Barbara auch so ging?
Trotz erfrischender Dusche und starkem Kaffee war dieser Tag gelaufen. Einzig der Fernseher und eine kuschelige Sofadecke begleiteten sie bis zum erneuten schlafen gehen.
Am nächsten Morgen ging alles wieder besser. Der Eiskasten wollte gefüllt werden, also begab sich Helene zum Supermarkt. Da sie genug Zeit zur Verfügung hatte spazierte sie durch jeden Gang, was zur Folge hatte, dass sie mehr in den Einkaufswagen packte als vorgesehen.
Wieder zu Hause entdeckte sie einen Zettel den jemand unter der Türe durchgeschoben hatte. Er war von Barbara. Sie bat Helene einmal kurz bei ihr vorbei zu schauen. Nachdem die Einkäufe verstaut waren begab sie sich zu ihrer Nachbarin. Barbara brauche lange, bis sie endlich die Türe öffnete. Der Grund war ein verstauchter Knöchel. Da sie es am Vormittag eilig hatte, bereits spät dran war, und nicht auf den Aufzug warten wollte nahm sie hurtig die Stufen. Sie übersah, dass jemand im Stiegen Aufgang etwas verschüttet hatte und stürzte. Dabei verdrehte sie sich den Fuß, der auch sofort anschwoll.
Nun war Helene froh mehr eingekauft zu haben als geplant, denn sie kochte am Abend gleich für zwei. Nach dem Essen erzählte sie Barbara von Karls Telefonanruf.
Helene fühlte sich bei ihrer neuen Freundin sehr wohl. Sie konnte mit ihr über alles reden und einfach sein wie sie war. Mit jedem Glas Wein wurde die Stimmung heiterer und der Exmann gab Nahrung für viele Lachanfälle. Bevor sie wieder ging, brachte sie Barbara noch eine Decke, damit ihr auf der Couch nicht kalt wurde. Barbara zog Helene näher an sich und küsste sie auf den Mund. Helene erstarrte kurz, woraufhin sich Barbara schnell entschuldigte. Nachdem noch kurz geklärt wurde, dass die Beziehung lediglich eine Freundschaft bleiben sollte, endete der Abend. Helene war ihrer Nachbarin nicht böse. Sie vermutete bereits ihre Neigung zu Frauen. Da sie mit Barbara noch nicht so lange befreundet war, wie mit Ed, könnte eine Freundschaft noch immer funktionieren. Zudem war Ed verliebt in Helene, bei Barbara waren es blos die Hormone. Andererseits könnte durchaus schon Zeit für unverbindlichen Sex sein, aber dann besser mit jemand Fremdes.
Es war ein besonderer Tag. Helenes erster Arbeitstag. Hin und hergerissen zwischen Freude auf die neuen Aufgaben und Angst, den Anforderungen nicht zu entsprechen, meldete sich ein nervöser Magen. Das Frühstück würde heute wohl nicht über einen Bissen Brot hinausgehen.
Aufgeregt stand sie vor dem Kleiderkasten, der zwar nicht so voll wie früher war, aber noch genug, um nicht zu wissen, was sie anziehen wollte. Endlich fiel die Entscheidung auf eine dunkle, elegante Hose und eine helle Bluse, da läutete das Telefon. Sofort dachte Helene an einen erneuten Kontrollanruf von Karl. Wütend nahm sie den Hörer ab. Am anderen Ende war jedoch nicht Karl, sondern ihr neuer Vorgesetzter. Er teilte sein Bedauern mit, aber er musste Helene für den Job kurzfristig absagen. Tatsächlichen Grund gab er keinen an, doch schien die Entscheidung von einer Gehaltsstufe über ihm zu kommen.
Helene war bestürzt. Verwirrt schaute sie den Telefonhörer an, aus dem nur noch das Freizeichen erklang.
Die Aussicht auf eine Arbeitsstelle hatte sie motiviert ein neues Leben zu beginnen. Nun brach alles über sie zusammen. Was war blos los mit ihr? Warum lief ihr Leben so?
Helenes Hände zitterten. Sie war noch lange nicht stabil genug um einen derartigen Rückschritt zu verkraften. Der Schock über diese Nachricht saß tief. Es war wieder da, diese taube Leere, die Hoffnungslosigkeit und mangelndes Selbstwertgefühl. Bemerkte man etwa, dass sie nicht gut genug für den Job war? Oder wollte jemand von der Geschäftsführung doch niemanden einstellen, mit der sie einmal eine Geschäftsbeziehung hatten? Vielleicht konnte sie aber auch irgendjemand einfach nicht ausstehen.
Das Telefon klingelte erneut und diesmal war es tatsächlich Karl. Helene knallte abrupt den Hörer hin. Auf ein Gespräch mit ihm hatte sie so überhaupt keine Lust.
Nicht, dass ein Telefonat mit ihm erwünscht wäre, aber warum rief er immer im ungeeignetsten Augenblick an? Könnte er vielleicht hinter der Absage stecken? Es wäre ihm zuzutrauen. Möglicherweise hatte er den Firmenboss unter Druck gesetzt. Immerhin kannten sie sich gut und Karls Spedition machte ihm über die ganzen Jahre immer einen guten Preis.
Oder es war doch einfach nur ihre eigene Schuld?
Helene war ohne Perspektive. Sie fühlte sich so schwach, wie schon lange nicht mehr. Es war wie damals, als sie ihr drittes Kind verlor. Der erste Gedanke an den Tod schlich sich ein und bevor die Sehnsucht danach wachsen konnte, wählte sie schnell die Nummer ihrer Therapeutin. Ein langes Gespräch folgte.
Barbara ging währenddessen davon aus, dass Helene bereits ihren Arbeitsplatz zugewiesen bekommen hatte. Sie humpelte ins Badezimmer um sich zu waschen.
Als das Wasser ins Waschbecken plätscherte, dachte sie über den letzten Abend nach. Hoffentlich hatte ihr Kuss Helene nicht allzu sehr erschreckt. Gerade jetzt, wo die beiden eine Freundschaft aufbauten. Sie hatte das Gefühl ihr voll vertrauen zu können. Um nichts auf der Welt wollte sie einen Bruch riskieren. Barbara ärgerte sich sehr darüber, dass sie sich ihren Gefühlen spontan hingegeben hatte. Schuld war der gute Wein. Er hatte ihr, wie schon oft, die Hemmungen genommen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Helene allerdings hatte das Thema schon längst abgeschlossen. Irgendjemand, der sie möglicherweise überhaupt nicht kannte, fiel eine Entscheidung gegen sie. Dieser Mensch hatte ja keine Ahnung was er ihr damit antat. Die Therapeutin hatte sie soweit einmal aufgerichtet, dass sie den Selbstmordgedanken vorerst einmal abhakte.
Am Abend erzählte sie Barbara von der Absage. Die war total bestürzt. Nach einem langen Gespräch kehrte Helene wieder in ihre Gedanken zurück. Sie hatte schon so viel in ihrem Leben geschafft, warum zerbrach sie derart an diesem Anruf? Ja, es war ein Rückschlag, aber vielleicht nur, weil sie ihre ganze Zukunft davon abhängig