Das Dorf der Frauen. null Y.K.Shali. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: null Y.K.Shali
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847670780
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zugelassen, dass sie auch etwas von ihm abkriegten. Daraufhin wurden die Nachbarinnen wütend, stürmten gemeinsam ihr Haus, erbarmungslos prügelten sie auf sie ein, bis es nicht mehr ging, dann fesselten sie ihre Hände und Füße, stopften ihr ein Tuch in den Mund, ließen sie in der Ecke liegen und gingen, eine nach der anderen, vor ihren Augen, mit ihrem Mann ins Bett. Komm´ schnell, mein Mäuschen! Wir dürfen unsere kostbare Zeit nicht hier auf der Straße verschwenden!«

      Die vordere Seite der Hose des Mannes war unterhalb des Gürtels geschwollen. Er versuchte, seine durch das Berühren der Brust seiner Frau entstandene Erregung zu unterdrücken, richtete seinen Rucksack auf, nahm den Koffer und begab sich wieder auf dem Weg nach Hause, während er schimpfte:

      »Verdammtes Ausland! Verdammte Dollars! Nur noch ein paar Jahre müssen wir durchhalten. Sobald es uns finanziell etwas besser geht, kein Ausland mehr! Auf keinen Fall! Das schwöre ich dir!«

      Da verlor seine Frau die Geduld und das Verständnis, brach in Tränen aus und erwiderte:

      »Was? Du willst diesmal auch wieder alleine ins Ausland gehen? Da vertust du dich aber mein Lieber! Wir kommen auf jeden Fall mit!«

      »Blödsinn! Ihr kommt mit?! Das Ausland ist doch nicht der Ort, wo Milch und Honig fließen! So einfach kann man nicht dorthin. Sie haben ihre eisernen Mauern und Regeln. Ihre Tore sind vollkommen dicht. Überall, an den Grenzen, am Flughafen, im Flugzeug, im Bus, in der Bahn, im Zug, in den Häfen, Bahnhöfen, auf den Straßen und in den Geschäften, ja selbst auf den Toiletten, sind Kameras installiert. Jede Bewegung wird beobachtet. Keine Mücke oder Fliege kann ohne Visum da landen. Wie soll ich denn, bitte schön, für euch ein Visum beschaffen? Durch jede Menge Bestechungsgeld an unsere Beamten und an die Leute, die gute Kontakte zu den ausländischen Botschaften haben, durch Tricks, Erniedrigungen und jede Menge Quälerei habe ich es geschafft mir eins zu besorgen. Ein Visum, wodurch ich nur als Tagelöhner oder Schwarzarbeiter für wenig Geld drei Monate auf dem Friedhof, sechs Monate im Leichenhaus, zwei Monate in der Müllverbrennungsanlage, ein paar Monate beim Straßenbau, mal hier oder da in den Küchen einiger Restaurants und so weiter und sofort, malochen darf, ohne Krankenversicherung und ohne jegliche weiteren Rechte, die einem einheimischen Angestellten normalerweise zustehen. Das ist noch nicht alles; jeder Penner auf der Straße, der mich sieht, sagt zu mir: Scheiß Ausländer!«

      Seiner Frau wurde plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen. Sie hatte bis jetzt nur ein schönes Bild vom Ausland vor Augen gehabt. Verzweifelt putzte sie sich die Nase und fragte verheult:

      »Aber in den Filmen sieht das Leben im Ausland doch immer so schön aus?!«

      »Ja, das scheiß Ausland ist eigentlich im Vergleich zu unserem Land sehr schön. Aber nur für die Ausländer, nein, ich meine natürlich nicht für „die Ausländer“, wir sind da ja die scheiß Ausländer. Ich meine nur für die Leute, die da geboren sind und zu dem Land gehören. Die Menschen leben dort in Frieden miteinander. Jeder darf das tun und lassen, was er will. Sie können dort sogar ihren Präsidenten selbst wählen, und zwar jeweils nur für ein paar Jahre. Sie haben verschiedene Parteien! Alle zusammen bilden den Staat. Der Staat steht da auf der Seite seiner eigenen Bürger und muss ihnen dienen. Man darf ihn kritisieren, ja ihn sogar beschimpfen, es geschieht einem dadurch nichts. Nicht wie hier, wo einer sich lebenslang zum Führer, zum Präsidenten oder zum Dingsbums erklärt, dem und dessen Gefolge wir dann zu dienen und zu ehren verpflichtet sind.«

      »Na, siehst du, das Leben im Ausland ist doch schöner als hier!«

      »Ach, du verstehst mich nicht. Ausland ist nicht Ausland! Es gibt viele Länder. Die Ausländer sind auch nicht immer Ausländer. Wir sind hier in unserem Land keine Ausländer, aber im Ausland schon. Wir sind da Fremde. Fremde. Verstehst du das? Genauso wie hier bei uns die Touristen für uns die Fremden sind, mit ihren komischen Lebensgewohnheiten, sind wir da auch Fremde. Aber Fremde, die da schwarz oder für wenig Geld arbeiten. Das heißt, wir geben da kein Geld aus, sondern verdienen dort Geld und bringen es dann in unser Land. Kurz, klipp und klar gesagt, wir klauen da den Menschen ihre Arbeit, deswegen mögen sie uns nicht. Würdest du einen Fremden mögen, der dir und deiner Familie das Brot vor dem Mund wegschnappt?«

      Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Ihr war nun klar geworden, wie prekär die Lebenslage ihres Mannes im Ausland war. Nach kurzem Schweigen fragte sie ihn auf dem weiteren Heimweg:

      »Heißt das, dass du wirklich nicht mehr im Ausland arbeiten gehen willst?«

      »Das wünsche ich mir vom Herzen! Glaube mir!«

      »Quatsch. Auf keinen Fall. Du wirst hier, wie schon deine Mutter sagt, unter den nymphomanischen Frauen einen Herzinfarkt kriegen. Wenn du es nicht schaffst, mich mitzunehmen, ist das nicht so schlimm. Du musst aber auf jeden Fall unseren Sohn aus dem Lande schaffen. Sein Leben ist hier nicht mehr sicher. Du kannst dir nicht vorstellen, wie die Jungs, die von gierigen Frauen erwischt werden, nach einer Weile aussehen. Sie werden nicht richtig groß, ihre Rücken werden krumm, ihre Gesichter sind voll von Falten wie bei alten Männern, und sie seufzen stets, dass ihnen der linke Unterbauch wehtut. Was soll ich dir erzählen? Du hast noch keinen von ihnen gesehen. Sie sehen aus wie ein Skelett. Ich schwöre bei Gott, unser Sohn wird blitzschnell weggeschnappt, falls wir nichts dagegen unternehmen. Oh Gott! Ich mache mir solche Sorgen um ihn. Lauf´ schneller! Er ist alleine zu Hause … Komm´ schon Mäuschen!«

      Während der heimgekehrte Mann größere Schritte nahm, fragte er seine Frau misstrauisch:

      »Sag´ mal, in den letzten vier Jahren, als ich nicht hier war, hast du auch wie die anderen Frauen …«

      Seine Frau, die ihn schon verstanden hatte, unterbrach ihn und antwortete:

      »Nein! Ich schwöre bei Gott, dass ich mich nicht mit anderen Männern eingelassen habe! Die ganze Zeit musste ich auf unseren Sohn achtgeben, damit er nicht aufgegabelt wird.«

      Der verdutzte Mann murmelte vor sich hin:

      »Unglaublich! Man kann diese Welt einfach nicht verstehen! Im Ausland gibt es Geld, aber keine Frauen, und wenn es eine gibt, will sie für „fünf Minuten“ dein ganzes Vermögen. Hier dagegen …«

      Kurz vor ihrem Haus, das die Frau schon von Weitem mit Sorge beobachtet hatte, bleib sie erschrocken stehen, ließ abrupt den Koffer fallen und ihren Mann unvermittelt auf der Straße allein. Während sie eilig auf die offen stehende Türe zu lief, schrie sie aufgebracht:

      »Die Haustür hatte ich von außen abgeschlossen. Oh Gott, mein Kind?!...«

      Weinend und dabei laut den Namen ihres Sohnes rufend, durchsuchte sie das ganze Haus samt allen Ecken. Paralysiert von so vielen bizarren Nachrichten, vom Verschwinden seines Sohnes sowie von dem Geschrei seiner Frau, blieb der besorgte Vater erst eine Weile regungslos stehen, dann begab er sich wortlos überall im Haus an die Orte, an denen der Junge sich eventuell versteckt haben könnte. Nirgendwo war aber auch nur eine Spur von ihm zu sehen. Nach langer Zeit vergeblichen Suchens ging er schließlich in eine Abstellkammer, in der er früher seine wichtigen Werkzeuge deponiert hatte. Er kramte da hastig herum, nahm ein Päckchen in die Hand und öffnete es vorsichtig. Eine alte Pistole glänzte vor seinen Augen. Sein linker Nasenflügel begann vor lauter Nervosität pausenlos zu zucken. Kurz darauf, ohne genau über seine Tat nachzudenken, eilte er zur Haustüre. Als er die Gasse betrat, hob er seine Pistole hoch, schoss einmal in die Luft und brüllte drohend:

      »Ihr Schlampen, gebt mir meinen Sohn zurück, sonst wird hier Blut fließen!...«

      Kapitel 3

      Als die Nachbarin des ersten Hauses von der rechten Seite den Pistolenknall und darauf das Gebrüll ihres Nachbarn vernahm, beendete sie die Lauscherei an der Wand und rannte neugierig in den Garten. Von der Frau des wütenden Nachbarn, die seit einigen Minuten andauernd nach ihrem Sohn schrie, war nichts mehr zu hören. Sie wandte ihren Kopf zu ihrer Nachbarschaft auf der rechten Seite. Diese Nachbarin stand im Garten, sobald sie sie sah, sagte sie belustigt:

      »Oh, oh! Was ist denn in den gefahren? Hoffentlich hat er nicht seine verrückte Frau erschossen!»

      Sie