Das Dorf der Frauen. null Y.K.Shali. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: null Y.K.Shali
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847670780
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der Papa deines Sohnes heute wirklich zurückkommen?«

      Die Frau antwortete seufzend:

      »Vielleicht, meine Süße. Vielleicht. Er hat gesagt, dass er zurückkommt. Das ist das vierte Jahr, dass er …«

      Die junge Mutter, die über das Gespräch zwischen ihrer Tochter und dieser deprimiert aussehenden Frau nicht besonders glücklich war, unterbrach sie und sagte beschwichtigend:

      »Gott möge geben, dass alle zurückkehren!«

      Kapitel 2

      Als die Türen des Zuges geöffnet wurden, stiegen, entgegen aller Erwartung, nur ein paar Männer aus. Der Lokführer, der aus dem Fenster blickte, sah, dass das freudige Empfangsgetümmel nachgelassen, und die Enttäuschung der Frauen und Kinder anfing, langsam Gestalt anzunehmen. Er zog seine Augenbrauen nach oben, atmete tief ein und seufzte voller Mitleid. Das kleine Mädchen schlang ihre Arme um den Hals ihrer verzweifelten Mutter; besorgt tröstete sie sie, während sie auf die Tränen starrte, welche ihrer Mama langsam die Wange herunterflossen.

      »Sei nicht traurig Mama! Papa hat doch genug Dollars geschickt. Bestimmt konnte er keine echte Barbie finden, deswegen ist er auch dieses Jahr nicht zurückgekommen. Vielleicht wollte er wie der Mann der netten Frau, die eben bei uns war, abwarten bis vier Jahre vorbei sind und erst dann zurückkommen. Gehen wir nach Hause Mama! Komm´, lass´ uns gehen!«

      Die Mutter des Mädchens sah keinen Sinn mehr darin, weiter auf dem Bahnsteig zu warten. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, warf einen neidvollen, zugleich nachdenklichen Blick auf die deprimiert aussehende Frau, die dabei war, ihren Mann zu umarmen, und bahnte sich mit ihrer Tochter einen Weg durch die Menschenmenge nach Hause.

      Andere Frauen, deren Männer nicht zurückgekommen waren, gingen auf die Heimkehrer zu, begrüßten diese herzlich und fragten nach ihren eigenen Ehemännern. Alle Frauen und sogar die meisten der Männer wussten bereits, dass diese herzlichen Begrüßungen und die Nachfragen, trotz aller echten Sorgen und Sehnsüchte, eine Mitteilung, eine Einladung, eine indirekte, höfliche Aufforderung und ein Hinweis darauf waren, von ihnen besucht zu werden. Die anwesenden Männer sollten, mit irgendeiner Ausrede, wie zum Beispiel dem Überbringen einer Nachricht, eines Briefes, oder zumindest einiger beschwichtigender Worte der Abwesenden, den einsamen und männerlosen Damen einen Besuch abstatten. Ein Besuch, der die Monate oder Jahre andauernde Langeweile und Sehnsucht der Frauen zu vertreiben, nein zu verdrängen vermochte.

      Der nicht geschminkten, in sich gekehrten und deprimiert aussehenden Frau gelang es endlich, die enttäuschten Frauen loszuwerden, während sie mit einer Hand einen der zwei Koffer ihres Mannes schleppte, und ihn mit der anderen umschlang. Als das Ehepaar auf dem Heimweg das Getümmel, die Begrüßungen und Fragereien der anderen hinter sich gelassen hatte, fragte der grade heimgekehrte Mann unvermittelt:

      »Wo ist unser Sohn? Warum ist er nicht mit dir zur Bahnstation gekommen?«

      »Ich habe ihn zu Hause gelassen. Allerdings ist er inzwischen ein Mann geworden. Ich habe befürchtet, die Frauen würden ihn in diesem Empfangsgetümmel angraben.«

      Verdutzt blieb er stehen und fragte zweifelnd:

      »Was?! Angraben?! Mein Kind ist ein Mann geworden?! Vor vier Jahren war er ein kleiner Dreikäsehoch, in drei Tagen wird er erst zwölf Jahre alt …«

      »Hier vergeht das Jahr für Männer viel schneller als anderswo, Mäuschen. Hast du nicht bemerkt, was an der Bahnstation los war?«

      »Nein. Was war denn da los?«

      »Hast du im Ausland nichts über die Frauen hierzulande gehört?«

      »Meine Liebe, im Ausland sind wir so beschäftigt, dass wir kaum Zeit haben, uns am Kopf zu kratzen. Täglich müssen wir zehn bis vierzehn Stunden malochen. Bleiben uns einmal ein paar freie Stunden, müssen wir zur Ausländerbehörde oder zu irgendwelchen anderen Ämtern gehen. Ständig von Pontius zu Pilatus wegen einer scheiß kurzfristigen Arbeitserlaubnis oder Aufenthaltsgenehmigung. Das alles für Schmutzarbeiten, die kein Einheimischer, wohlgemerkt für ein Vielfaches unseres Lohnes, erledigen würde. Da bleibt uns gar keine Zeit darüber nachzudenken, was hier mit unseren Frauen los ist. Okay, sehr wahrscheinlich vermissen sie ihre Männer.«

      »Etwas mehr als Vermissen. Hier herrscht absoluter Männermangel. Außer den Alten, den Kranken, den Behinderten und den Jungen sind alle Männer entweder in die Hauptstadt oder wie du ins Ausland gegangen. Die Frauen gabeln verzweifelt jeden, der ein kleines Anzeichen von Männlichkeit besitzt, auf.«

      »Ach so! Sie gabeln jeden auf! Mein Vater? Wie geht es meinem Vater?«

      »Ja, es geht ihm gut! Deine Mutter ist aber sehr sauer, zugleich aber auch besorgt. Sie fürchtet, dass dein Vater unter den nymphomanischen Frauen bald einen Herzinfarkt kriegt.«

      »Was?! Mein Vater?! Selbst vor ihm machen sie nicht halt? Du beliebst zu scherzen!«

      »Nein. Ich meine es ernst. Wirklich! Glaube es mir!«

      »Boah! Was ist denn in diesem verdammten Dorf los? Mein Gott …«

      Der heimgekehrte Mann führte seine Hand zum Mund und biss fassungslos auf seinen Zeigefinger. Seine Frau versuchte nun ihn beschwichtigend wieder auf den Boden der Realität zu bringen:

      »Ach, zerbreche dir nicht den Kopf darüber, mein Mäuschen! Es ist nichts Schlimmes passiert. Weißt du was? Das Leben ist nicht mehr so schön wie früher! Alle Männer sind weg. Es wird keine Hochzeit mehr im Dorf gefeiert. Die neuen Kleider altern unbenutzt im Kleiderschrank. Du hast keine Lust sie zu tragen, weil dich niemand anguckt und dir Komplemente macht. Du hast nichts zu tun, sitzt zu Hause nur rum und schaust neidvoll im Fernsehen, was für einen Wohlstand, was für ein glückliches Leben andere Menschen führen. So wirst du befallen von tausend Gedanken, Gefühlen, Sorgen und schließlich von der Depression.«

      »Nicht zu fassen! Wirklich nicht zu fassen! Damals, als ich noch hier war, hatten wir nicht genug Brot zu essen, geschweige denn einen Farbfernseher oder Kühlschrank. Nun, wo man vieles hat …«

      »Nun gibt es den Dollar und die Welt hat sich sehr verändert, mein Mäuschen! Du bist im Ausland und weißt das selbst besser als ich …«

      Der verdutzte Mann erwiderte wütend:

      »Was weiß ich denn besser? Hast du nicht gehört, was ich eben gesagt habe? Im Ausland geh´ ich bloß auf dem Zahnfleisch und führe ein Hundeleben! Wo bleibt mir Zeit, zu merken, was in der Welt los ist? Übrigens meinst du, dass ich dort wirklich lebe? Wohlstand?! Glücklich sein? Man versucht dort sogar in der Mülltonne zu schlafen, um keine Miete zu zahlen. Ich versuche auf diese Weise die Kosten so gering wie möglich zu halten, um so einige Dollars zu sparen und diese nach Hause zu schicken.«

      Die Frau streichelte ihrem Mann über das Gesicht und sprach liebevoll:

      »Danke schön, mein Mäuschen! Du bist mein Held. Ich liebe deine schöne Nase … Du opferst dich wirklich für uns. Aber, aber … Weißt du, Dollars können einer Frau ihren Mann nicht ersetzen.«

      »Ach, vergiss´ es!...«

      Erregt durch die Liebkosungen seiner Frau, stellte der Mann seinen Koffer auf dem Boden ab, zog sie zu sich heran, und während er ihre Lippen voller Begehren küsste, steckte er seine Hand in ihre Bluse und streichelte ihre Brust. Obwohl seine Frau große Lust auf das Streicheln und auf einen Beischlaf mit ihm hatte, trennte sie sich von ihm und sagte vielversprechend:

      »Warte noch ein paar Minuten, Mäuschen! Gleich sind wir zu Hause. Komm´ schneller! Wir haben nicht viel Zeit! In ein paar Stunden, bis zum Ende deines Urlaubs, sollst du, wie die anderen Männer, zu jeder einzelnen unserer Nachbarinnen gehen und sie beglücken! Sonst geschieht mir das gleiche Unglück, was deiner Schwester widerfahren ist.«

      »Was?! Ich soll zu den Nachbarinnen gehen?! Was für ein Unglück? Ist meiner Schwester etwas Schlimmes passiert?«

      »Nein. Nicht wirklich etwas