„Passt Ihnen das Zimmer?“, fragte Willi ein wenig besorgt.
Bernadette zuckte zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Willi zurückgekommen war. In der rechten Hand trug er ihren Koffer.
„J..ja, dd…doch“, stammelte sie.
„Prima. Dann müssen Sie nur noch das Meldeformular ausfüllen. Ordnung muss schließlich sein.“
Wieder lachte er und stellte den Koffer mit einer Kraft auf den Boden, die sie ihm niemals zugetraut hätte. Dann schien ihm noch etwas einzufallen. „Wie lange wollen Sie eigentlich bleiben?“, fragte er.
„Wenn ich das wüsste?“, dachte Bernadette, sagte aber: „Vielleicht eine Woche.“
Sie wusste, dass spätestens dann die Möbelmesse in Deutz zu Ende war und sie mit Leichtigkeit ein anderes Hotelzimmer finden würde. Das heißt, für den Fall, dass sie bis dahin immer noch nichts von Diana gehört hatte.
„Apropos...es kann ja nicht schaden, wenn ich ihm ein Foto von ihr zeige. Immerhin lebt Willi seit ewigen Zeiten hier in Köln und die Welt kann manchmal so verdammt klein sein.“ Sie griff in ihre Handtasche, zog ein Foto heraus, auf welchem sie zusammen mit ihrer Schwester zu sehen war, hielt es ihm hin und deutete auf die junge Dame an ihrer Seite.
„Das ist meine Schwester Diana. Ich bin auf der Suche nach ihr. Sie kennen sie nicht zufällig?“
Willi griff nach dem Foto und warf einen Blick darauf. „Schönes Mädchen“, sagte er anerkennend. „Ein bisschen jünger als sie, was?“
„Acht Jahre.“
„Und sie soll hier in Köln sein?“
„Ja, sie studiert an der Uni. Kommt sie Ihnen vielleicht bekannt vor?“
Willi schüttelte den Kopf. „Ich wünschte es wäre so, aber leider nein. Ich kenne sie nicht. Aber das will überhaupt nichts heißen, wo Köln doch so verdammt groß ist. Worum suchen Sie eigentlich nach ihr?“
Bernadette hatte keine Lust ihm die Einzelheiten zu erzählen. „Sagen wir einfach, weil ich seit längerer Zeit nichts von ihr gehört habe“, antwortete sie postwendend.
„Ach so, jetzt versteh ich. Unstimmigkeiten unter Geschwistern sollen ja häufiger vorkomme als man denkt. Übrigens gehen die meiste Studenten zum Abfeiern in die Altstadt. Vielleicht sollten Sie dort einmal nachfragen.“
„Prima Idee, das werde ich tun. Vielen Dank für den Tipp. Soll ich Ihnen die Woche im Voraus bezahlen oder lieber jeden Tag einzeln?“
„Das können Sie halten wie Sie wollen junge Dame, Hauptsache ich bekomme mein Geld. Das Zimmer kostet 20 Euro die Nacht.“ Er wandte sich zum gehen, blieb aber auf der Türschwelle noch einmal stehen und sah sie an.
„Also dann genießen Sie ihren Aufenthalt im schönen Kölle“, sagte er bevor er hinaus auf den Flur trat. Drinnen sah sich Bernadette das Zimmer genauer an. „Na ja, mehr als 20 Euro die Nacht ist diese Kammer auch wirklich nicht wert!“
Die Einrichtung war ihr so ziemlich egal. Hauptsache, es gab ein sauberes Bett und ein eigenes Bad. Sie bugsierte ihren Koffer vor das Bett und fing an auszupacken. Die Türen des alten Kleiderschranks waren verzogen und ließen sich nur schwer öffnen. Drinnen roch es muffig nach altem Holz. Sie überlegte, so viele Kleidungsstücke wie möglich auf die wenigen Bügel zu verteilen, die in dem alten Schrank hingen, verwarf den Gedanken aber schnell und legte stattdessen das, was sie benötigte, auf die Matratze neben sich. „Was zum Teufel tue ich eigentlich hier?“ fragte sie sich, während sie einen Blick in den Spiegel oberhalb der kleinen Kommode warf und feststellte, dass sie abgespannt aussah. Schnell ging sie ins Bad. Das Waschbecken war winzig, die Wände mit hellgrünen Kacheln gefliest. Sie drehte den Wasserhahn auf und wusch sich die Hände. Danach überprüfte sie ihr Make-up, ging zurück in ihr Zimmer und schob ihren Koffer unter den Holztisch, weil er ihr woanders im Weg war. Danach stellte sie die beiden Stühle davor, schnappte sich Jacke und Handtasche und ging hinaus.
Willi war gerade dabei ihre Anmeldung in einen Ordner zu heften. Er grüßte sie freundlich, sie erwiderte seinen Gruß, ging nach unten, stieg in ihren roten Flitzer und fuhr los.
Keine dreiviertel Stunde später stand sie vor einem alten Stadthaus im Kölner Ortsteil Lindenthal, welches den Studenten als Wohnheim diente. Während sie das Gebäude in Augenschein nahm und plötzlich spürte, wie sich ein Anfall von Nervosität in ihr breit machen wollte, trat ein Mann in einem blauen Overall aus dem Schatten des Eingangs, griff nach zwei Mülltonen, die seitlich davon aufgestellt waren und schob sie an die Straße.
„Der Hausmeister!“ kam es ihr in den Sinn. Sie holte tief Luft und ging auf ihn zu, noch bevor er wieder in dem Hauseingang verschwinden konnte.
„Hallo, hören Sie. Kann ich Sie bitte einen Moment sprechen?“
Der Mann drehte sich um und sah sie verdutzt an.
„Was gibt es denn, junge Dame. Ich habe meine Zeit nicht gestohlen!“
„Noch so ein freundlicher Kölner“, dachte Bernadette und spürte plötzlich den berühmten Kloß in ihrem Hals sitzen. So nah war sie ihrer Schwester schon lange nicht mehr gewesen.
„Bitte entschuldigen Sie. Sie sind doch hier der Hausmeister, nicht wahr? Ich bin auf der Suche nach meiner Schwester Diana. Sie soll hier wohnen. Wenn Sie so freundlich wären und sich einmal dieses Foto hier anschauen würden. Ich bin mir sicher, sie kommt Ihnen bekannt vor.“
Die fleischige Hand des Hausmeisters griff nach dem Foto. Er betrachtete es eine Weile, dann schüttelte er mit dem Kopf. „Ich kann nicht behaupten, dass ich sie kenne“, sagte er bestimmt. Bernadette rutschte das Herz in die Hose.
„Sind Sie sich da ganz sicher?“, fragte sie ungläubig. „Sie ist Studentin hier an der Uni! Sie müssen sie doch schon einmal gesehen haben.“
„Die Uni liegt am Albertus-Magnus-Platz. Das ist noch ein gutes Stück von hier entfernt, junge Dame. Und wenn ich Ihnen sage, dass ich das Mädel auf dem Foto nicht kenne, dann kenne ich es auch nicht! Schließlich gibt es hier hunderte von Studenten und ihre Schwester kann genauso gut auch woanders wohnen.“
Sofort schossen Bernadette Tränen in die Augen.
„Herr Kowalski…“, flötete eine schrille Stimme hinter ihr. Eine stämmige junge Frau hatte den Hausmeister gesichtet und befand sich im Begriff, den armen Mann in Beschlag zu nehmen. Mit einer eindeutigen Geste deutete sie auf ein Apartment zu ihrer Rechten und zog ihn entschlossen mit sich. Bernadette stand allein auf der Straße und fühlte sich einsam und verlassen. Wie in aller Welt sollte sie so Diana finden?
Einige junge Leute zogen lachend an ihr vorbei. Es waren Studenten.
„E…einen Moment bitte.“ Bernadette reagierte beinahe panisch. Wild mit den Armen gestikulierend hielt sie ihnen das Foto ihrer Schwester entgegen.
„Bitte! Nur einen kurzen Moment. Ich suche meine Schwester. Haben Sie sie vielleicht schon mal gesehen?“
Die jungen Leute sahen sich an. Ihre Blicke waren eindeutig. Was wollte diese Verrückte von ihnen? Sie schüttelten ihre Köpfen, lachten und gingen weiter. Ein junger Mann drehte sich nochmals um und rief ihr etwas zu.
„Versuchen Sie es doch bei der Universitätsverwaltung. Dort sind alle Studenten registriert. Wenn ihre Schwester hier studiert, dann muss sie dort eingetragen sein.“
„Gute Idee!“ Bernadette ging zurück zu ihrem Wagen, setzte sich hinter das Lenkrad und fuhr noch ein gutes Stück die Universitätsstraße hinunter. Am Ende bog sie rechts ab. Den Uni-Campus am Albertus-Magnus-Platz konnte sie gar nicht