„Versuch es erst gar nicht. Hier kann dich niemand hören“, sagte er kalt. Erst jetzt versuchte sie sich ihn genauer anzuschauen. Was sie zu sehen bekam war eine schwarze Hose, ein schwarzes Hemd und ein Gesicht, das von einer schwarzen Maske verdeckt wurde. Feigling, dachte sie, fragte aber nochmals: „Was wollen sie von mir…?“
„Das wirst du noch früh genug erfahren. Hier, ich habe dir eine Decke mitgebracht, damit du nicht auf dem kalten Boden liegen musst.“
„Sie sind ja rührend um mich besorgt“, konterte sie ironisch. „Wenn es Geld ist, das Sie von mir wollen, ich geb ihnen alles was ich habe, wirklich.“
Sie hörte wie er höhnisch lachte. „Geld interessiert mich schon lange nicht mehr Diana. Ich darf dich doch Diana nennen?“
„Das Schwein kennt meinen Namen. Woher? Hatte ich schon einmal mit ihm zu tun? Zählt er gar zu meinen Kunden?“
Sie nickte schwach, während sie sich an der rauen Wand abstützte und einmal mehr spürte, wie der Metallring in ihren Knöchel schnitt. Aber sie durfte nicht aufgeben. Wenigstens noch nicht. Mit der freien Hand vor den Augen versuchte sie gegen das grelle Licht der Taschenlampe zu blinzeln. Sie bemerkte, dass ihr Entführer einfach da stand und sie beobachtete.
„Bitte….“ Ihre Stimme war ein trockenes krächzen, dass sie selbst kaum wiedererkannte. Sie schluckte.
„Warum tun sie mir das an? Wenn es Sex ist, was Sie wollen? Nun darüber können wir reden. Es lässt sich doch alles arrangieren.“
Seine Stimme änderte sich sofort.
„Nun hör endlich auf zu winseln, du billige Nutte. Ich hab absolut kein körperliches Interesse an dir. Am besten, du gewöhnst dich so bald wie möglich an die neue Situation.“
„Dann sagen Sie mir doch endlich, wer Sie sind und was Sie von mir wollen!“
Sie stellte sich vor, wie er hinter der Maske hämisch grinste, als er sagte: „Ich denke die erste Frage erübrigt sich, und was die zweite angeht? Na schön. Ein wenig will ich dir vorab schon mal verraten. Du musst eine Prüfung bestehen, das ist alles. Dann lasse ich dich wieder frei.“
Diana blickte ihn ungläubig an. „Was denn für eine Prüfung? Und warum ausgerechnet ich?“ Sie vermutete, dass er wieder grinste. Sofort lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken.
„Sagen wir einfach, weil ich dich ausgesucht habe. Darauf kannst du dir fast schon etwas einbilden. Alles Weitere erkläre ich dir später. Und wenn du brav mitspielst, dann kannst du sicher sein, dass dir kein Haar gekrümmt wird. Rohe Gewalt lehne ich ab.“
Der Mann war ihr ein Rätsel. „Und meine Entführung?“ fragte sie erbost. „Nennen Sie so etwas keine rohe Gewalt anwenden? Sie sind ein Verbrecher.“
Wieder änderte sich seine Stimme. „Nun mach aber mal halb lang. Was weißt denn du schon von Verbrechen und Gerechtigkeit? Nichts weißt du, gar nichts! Aber ich werde dir eine gewisse Zeitspanne zugestehen, bis du bereit sein wirst deine Prüfung anzutreten. Und damit es dir in der Zwischenzeit nicht langweilig wird, habe ich dir noch etwas mitgebracht. Er kramte in der Tasche, die er mitgebracht hatte, zog ein kleines Diktiergerät heraus und legte es vor ihr hin auf den Boden. „Das ist für dich. Ich möchte, dass du mir deinen Werdegang auf das Band sprichst. Alles, was dir dazu einfällt. Angefangen von deiner Schulzeit, deinem Studium, deine Karriere. Und lass nichts aus! Davon hängt letztendlich auch der Schwierigkeitsgrad deiner Prüfung ab. Also: je mehr du mir von dir erzählst, desto früher lasse ich dich wieder laufen, kapiert? Und versuch erst gar nicht von hier abzuhauen. Du kommst hier nicht raus, es sei denn ich will es so. Also spar dir deine Kräfte für die wichtigen Dinge auf.“
Diana spürte wie sie zornig wurde.
„Was geht Sie eigentlich mein Leben an?“, schrie sie ich an. „Sie…Sie gehören in die Klapsmühle. Ich werde das verdammte Ding gegen die Wand schmeißen.“
„Das würde ich dir nicht raten. Auf Ungehorsam steht Strafe. Denk einfach daran, ich kann dich sehen, wann immer ich will.“
„Das auch noch, der Kerl überwacht mich!“
Auf einmal fiel ihr noch etwas ein.
„Und wenn ich mich waschen möchte oder mal muss?“ fragte sie unsicher.
„Keine Sorge, auch dafür ist gesorgt. Dann und wann lasse ich dich hier raus. Dann kommst du in einen anderen Raum. Dort stehen dir entsprechende Einrichtungen zur Verfügung.“
„Aber man wird mich vermissen. Meine Familie, meine Freunde und…“
„Welche Familie? Außer deine Schwester hast du doch niemanden.“
„Verdammt, verdammt, verdammt. Das Schwein weiß alles über mich!“
Sie nahm all ihren Mut zusammen. „Ich will das hier aber überhaupt nicht!“
Ihre Bemerkung traf auf Schweigen, das nur von seinem schweren Atem unterbrochen wurde. Als er auf sie zu kam, dachte sie schon, er würde sie schlagen, aber er griff nur nach der Fußfessel und überprüfte die Kette. Sie wollte noch etwas hinzufügen, aber er hatte sich bereits von ihr abgewandt. Ein Rascheln war zu hören, als er sich der Treppe näherte und hinaufstieg. Dann war sie wieder auf sich allein gestellt.
Beim nächsten Mal war es ein anderes Geräusch, das sie aufweckte. In der Dunkelheit konnte sie sich zuerst nicht orientieren. Nur langsam erschienen helle Punkte, die so winzig waren, dass sie zunächst glaubte, sie wären nur Einbildung. Ihr Fußgelenk schmerzte. Dort wo die Fessel war schien sich etwas entzündet zu haben. Die Enge des kleinen Raumes flößte ihr Angst ein. Dazu suchte sie verzweifelt eine Antwort auf ihre Frage, was der Mann von ihr wollte. Aber sie fand keine. Als sie versuchte aufzustehen, war es um sie geschehen. Völlig benommen schwankte sie umher, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Der Schock und die völlige Erschöpfung machten sich jetzt erst so richtig bemerkbar. Noch ehe sie sich besinnen konnte, sank sie zu Boden, versuchte noch wach zu bleiben, doch allmählich wurde ihr schwarz vor den Augen. Verschwommen nahm sie war, dass etwas um sie herum geschah.
„Ein Geräusch…da ist doch ein Geräusch..? Oder ist es möglich, dass ich schon halluziniere?“ Nein, da war es wieder. Metall knirschte, jemand schlug auf den Boden. Schreie ertönten. Aber sie kamen nicht aus diesem Raum. Schlagartig traf sie die Erkenntnis, dass sie möglicherweise nicht die einzige Person war, die der Verrückte gefangen hielt.
Kapitel 4
Wie so oft erwachte Bernadette Meyfarth kurz vor Sonnenaufgang. Sie liebte es, das perlenfarbige Licht am Horizont von ihrem Bett aus beobachten zu können, noch ehe es zu einem rötlich-gelben Streifen herangewachsen war. Dieser Moment stellte für sie eine Art Ritual dar, bot er ihr doch die nötige Ruhe um nachzudenken und sich auf den neuen Tag einzustellen. Bis spät in die Nacht hinein, hatte sie mit ihrem Lebensgefährten Stefan Niedermeyer zusammengesessen, Wein getrunken und einen Artikel überarbeitet, den er in Kürze veröffentlichen wollte. Dabei hatte Stefan zu viel getrunken und war einfach auf dem bequemen Sofa im Wohnzimmer eingeschlafen. Bernadette hatte noch nicht einmal halb so viel getrunken wie er, trotzdem fühlte sie sich schlapp und abgespannt. Sie versuchte aufzustehen, spürte jedoch eine aufkommende Verkrampfung ihrer Muskeln in den Beinen und im Rücken. Sie fluchte, schaffte es aber dann doch im zweiten Anlauf aufzustehen. Ihr Blick streifte das Familienfoto, welches auf ihrer Kommode stand. Sie fühlte eine innere Leere aufkommen, die sofort von