„Kannst du mich zu meiner Hütte begleiten? Ich muss da noch etwas erledigen, und wir können auf dem Weg reden“, schlug Lando vor.
„Kannst du denn gehen?“, rutschte es Bale heraus. Er wusste, warum Lando gerade so wütend geworden war, und jetzt würde er wieder sauer sein. Aber der Mann ignorierte die Bemerkung. Er hatte einen Stock, auf den er sich stützen konnte. Zwar benutzte er ihn nicht gerne, aber manchmal ging es nicht anders.
„Komm, Bale. Es wäre wirklich nett von dir, wenn du mir hilfst.“ Der Junge schüttelte den Kopf, setzte sich aber in Bewegung. Er merkte, dass Lando Schmerzen hatte, und auf einmal wurde ihm bewusst, dass er deswegen nicht nach seinem Vater suchte. Er war dazu einfach nicht in der Lage.
„Wo wolltest du so früh hin?“, fragte Lando, als sie schon ein Stück gegangen waren. Bale musterte den festgetretenen Boden vor sich und zuckte die Schultern.
„Du wolltest deinen Vater selbst suchen, richtig?“
Der Junge seufzte tief.
„Ich verstehe dich doch. Meinst du, ich wäre noch hier, wenn ich eine Chance sehen würde, ihn zu finden? Meinst du denn, mir gefällt es, dass Jaron verschwunden ist? Ich kann nicht ändern, was der Rat beschlossen hat. Wir alle müssen das akzeptieren. Du kannst natürlich hinaus gehen und ihn suchen, aber was meinst du denn, wie weit du kommen würdest, ohne Waffen? Oder hast du Waffen?“
Lando war stehengeblieben und sah den Jungen forschend an.
„Ich habe eine Schleuder“, sagte Bale kleinlaut.
„Die habe ich dir gemacht. Bale, die taugt nur für Kleintiere. Eine Bestie machst du damit nur wütend. Es ist dir doch klar, dass da draußen gefährliche Tiere leben, oder?“
Bale verzog missmutig den Mund: „Vater hat davon erzählt“, gab er zu.
„Die Bestien in den Wäldern sind riesig. Du musst so gute Waffen haben, wie dein Vater wenn du eine Chance haben willst, lebend zurückzukommen. Du musst lernen sie zu benutzen, und du musst lernen zu kämpfen. Kennst du dich im Wald aus? Weißt du, was du essen kannst, wo du Wasser findest, wie du dich orientierst, wo du sicher schlafen kannst?“
Lando wurde eindringlicher. Bale musste verstehen, dass er nicht einfach in den Wald spazieren konnte. Er musste begreifen, wie gefährlich das war. Der Junge lief nachdenklich neben ihm her.
„Was wird aus deiner Mutter und Banja, wenn du weg gehst?“, fragte Lando.
„Die haben ja jetzt dich“, platzte der Junge heraus. Lando schüttelte bekümmert den Kopf.
„Ich kann Jaron nicht ersetzen und ich kann auf keinen Fall dich ersetzen. Ich bin nur ein Platzhalter und ich hoffe, ein wenig eine Hilfe zu sein, mehr nicht.“
Irgendwie machten diese Worte Bale traurig. Er wusste, dass Lando keine Familie hatte, und auf einmal erinnerte er sich an die Tage, die sie zusammen mit seinem Vater verbracht hatten. Männertage. Lando hatte ihm immer geduldig alles erklärt. Er hatte Waffen für ihn hergestellt. Einen Speer zum Fischefangen, eine Falle für Kleintiere und die Schleuder. Auf einmal tat es ihm leid, wie er Lando bisher behandelt hatte, aber er konnte es ihm nicht sagen. Seine Gefühle waren im Moment zu durcheinander.
11. Drei Verschwörer
Wolf schreckte hoch, als die Tür geöffnet wurde. Er hatte nicht vorgehabt zu schlafen, aber offenbar waren ihm irgendwann die Augen zugefallen.
„Tut mir leid“, stammelte er sofort, als er Lando, den rechtmäßigen Bewohner der Hütte erkannte. Er rappelte sich hoch und drückte sich gegen die Wand, als würde diese ihm Schutz bieten.
„Bin schon weg.“
Hinter dem Mann trat nun auch Bale in den Raum. Wolf kannte ihn flüchtig. Es ärgerte ihn, dass die beiden Neuankömmlinge vor der Türöffnung stehen blieben und er nicht einfach hinausschlüpfen konnte. Wolf saß nicht gerne in der Falle. Argwöhnisch starrte er die beiden an, während Lando genau so argwöhnisch die Hütte inspizierte.
Bale schob sich auf einmal an dem Mann vorbei und betrachtete aufmerksam das Heu, das in einer Ecke auf dem Boden aufgeschichtet war. Darin bewegte sich etwas.
„Hast du hier übernachtet?“, fragte Lando in Wolfs Richtung und hielt gleichzeitig Bale an der Schulter fest. Wolf nickte stumm. Die Angst in seinen Augen konnte er nicht verbergen.
„Ist schon in Ordnung“, meinte Lando großzügig, was Wolf erleichtert aufatmen ließ. Seine Haltung entspannte sich etwas.
„Dir sind meine Mitbewohner sicher aufgefallen.“ Lando hob fragend die Brauen. Bale beobachtete immer noch das Heu, in dem es jetzt an mehreren Stellen raschelte. Etwas Pelziges schob sich an einer Stelle hervor.
„Was ist das?“, fragte er leise. Wolf bückte sich und griff, ohne zu zögern in den Heuhaufen. Er hob einen der Welpen hoch und hielt ihn auf dem Arm.
„Du meinst diese Mitbewohner?“, fragte er lächelnd. Lando nickte und sah Bale an: „Kennst du diese Tiere?“ Neugierig traute der Junge sich näher heran.
„Ich weiß nicht. Sind das kleine Hunde? Ich habe noch nie welche gesehen“, fragte er neugierig.
Wolf nickte: „Ja. Die Jungen nennt man Welpen. Hunde waren einmal sehr zahm und lebten mit den Menschen zusammen“, erklärte er. Bale streckte vorsichtig die Hand aus, wartete aber, bis Wolf nickte. Er streichelte behutsam über das seidenweiche, hellbraune Fell des Welpen.
„Da sind noch mehr“, erklärte Lando und deutete auf das Heu. „Hast du nach der Hündin gesehen, Wolf?“
Der große Junge nickte: „Ihr geht es nicht so gut. Ich habe ihr Wasser gegeben. War das in Ordnung?“
Bale hielt jetzt den Welpen auf dem Arm und platzte fast vor Stolz.
„Sieh dir das an!“, rief er freudig. Der Mann musste lächeln.
„Die sind niedlich, nicht?“, fragte er und lobte dann Wolf wegen seiner Umsicht. „Gut gemacht.“
Der Junge errötete und freute sich. Die meisten Menschen waren nicht besonders nett zu ihm. Gelobt zu werden, war ihm fremd, aber es kribbelte nun freudig in seiner Magengrube.
„Wie viele sind es denn?“, fragte Bale und kniete sich vor das Heu, um nachzusehen.
„Es sind acht, und wir haben ein Problem, Jungs“, stellte Lando fest.
„Wir müssen sie hier weg bringen, an einen sicheren Platz. Diese Hütte wird bestimmt bald einen neuen Bewohner bekommen. Ihr wisst ja, dass Tiere im Ort verboten sind. Wenn jemand die Hunde findet, werden sie getötet, und das wollen wir doch nicht. Ich habe schon hin und her überlegt, aber mir fällt keine geeignete Zuflucht ein. Sie müsste außerhalb der Stadtmauer liegen, aber nah genug sein, dass wir die Welpen noch füttern können. Die Kleinen brauchen unsere Hilfe, um groß zu werden.“
Wolf hatte rote Flecken auf den Wangen bekommen. Auf einmal fühlte er sich mit diesen beiden Menschen verbunden. Sie hatten ihn nicht weggejagt, und nun fragte Lando ihn sogar nach seiner Meinung! Wolf hatte diesen Mann schon immer bewundert. Lando hatte so viele Schicksalsschläge einstecken müssen und sich immer wieder aufgerappelt und weiter gemacht. Schon Wolfs Vater hatte früher gesagt: „Nimm dir ein Beispiel an Lando. Er fällt hin, aber er steht immer wieder auf. Das ist ein Kämpfer!“ Wolf wollte auch so sein wie er.
„Ich kenne eine Höhle außerhalb“, fing er vorsichtig an zu erzählen, „das wäre das Richtige. Dort wären sie geschützt, und ich könnte nach ihnen sehen.“
Mit klopfendem Herzen wartete er auf eine Reaktion. Lando schien über diesen Vorschlag nachzudenken.
„Ist es dort sicher? Die Hündin kann die Kleinen nicht verteidigen“, fragte er. Wolf nickte und erklärte stolz: „Ich habe dort schon übernachtet. Es gibt Höhlen, die man nur durch schmale Tunnel erreichen kann. Da passt keins