ECHNATON. Wieland Barthelmess. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wieland Barthelmess
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738053777
Скачать книгу
Sonnenlicht fingen und gleißend widerspiegelten. Fast konnte man meinen, eine kleine Sonne throne auf jeder der Spitzen. Diese Obelisken hatte Pharao Hatschepsut aufstellen lassen, von dem man sich erzählte, dass er eigentlich eine Frau gewesen sei. Aber gerne sprach man nicht darüber, denn allzu groß war die Verehrung und Hochachtung, die man diesem großen Herrscher entgegenbrachte, als dass man sie mit derart ungehörigen Dingen beflecken wollte.

      Anis Vater ließ das Boot ans Ufer treiben, noch lange bevor sie die Anlagestelle des Amun-Tempels erreicht hatten. „Da sind mir zu viele Menschen unterwegs“, sagte er nur. „Nachher ist unser Boot noch verschwunden. Hier in der Stadt klauen sie alle wie die Paviane!“ Und in der Tat: Es herrschte quirliges Treiben am Bootssteg flussabwärts. Ein prächtiges Schiff, bewacht von mehreren Bewaffneten, lag dort vertäut. Es musste einem Fürsten gehören, so verschwenderisch war es bemalt und mit bunten Stoffen geschmückt. Es standen Dutzende von Leuten herum, die gafften und schwatzten. Unter ihnen priesen Wasserverkäufer ihr kühles Gut an, eine Frau mit schriller Stimme versuchte auf sich aufmerksam zu machen, um ihre Amulette zu verkaufen und eine Menge neugieriger Kinder wuselte herum.

      So nah der dichte Schilfgürtel es zuließ, steuerte der Vater das Boot ans Ufer und befestigte es an einem aus dem Schlick heraus ragenden Ast. Ani erschrak, als er ins Wasser sprang und spürte, dass seine Füße sogleich im Schlamm versanken. „Ja, hier kannst du nicht stehen bleiben“, sagte der Vater, „hier musst du laufen!“ und reichte ihm den Korb mit den Opfergaben. Ani musste aufpassen, dass er sie auch sicher an Land brachte, denn nur so würde der zornige Gott zu besänftigen sein. Er merkte das Gewicht der Verantwortung, das auf seinen Schultern lag. Doch schließlich spürte er wieder festen Boden unter den Füßen. Zufrieden drehte der Vater sich um. „Unser Boot wird hier so schnell niemand entdecken“, meinte er halblaut. „Ich hoffe nur, dass wir selbst es nachher auch wieder finden.“

      Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wollte der Vater sich schon auf den Weg in Richtung Anlegestelle machen, als er mitten in der Außenmauer des Tempels eine kleine Pforte entdeckte. Sie war kaum auszumachen gewesen, war sie doch mit Mauerwerk bemalt, das sich aufs Genaueste dem echten Gemäuer anpasste. So war es nur aus allernächster Nähe möglich, sie tatsächlich auch als Täuschung zu erkennen. Prüfend klopfte der Vater dagegen - und in der Tat: Es klang, als ob es hohl dahinter wäre. Er drückte dagegen – und tatsächlich: Sie war nicht verschlossen. Vorsichtig drückte er sie auf, wobei sie seltsamerweise keinen Ton von sich gab. Also, dachte Ani, dürfte es nicht allzu selten geschehen, dass sie benutzt wurde. Hinter der Pforte war es stockdunkel und Ani konnte fühlen, wie kühle Luft aus dem Inneren des Tempels zu ihnen in die Mittagsglut strömte, angefüllt mit dem Duft von Weihrauch und Myrrhe. Ani erschauderte, denn er spürte, dass er dem Gott nahe war.

      „Ja, hier haust Amun“, nickte der Vater wie zur Bestätigung, der ebenfalls den Duft des Gottes gerochen hatte. „Der Herrscher der Orakel, der Zürnende. Und keiner weiß so recht, warum er überhaupt zürnt.“ Vater nahm Ani den Korb aus den Händen. „Ich erledige das hier jetzt gleich. Und du bleibst auf der Stelle stehen und wartest, bis ich wiederkomme.“

      „Nimm mich mit!“, flehte Ani, doch der Vater schüttelte den Kopf und sah ihn streng an. Schon war er im Dunkel des Tempels verschwunden, während Ani ihn noch rufen hörte: „Ihr heiligen Männer, wo seid ihr, um meine Gaben zu empfangen? Wo seid ihr, ich höre doch eure Stimmen?“ Nach einer Weile Grabesstille konnte Ani den Vater wie aus weiter Ferne abermals rufen hören: „Ihr heiligen Männer, für Gott Amun bringe ich meine Opfergaben. So zeigt euch und nehmt sie entgegen!“ Auf einen Wimpernschlag absoluter Ruhe folgte ein Schrei - dann noch einer und dann noch einer, gurgelnd und erstickend. Ani schreckte derart zusammen, so dass er unwillkürlich einen Schritt nach hinten tat. Er stolperte, er fiel, er hörte Schritte und Stimmen, er sprang auf, lief fort. Wohin nur? Wohin?

      Plötzlich stand er vor ihm: Ein Junge – etwa in seinem Alter, vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Nur so ganz anders sah er aus. „Verpetz mich nicht!“, sagte der andere außer Atem, was Ani zunächst verwirrte, klang es doch eher wie ein Befehl und weniger wie eine Bitte. Doch Ani spürte eine seltsame Komplizenschaft in sich aufkeimen, denn auch er wollte nichts anderes, als schleunigst wegzukommen von diesem grauenhaften Ort. „Komm!“, winkte er dem Jungen zu. „Im Schilf, da liegt unser Papyrusboot.“

      Als Ani dem Jungen ins Boot half, sah er die schlammverschmierten goldene Sandalen an dessen Füßen. So etwas hatte er noch nie gesehen! Also nahm er die Füße des Jungen, einen nach dem anderen, und schwenkte sie im Flusswasser ab. „Du kannst mich doch nicht einfach anfassen“, staunte der fremde Junge, schaute dann aber doch ganz zufrieden drein, als seine Füße wieder sauber waren.

      “Wieso denn das nicht?“, fragte Ani verwundert. Erst jetzt bemerkte er, was den Jungen so vollkommen anders aussehen ließ. Es war weniger die erlesene Kleidung, wie die goldenen Sandalen, der Schurz aus allerfeinstem Leinen, der breite Sonnenschutzkragen aus bunten Perlen oder das aufs Peinlichste in Falten gelegte Tuch, das von einem Goldreif auf dem Kopf des Jungen gehalten wurde. Diese Aufmachung erschien Ani schon eigentümlich genug, allein, weil sie von einer derartigen Gediegenheit war, wie er sie noch nie gesehen hatte. Was Ani sein Gegenüber so fremdartig erscheinen ließ, war vielmehr der gepflegte und wohlgenährte Körper des Jungen. Zudem war seine Haltung eigenartig gekünstelt. Er hockte nicht einfach auf den zu einem Boot gebundenen Papyrusstängeln, sondern er thronte geradezu auf ihnen. Es war offensichtlich, dass seine Haut nie lange der Sonnenglut ausgesetzt war. Sie war zwar nicht wirklich hell, allerdings auch keineswegs verbrannt, wie bei den Menschen zu Hause, die auf den Feldern arbeiteten. Außerdem war sie sauber und ohne jegliche Schrammen, Narben oder Pusteln. Und als Ani die gepflegten Hände sah, zischte er unwillkürlich mit den Zähnen.

      „Was glotzt du denn so blöde?“ Der andere fühlte sich begutachtet, was ihm offenbar wenig behagte. „Ist das überhaupt dein Boot? Oder bist du so was wie ein Dieb?“

      „Ich bin kein Dieb“, entgegnete Ani entrüstet, „genauso wenig wie ich ein Verräter bin.“

      Erst jetzt nahmen sie die Priester wahr, die aus der Pforte hervorgequollen kamen und spähend sowie Verwünschungen ausstoßend an der Tempelmauer standen oder das Ufer absuchten. Der komische Junge schien Freude an der Szene zu haben, denn er duckte sich hinter das Schilf wie eine Katze, die sich auf einen Leckerbissen freut.

      „Sollten wir nicht lieber abhauen?“, fragte Ani besorgt. „Der Fluss ist so reißend, dass wir längst weit weg sein werden, bis sie uns überhaupt gesehen haben.“

      „Und dann?“, kam die Antwort. „Bis nach Malqata werden wir’s mit deinen armseligen Schilfbündeln wohl kaum schaffen.“ Dabei deutete der Junge auf ein in weiter Ferne liegendes flaches, aber weiträumiges Gebäude auf der anderen Seite des Nils.

      „Was?!“, rief Ani fast ein wenig zu laut, um nicht die Priester auf sich aufmerksam zu machen. „Auf die andere Seite des Nils, in die Duat sollen wir fahren? Ins Reich der Toten und der Götter? Du bist doch nicht recht bei Trost?“

      „Was für einen Blödsinn redet er daher?“ Der Junge funkelte ihn herrisch an. „Wer ist er überhaupt? Und was hat solch ein Bauernlümmel hier am Allerheiligsten des Tempels zu schaffen?“

      „Dich in mein Boot retten.“ Ani blickte ihm fest in die Augen. „Wenn du willst, kannst du gerne aussteigen und zu deinen Priestern rübergehen.“

      „Das sind nicht meine Priester. Das sind Amuns Priester.“

      Ani meinte, etwas Feindseliges in der Stimme des Jungen zu hören. Und um der Maat Genüge zu tun, die Ausgewogenheit in allen Lebenslagen forderte, raunte er dem Jungen versöhnlich zu: „Ich bin übrigens Ani, der Sohn des Imenhotep.“

      „Das passt ja gut!“ Der andere lachte. „Ich bin Amenhotep, der Sohn des Amenhotep.“ Stolz richtete er sich auf.

      „Ja, komisch. Klingt ähnlich. Imenhotep – Amenhotep.“ Ani zuckte mit den Schultern.

      „Du bist ja ein richtiger Bauerntrampel!“ Der Junge war begeistert und strahlte ihn an. „Imenhotep – Amenhotep. Das ist doch