Die Flucht des Feuerteufels. Tom Aspacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tom Aspacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753188959
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woher die »Nordost-Nachrichten« dieses ganze Insiderwissen und vor allem den Namen dieses Scheißkerls hatten. Dass Leimbacher der Konkurrenz einen Tipp gegeben haben könnte, schloss er aus. Die beiden Zeitungen bekämpften sich schließlich bei jeder Gelegenheit. Zudem hatte der Dicke viel zu viel Schiss, deswegen belangt zu werden. Und die Praktikantin schien für jegliche selbstständige Handlung deutlich zu beschränkt zu sein. Für Kathrin Speicher würde er seine Hand ins Feuer legen. Sie war die einzige Journalistin, die er kannte, die fair und ausgewogen und auch mit einer gewissen Zurückhaltung berichtete. Das Leck musste sich irgendwo in seinem Revier befinden. Denn die Spezialisten hatten das Überwachungsvideo erst um sechs Uhr abends so weit aufbereitet, dass Holsbein zweifelsfrei als Täter identifiziert werden konnte. Diese Information war den »Nordost-Nachrichten« gezielt zugespielt worden, da war er sich sicher, denn sonst hätte es das Ganze nie mehr in die heutige Ausgabe geschafft. Seine einzige Hoffnung war, dass Camenzind einlenken und den Informanten bekannt geben würde. Aber für diese Journalisten war der Quellenschutz eine heilige Kuh; dafür kämpften sie, wie wenn es um ihr Leben ginge. Falls die Staatsanwaltschaft einen guten Tag hatte, konnte man vielleicht mit einer superprovisorischen Verfügung die Herausgabe des Namens erwirken. Doch aufgrund der Einsprachemöglichkeiten erhielten die Ermittler die gewünschten Angaben in den meisten Fällen erst, wenn es eh schon zu spät war und der Täter entweder über alle Berge oder aber gefasst war. Dass die Medien die Arbeit der Polizei mit dem Segen des Gesetzgebers dermaßen behindern konnten, machte ihn mit jedem Mal wütender.

      Allerdings musste Widmer sich eingestehen, dass er sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte. Die ersten Fälle von Brandstiftung waren für ihn Streiche von jugendlichen Vandalen gewesen, denen man seiner Meinung nach nicht zu viel Bedeutung zukommen lassen durfte. Die Ermittlungen überließ er deshalb nur zu gerne der Stadtpolizei. Und der Großbrand sah für ihn zuerst wie ein technischer Defekt und eine Verknüpfung unglücklicher Umstände aus. Als dann der Hausmeister ankam und erzählte, er habe Richard Holsbein beim Feuerlegen beobachtet, nahm er das ebenfalls nicht besonders ernst. Der Alte war als Sprüche klopfender Quartalssäufer bekannt und Dauergast in der Ausnüchterungszelle. Wenn so einer behauptete, um ein Uhr nachts etwas gesehen zu haben, wie glaubwürdig war das? Zudem konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Holsbein als Feuerteufel sein Unwesen trieb. Das war zwar ein hinterhältiger Dreckskerl, der ihn schon mehrmals in seinem Käseblatt bloßgestellt hatte. Doch wieso sollte er Abfalleimer und Hühner anzünden?

      Immerhin: Als die Kollegen mit dem Videobeweis ankamen, hatte er sofort gehandelt und dem Zwangsmaßnahmengericht eine Handyortung und die Herausgabe der Verbindungsdaten durch die Telefongesellschaft beantragt. Der Entscheid musste nun jeden Moment bei ihm eintreffen.

      * * * * *

      Am frühen Nachmittag erreichte Holsbein Basel. In Kleinhüningen kurz vor der deutschen Grenze fuhr er von der Autobahn ab und hielt vor dem nächstbesten Lokal an. Es hatte angefangen zu regnen, und er ließ sich die dicken warmen Tropfen einige Sekunden lang ins Gesicht fallen, bevor er das Restaurant Schiff betrat. Ein paar Gäste saßen am Stammtisch vor ihrem Bier, ansonsten war das Lokal leer. Holsbein nahm an der Bar Platz und bestellte einen Kaffee. Er schaltete sein Handy ein. Als er die Website der »Nordost-Nachrichten« aufrief, wurde er mit einem Schlag kreidebleich. Wieso zum Geier war da ein Bild von ihm? Er las die Überschrift: »Lokaljournalist R. H. ist der Feuerteufel von Amsheim«. »Wollen die mich verscheißern?«, fluchte Holsbein in sich hinein. R Punkt H Punkt? Lokaljournalist? Und dann dieses Bild mit diesem lächerlichen, kleinen schwarzen Balken? Da erkannte ihn ja jeder bescheuerte Idiot! Er las, dass er dank der Überwachungskamera auf der Sportanlage zweifelsfrei als Täter identifiziert worden sei. Und dass die Polizei den Schaden auf sechs bis acht Millionen Franken bezifferte, die Beseitigung der Umweltschäden nicht eingerechnet. Der Zustand der Frau war offenbar nach wie vor kritisch, aber stabil. »Immerhin«, brummte Holsbein.

      Mit dem Artikel verlinkt war ein Video, das ein Interview mit dem Stadtpräsidenten zeigte. »Stadtpräsident Hans Ehrbar regt sich fürchterlich über die Umweltverschmutzung auf«, stand in der Überschrift. Auf dem Standbild war zu sehen, wie der Alte mit hochrotem Kopf und Zornesfalten in ein Mikrofon schimpfte. Holsbeins Laune verbesserte sich gleich merklich. Er speicherte den Artikel mitsamt dem Video auf seinem Handy ab; das würde er sich später in aller Ruhe zu Gemüte führen.

      Holsbein trank den letzten Schluck Kaffee, knallte fünf Franken auf den Tresen, ging noch schnell pissen und verließ dann das Lokal. Sein Handy piepte, eine SMS. Püppy wollte wissen, wo er war und was er vorhatte. Er schrieb zurück: »Bin in Basel und überquere jetzt dann gleich die deutsche Grenze. Versuche mich nach Rotterdam durchzuschlagen. Dort werde ich auf einem Frachter anheuern und erst einmal untertauchen. Aber sags nicht weiter. Melde mich wieder.«

      Am Geldautomaten um die Ecke zog er mit seiner EC-Karte die restlichen 1850 Euro von seinem Konto und hob dann mit seiner Kreditkarte das Monatslimit von 5000 Euro ab. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so viel Geld mit sich herumgeschleppt hatte. Holsbein setzte sich ins Auto und wählte die Nummer seines Mitbewohners. Doch der Idiot spielte offenbar toter Mann und ging wieder nicht ran. Also schaltete er sein Handy aus und zog sicherheitshalber auch gleich noch die SIM-Karte aus dem Schlitz. Die paar Minuten hatten bestimmt gereicht für eine Ortung.

      * * * * *

      »Die Rechnung bitte.« Widmer wischte sich den Bart mit der Papierserviette sauber. Ganz zufrieden war er nicht mit dem gebratenen Dorschfilet, zu trocken, zu fad. Nun aber war es an der Zeit, mal einen Blick in Holsbeins Wohnung zu werfen und sich dabei auch diesen Kowalski etwas genauer anzuschauen. Mittlerweile hatte das Gericht die Handyortung abgesegnet, und vor zwanzig Minuten war zudem eine erste Auswertung der Verbindungsdaten eingetroffen. Der zufolge hatte Holsbein seinen Mitbewohner seit der Tat mehrere Male angerufen. Das letzte Signal wurde im Bereich der Autobahnraststätte Grauholz registriert, ganz genau ließ sich das nicht lokalisieren. Das war vor rund zweiundzwanzig Stunden gewesen, und seither herrschte Funkstille, weshalb auch die Handyortung bisher ohne Erfolg verlief. Der durchtriebene Hund hatte das Gerät offenbar ausgeschaltet, vermutete Widmer und hoffte auf das Update in einer Stunde. Vielleicht würde sich bis dahin auch auf Holsbeins Redaktionscomputer etwas finden lassen, das Aufschluss über sein Motiv oder einen möglichen Aufenthaltsort geben konnte. Aber die IT-Heinis waren noch nicht in die passwortgeschützten Bereiche vorgedrungen. Und bis die Bank und die Kreditkartenfirma jeweils die Bezüge meldeten, dauerte es immer ewig.

      Kowalski schien nicht zu Hause zu sein.

      »Den habe ich das letzte Mal vorgestern Nacht gesehen«, geiferte die Alte, die Widmer reingelassen hatte und ihm nun nicht mehr von der Seite wich. »Er und dieser Holsbein kamen nachts um halb vier nach Hause, die haben gegrölt und gelacht, deshalb bin ich wach geworden.«

      Widmer klingelte erneut. »Haben die beiden was Bestimmtes gegrölt?«

      »Sie haben sich unterhalten, aber ich habe nicht verstanden, um was es ging. Die sind Arm in Arm die Treppe raufgelaufen. Was denken Sie, sind das zwei Schwule? Sind Sie deswegen hier, Herr Wachtmeister?«

      »Nein.« Widmer ließ den Finger nun beharrlich auf der Klingel. »Haben Sie die heutige Zeitung nicht gelesen?«

      »Ich lese doch keine Zeitung«, schnauzte sie. »Das ist sowieso alles gelogen, was da drin steht.«

      Widmer rief auf dem Revier an. »Hallo Erwin, ich brauche hier einen Türöffner, Amwandstraße 25a, eine Mietwohnung.«

      »Kommt nicht infrage«, motzte Dienstchef Suter, »das ist die Wohnung von Holsbein, und ich habe schon genug Stress mit dem Staatsanwalt, weil einer von euch Idioten allein aufgrund der Aussage eines stadtbekannten Alkoholikers den Computer und den anderen Kram dieses Wichsers aus der Redaktion beschlagnahmt hat.«

      »Immer langsam, mein Bester«, sagte Widmer beschwichtigend. »Am Ende lagen wir ja richtig mit unserem Verdacht.«

      »Das schon, aber dem gehts ums Prinzip, das kennst du ja. Und darum, dass die Beweise vor Gericht standhalten. Also warte gefälligst, bis wir den Durchsuchungsbefehl haben.«

      »Das kann noch Stunden dauern, und so viel Zeit habe ich nicht«, moserte Widmer. »Also schick jetzt unsere Leute her, es handelt sich um einen