Paulo wird ein Goor (9). HaMuJu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: HaMuJu
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847655732
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das sich drehte und drehte, immer gleich und die Zeit verging, bis wir mit einem Male merkten, dass wir beide ein paar Jahre älter geworden waren, sich aber an uns und unserem Alltag nichts verändert hatte. Das Ende kam, als Marietta mir eines Abends etwas von einer Stelle in ihrem Fachbereich erzählte, die in einer Stadt im Süden ausgeschrieben war, und ich ihr dazu riet, sich auf die Stelle zu bewerben, sie sollte doch an ihr Vorwärtskommen denken, wir hätten dann zwar nur eine Wochenendbeziehung, die hätten andere aber auch, irgendwie ginge das schon. Marietta überlegte nicht lange und bewarb sich auf die Stelle, es war eine Chefarztposition in der Inneren Abteilung eines großen Krankenhauses. Marietta bot die besten Voraussetzungen, sie war Oberärztin und sie war, was nicht unwichtig war, eine Frau, sie hatte beste Zeugnisse. Marietta bekam die Stelle.

      Sie kam noch vier- oder fünfmal hoch zu mir, ich fuhr auch mal runter zu ihr, aber uns beiden war klar, dass unsere Beziehung damit beendet war. Eines Tages, Marietta hatte mir gerade ihre Abteilung gezeigt, sie war mit modernstem Gerät ausgestattet, sagte ich zu ihr, dass ich glaubte, dass es das Beste wäre, wenn wir unsere Ehe auflösten. Marietta schaute nur kurz geradeaus, warf mir einen flüchtigen Blick zu und sagte dann nur: „Wenn Du meinst!“. Das war alles.

      Eine Beziehung, die voller Feuer und Hingabe begonnen hatte, war an den routinierten Abläufen des Alltags, die alles Frische und Impulsive, was eine Beziehung am Leben hielt, absorbiert hatten, aufgerieben worden. Wir reichten die Scheidung ein und trennten uns, ich fuhr wieder nach Hause und sah Marietta lange nicht mehr. Irgendwann hörte ich dann, dass sie wieder geheiratet hatte, einen Internisten von einem anderen Krankenhaus, Kinder hatte sie aber keine. In der Rückschau musste ich sagen, dass es nicht nur die Ehe war, die einem vieles abverlangte, es waren Mechanismen in der Gesellschaft am Werke, die etwas Zerstörerisches in sich bargen, sie reduzierten einen auf einen Funktionsträger, die Funktion, die man ausübte, ließ keinen Platz für Spontaneität oder individuelles Ausleben von Glücksansprüchen.

      Der vordere Teil des Sees bedeutete für uns Erholung, Entspannung, Ruhe, Sorglosigkeit, man ließ die Dinge treiben und fühlte sich wohl. Oft lag ich als Kind in der Sonne und vergaß die Zeit, meine Mutter rief mich zu den Mahlzeiten, die einen Einschnitt in meinem Tagesablauf bedeuteten, das war die Gelegenheit, wo wir alle zusammensaßen und miteinander redeten. Ansonsten bestand überhaupt keine Veranlassung dazu, jeder hatte am See sein Refugium, in dem er nicht gestört werden wollte. Das Refugium meines Vaters war das Boot, mit dem er zum Fischen hinausfuhr, stundenlang, den Strohhut auf dem Kopf, der dann als leuchtend gelber Punkt in der Ferne zu sehen war. Vater saß still, in sich ruhend. Man sah als einzige Bewegung dann manchmal, wie Vater seine Angel hereinholte, die Angelschnur auf die Rolle spulte, und wenn er keinen Fisch abnahm, einen neuen Köder auf den Haken steckte. Dann warf er die Angel wieder aus und es war lange nichts mehr von ihm gesehen, außer dem gelben Strohhut.

      Der Platz meiner Mutter war immer die Holzterrasse vor der Hütte, auf der sie es sich in den Terrassenmöbeln gemütlich machte. Wenn sie nicht auf der Liege lag und in der Sonne döste, saß sie am Tisch und löste Kreuzworträtsel, gelegentlich beschäftigte sie sich auch mit Sudokus oder sie nahm ihr Strickzeug und saß lange Zeit, um irgendwelche Strümpfe oder Pullover zu stricken. Wenn die Sachen für mich gedacht waren, rief sie mich ab und zu und ich musste zum Maßnehmen kommen. Ich stellte mich dann neben sie und streckte meinen Arm aus, an den sie ihre Strickarbeit hielt und deren Länge vermaß. Dann durfte ich mich wieder an meinen Sonnenplatz begeben und mich sonnen. Mutter strickte dann weiter und sprach kaum ein Wort. Manchmal summte sie alte Lieder vor sich hin, Lieder aus ihrer Kindheit.

      Als mein Bruder noch mit zur Hütte fuhr, lagen wir beide in der Sonne oder wir plantschten im Wasser des Sees, das in Ufernähe angenehm warm war. Später dann, als ich allein mit meinen Eltern zur Hütte fuhr, lag ich lange Zeit in der Sonne, in Wassernähe, den Blick auf den See gerichtet oder ich richtete meine Augen auf das dunkle Grün des Nadelwaldes, der den See umgab. An manchen Stellen schmiegte er sich geradezu an das Wasser, es hingen dort Äste im See, so als wollten sie Wasser aufnehmen.

      Der hintere Teil des Sees, der verwunschene Teil, war besonders dunkel, dorthin schien nie die Sonne, dort war der Nadelwald besonders dicht. Dort waren die Hänge, an denen der Wald stand, sehr steil, lediglich an unserer nördlichen Seite gab es eine Flachstelle, dort stieg das Gelände zwar auch an, aber nur sehr sanft. Die Hänge hatten sicher eine Höhe von dreihundert Metern, sie waren unwegsam, unerschlossen, man hätte sich hochkämpfen müssen. Es gab aber für uns gar keine Veranlassung, so etwas Anstrengendes zu betreiben. Ich beließ es zumeist dabei, mich in die Sonne zu legen oder schwimmen zu gehen, manchmal, wenn Vater nicht angelte, fuhr ich mit dem Boot hinaus, aber nie so weit, dass ich in den hinteren Seeteil geriet. In manchen Sommern, wenn es tagsüber nicht geregnet hatte, war der Weg zwischen Holzterrasse und See staubtrocken. Dann kamen die Sperlinge und nahmen Staubbäder an den Stellen des Weges, an denen sich der Staub aufgetürmt hatte. Sie steckten ihre Köpfe in den Staub und bewegten ihr Gefieder darin, dann schüttelten sie sich und schrien laut, wie vor Vergnügen. Wenn sie den Staub abgeschüttelt hatten, erhoben sie sich in die Luft und flogen davon.

      Unangenehm war der Staub dann, wenn man aus dem Wasser kam und noch nass war, dann legte sich die vom Gehen aufgewirbelte Staubwolke auf die Haut und verschmierte dort. Man musste dann noch einmal ins Wasser, sich hinterher auf den Steg legen und warten, bis man getrocknet war, um dann leichten Schrittes zur Hütte zu laufen.

      Diese Urlaubssommer hatten etwas von Materielosigkeit, von Unbeschwertheit, die Tage waren kaum spürbar, sie verflossen. Die Substanzlosigkeit übertrug sich auch auf unser Verhältnis zueinander, man nahm sich so gerade gegenseitig wahr, es wurde nicht viel geredet. Was ich so mitbekam, beschränkte sich der Umgang meiner Eltern untereinander auf das gemeinsame Essen, nie hatte ich sie Zärtlichkeiten austauschen gesehen, ob es nachts dazu kam, wusste ich nicht. Ich dachte in der Zeit, in der ich mich später allein an der Hütte aufhielt, oft an meine Aufenthalte mit Marietta, meistens liefen wir nackt an der Hütte herum und liebten uns, wenn wir gerade Lust dazu hatten, manchmal auf dem Steg, oft auf der Holzterrasse und sogar im Boot, wir waren völlig unbekümmert und vergaßen die Zeit um uns herum. Die Unbekümmertheit, die unsere Beziehung ausmachte, verschwand dann in dem Maße, in dem wir beide beruflich eingebunden waren, bis von ihr eines Tages gar nichts mehr vorhanden war, und wir uns trennten.

      Ich sehnte mich nach den glücklichen Monaten in meinem Leben und ich war davon überzeugt, dass es Marietta genau so ging. Heute, mit dem zeitlichen Abstand, saß ich an der Hütte und fühlte mich wohl, auch allein, der Beruf schuf einfach die Notwendigkeit des Abschaltens, des Sich-Fallenlassens. Ab und zu telefonierte ich mit Marietta, sie machte auch am Telefon einen sehr geschäftigen und ausgelaugten Eindruck, sie war sicher als Chefärztin in viele Verpflichtungen eingebunden und es war ihr wohl auch die Möglichkeit genommen, sich auszuklinken. Ob sie mit ihrem Partner glücklich war, konnte ich nicht beurteilen, sie lebte das Leben von Millionen anderen, determiniert, ohne Ausweichmöglichkeit, aber tat ich das nicht auch?

      Sicher, mein Fluchtpunkt, die Hütte, sie verlieh mir Flügel, auf denen ich dem Alltag entfliehen konnte, zumindest für die kurze Zeit meines Aufenthaltes. Ich war angekommen, hatte den Wagen in die Remise gestellt und zog mich nackt aus. So saß ich dann auf der Holzterrasse und schaute auf den See, in völliger Abgeschiedenheit und Stille. Wenn die Sonne am Spätnachmittag verschwand, um erst am fortgeschrittenen Vormittag des nächsten Tages für sieben Stunden wieder zu erscheinen, zog ich mir ein T-Shirt und ein Paar Shorts an. Manchmal kamen die Mücken uns stachen einen, ich hatte aus langjähriger Erfahrung aber einen guten Mückenschutz in der Hütte, den noch mein Vater besorgt hatte, ein überliefertes Rezept, nach dem der Mückenschutz angerührt wurde, er stank entsetzlich, half aber sehr gut.

      Manchmal steckte ich abends den Grill an und briet mir ein Stück Fleisch, manchmal aß ich aber auch einfach nur ein Stück Brot mit einem Stück Käse. Wenn ich daran gedacht hatte, gab es zum Essen eine Flasche Bier, gelegentlich hatte ich auch Schnaps da, oftmals gab es aber auch nichts, dann begnügte ich mich mit Wasser, dem kühlen, sauberen Seewasser, das ich in großen Schlucken trank. Es floss in einiger Entfernung ein winziges Bächlein in den See, an dessen Ufer kurz vor seiner Mündung Schachtelhalme standen. Ich ging dann zumeist früh schlafen, die Fenster standen sperrangelweit auf und das Konzert der Waldvögel erschallte in unglaublicher Klarheit und Intensität, bis es mit einem