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Paulo wird ein Goor (9)
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Inhaltsverzeichnis
Am See
Hans Müller-Jüngst
Paulo wird ein Goor (9)
Impressum
Texte: © Copyright by Hans Müller-Jüngst
Umschlag: © Copyright by Hans Müller-Jüngst…
Verlag: Hans Müller-Jüngst
Waisenhausstr. 4
47506 Neukirchen-Vluyn
Druck: epubli, ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
Printed in Germany
Wald, Wald
Es führt ein sicherer Pfad hinauf in die leuchtende Krone der Eiche.
Paulo hatte sein Aufenthaltslager mitten im Wald in einer Hütte, die einmal seinem Vater gehört hatte. Sein Vater hatte es dann aufgegeben, mit der Familie in die Hütte zu fahren, als er altersbedingt gebrechlich wurde. Er war immer mit Paulo und seiner Frau in die Hütte gefahren, um im Sommer für mindestens zwei Wochen die Ferien dort zu verbringen. Er hatte die Hütte seinerzeit zusammen mit seinem Bruder gebaut, bis der in relativ jungen Jahren an Krebs starb. Bis dahin hatte er sich mit seinem Bruder abgewechselt, wenn es in die Hütte ging, manchmal hatten sie auch ihre Ferien zusammen in der Hütte verbracht. Dann waren die Platzverhältnisse aber sehr beengt, die Kinder verbrachten die Nächte dann draußen in Zelten.
Paulo war sehr gerne mit seiner Cousine und seinem Cousin zusammen, sie waren in etwa gleichaltrig und mochten sich gegenseitig sehr. Außerhalb der Ferienzeiten sahen sie sich allerdings nicht allzu oft, sie wohnten zu weit auseinander, man hätte drei Stunden mit dem Auto oder dem Zug fahren müssen, das tat man gelegentlich, aber nicht oft. Das Grundstück hatten Pauls Vater und Onkel von ihrem Vater geerbt, der es wiederum über viele Generationen hinweg auch geerbt hatte und in seiner Naturbelassenheit bestehen ließ. Ich freute mich immer, wenn ich in dem Idyll sein durfte. Die Zeit in der Hütte schien dann wie ausgelagert, sie bemaß die Stunden und Minuten in einem besonderen Zusammenhang, der mit der normalen Zeit nichts zu tun zu haben schien, die Zeit verging auch langsamer.
Man hatte fast den Eindruck, einen Abschnitt seines Lebens in der Hütte zu verbringen.
Vor der Hütte lag ein See mit dunklem Wasser, eingebettet in eine wildzerklüftete Felsformation, er war relativ weitläufig. Der an der Hütte gelegene Teil war flach gehalten und eignete sich zum Schwimmen, er war schilfbestanden und am Grunde verschlammt. Lediglich ein schmaler, ins Tiefe führende Unterwassersteg war fest und mit Kieselsteinen versehen. Wir kannten als Kinder den Kieselweg und tasteten uns immer ins kalte Wasser vor, uns langsam abkühlend, ab und zu untertauchend und nach Luft japsend. War man einmal im Tiefen, war es herrlich, dort zu schwimmen und die im hinteren Teil des Sees steilen Felsen zu betrachten. Meine Cousine Britta war immer die Erste im Wasser, ich schaute, wenn wir zusammen ins Wasser gingen, auf ihren wohlgeformten Körper. Obwohl sie erst vierzehn war, hatte sie dennoch stark hervortretende Brüste, im kalten Wasser zeichneten sich dann in ihrem Bikinioberteil ihre Brustwarzen ab. Ich konnte mich dann kaum an ihr sattsehen und bedauerte es fast, wenn sie dann so schnell im Wasser verschwand. Sören, mein Cousin, war so ein Schisser wie ich, wir brauchten endlos lange, bis wir die Kälte überwunden hatten und uns ins kalte Nass fallen ließen.
„Geht nicht in den hinteren Teil des Gewässers, denn der ist verwunschen!“, so sagten uns unsere Eltern oft und übertrugen damit eine uralte Mär auf uns, eine Mär, die auch ihnen schon von ihren Eltern erzählt worden war und an die sie sich hielten. Auch heute war ich noch nie im felsigen Hinterteil des Sees, der See wäre dort sehr viele Meter tief, man hätte dort auch schon merkwürdige Wesen herumlaufen gesehen, vieles blieb aber im Dunkeln. Zur Hütte gehörte auch ein Nachen aus Holz, alt zwar, aber sehr gut in Schuss und stabil, ich bin mit ihm oft auf den See hinausgerudert um zu angeln oder einfach nur, um zu entspannen. Aber auch mit dem Boot fuhr ich nie zur verwunschenen Stelle des Sees, sie lag auch fast immer im Dunkeln, wenn die Sonne schien, dann beschien sie die Hütte und den Badeplatz, viel mehr aber nicht.
Rundherum war der See von tiefstem dunklem Wald eingefasst, von einem Wald, der so ausladend war, dass er im Osten bis an das Gebirge ragte, das gut und gerne dreißig Kilometer entfernt lag, im Norden an die Meeresküste stieß, die auch zwanzig Kilometer weit weg war, im Westen bis zu meiner Heimatstadt langte und im Süden von der Autobahn durchschnitten wurde, Stadt und Autobahn lagen jeweils rund dreißig Kilometer entfernt. Ich fuhr mit dem Wagen eine Stunde durch den Wald über unebene und zum Teil verwachsene Waldwege, bis ich an die Hütte gelangte und das Auto in die Remise stellte, sodass die Natur auch optisch durch kein Merkmal unserer Zivilisation gestört wurde. Es gab kein fließendes Wasser und keinen elektrischen Strom in der Hütte, natürlich gab es auch keine Kanalisation. Wozu hätte man elektrischen Strom gebraucht? Zum Fernsehen wohl kaum, auch auf die anderen dienenden Elemente seines Alltags wollte man ja in der Hütte verzichten, es gab deshalb keine Spülmaschine, keinen Kühlschrank und keine Waschmaschine und Licht wurde mit Gaslampen gemacht. Wasser wurde dem See entnommen, es war klar und sauber, sagte man jedenfalls, ich kochte es ab, bevor ich es trank, wahrscheinlich wäre das aber tatsächlich nicht nötig gewesen. Hinter der Hütte gab es ein Plumpsklo, ich erinnere mich, wie mein Vater es einst entleeren ließ, die Männer kippten den stinkenden Inhalt in den Wald, wo er eine Zeit lang vor sich hinroch, bevor die Natur ihn völlig neutralisierte.
Sobald ich mit meinem Wagen die Autobahn verließ und in den Wald einbog, kappte ich meine Verbindung zur Außenwelt, ich legte zu Hause auch mein Handy auf den Schreibtisch und war so völlig auf mich allein gestellt. Wenn mir bei meinem Hüttenaufenthalt etwas passiert wäre, man hätte mich so schnell nicht erreicht, sicher sagte ich im Krankenhaus