Aphrodite. Pierre Louys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pierre Louys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197845
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Das schmerzhaft-süße Verlangen!

      *

      Während die Flöten den langsamen Gesang des letzten Verses fortsetzten, hielt die Sängerin den Zuhörern, welche sich im Kreise um sie versammelt hatten, die Hand hin. Sie sammelte vier Obolen und ließ sie in ihre Schuhe gleiten.

      Nach und nach zerstreute sich die Menge, zahllos, neugierig auf sich selbst und auf die Vorbeigehenden. Das Geräusch der Schritte und der Stimmen deckte sogar das Rauschen des Meeres. Matrosen zogen mit vorgebeugtem Leibe Fahrzeuge ans Ufer. Mit vollen Körben auf den Armen gingen Früchteverkäuferinen vorbei. Bettler verlangten mit zitternden Händen ein Almosen. Mit vollen Schläuchen beladene Esel trabten vor den Stöcken der Eseltreiber daher. Aber nun war die Stunde gekommen, wo die Sonne untergeht; und zahlreicher noch als die geschäftige Menge, bedeckte die müßige Menge den Hafendamm. Gruppen bildeten sich hie und da, zwischen welchen die Frauen hin und her gingen. Man hörte bekannte Persönlichkeiten nennen. Die jungen Leute schauten sich die Philosophen an; diese hingegen betrachteten die Hetären.

      Und es waren Hetären jeder Gattung und jeden Ranges da, von den berühmtesten angefangen, welche mit lichter Seide bekleidet waren und Schuhe von Goldleder trugen, bis zu den elendesten, die mit bloßen Füßen daher gingen. Die Ärmsten waren nicht minder schön als die anderen, aber weniger glücklich, und die Aufmerksamkeit der Weisen war am liebsten auf diejenigen gerichtet, deren Anmuth nicht durch die Kunstgriffe der Gürtel und die Fülle des Schmuckes entstellt war. Da man am Vorabend der aphrodisischen Feste war, hatten diese Frauen die Freiheit die Kleidung zu wählen, die ihnen am besten saß, und einige der jüngsten waren so weit gegangen, überhaupt keine Kleider zu tragen. Aber ihre Nacktheit erregte bei Niemandem Anstoß, denn sie hätten nicht in dieser Weise jede Einzelheit derselben der Sonne ausgesetzt, wenn sie sich des kleinsten körperlichen Fehlers, der den Spott der verheiratheten Frauen herausgefordert hätte, bewußt gewesen wären.

      »Tryphaera! Tryphaera!«

      Und mit diesem Ausrufe stieß eine junge Hetäre von fröhlichem Aussehen einige Vorübergehende bei Seite, um eine Freundin, die sie bemerkt hatte, einzuholen.

      »Tryphaera? bist Du geladen?

      – Wo das, Seso?

      – Bei Bacchis.

      – Noch nicht. Giebt sie ein Mittagsmahl?

      – Ein Mittagsmahl? einen Festschmaus, meine Liebe. Sie will ihrer schönsten Sklavin, Aphrodisia, am zweiten Tage des Festes die Freiheit schenken.

      – Endlich hat sie bemerkt, daß man nur noch wegen ihrer Sklavin zu ihr kam.

      – Ich glaube, sie hat gar nichts bemerkt. Es ist eine Laune des alten Rheders Cheres. Er wollte das Mädchen für zehn Minen kaufen; Bacchis hat abgelehnt. Er bot zwanzig Minen und sie hat nochmals abgelehnt.

      – Sie ist verrückt.

      – Sie setzte eben ihren Ehrgeiz daran, eine befreite Sklavin zu haben. Übrigens hat sie recht gethan zu feilschen. Cheres wird gewiß fünf und dreißig Minen geben und für diesen Preis kann sich das Mädchen freimachen.

      – Fünf und dreißig Minen? Drei tausend fünf hundert Drachmen? Drei tausend fünf hundert Drachmen für eine Negerin!

      – Sie ist die Tochter eines Weißen.

      – Aber ihre Mutter ist schwarz.

      – Bacchis hat erklärt, daß sie sie nicht billiger hergeben würde, und der alte Cheres ist so verliebt, daß er eingewilligt hat.

      – Ist er wenigstens geladen?

      – Nein! Aphrodisia wird beim Festmahl als letzter Gang nach den Früchten aufgetragen werden. Jeder wird nach seinem Geschmacke davon kosten und am zweiten Tage erst soll man sie an Cheres abliefern; aber ich fürchte, daß sie dann recht müde sein wird …

      – Bemitleide sie nicht! Bei ihm wird sie Zeit haben auszuruhen. Ich kenne ihn, Seso. Ich habe ihn schlafen sehen.

      Sie lachten zusammen über Cheres. Dann lobten sie sich gegenseitig.

      »Du hast ein hübsches Kleid, sagte Seso. Hast Du es bei dir zu Hause sticken lassen?«

      Tryphaeras Kleid war aus dünnem, meergrünem Stoffe, der ganz mit breitblumigen Iris durchwirkt war. Ein in Gold gefaßter Karfunkel heftete dasselbe an der linken Schulter in spindelförmigen Falten fest; das Kleid fiel wie eine Schärpe zwischen den Brüsten hernieder, die ganze rechte Seite des Körpers bis zum Metallgürtel nackt lassend; nur ein enger Spalt, welcher sich bei jedem Schritte öffnete und wieder schloß, enthüllte das weiße Bein.

      Seso! sagte eine andere Stimme, Seso und Tryphaera, kommt, wenn ihr nichts Besseres zu thun habt. Ich gehe zur Mauer des Kerameikos, um zu sehen, ob mein Name dort angeschrieben steht.

      – Mousarion! woher kommst Du, Kleine?

      – Vom Leuchtturm, es ist Niemand dort.

      – Was sagst Du da? Man braucht ja nur zu fischen, so voll ist es dort.

      – Kein Fang für mich. Deßhalb geh’ ich zur Mauer. Kommt doch!

      Unterwegs erzählte Seso wieder vom beabsichtigten Gastmahle bei Bacchis.

      »Ach! bei Bacchis! rief Mousarion aus. Erinnerst Du dich des letzten Essens, Tryphaera: und alldessen, was man über Chrysis erzählt hat?

      – Sage es nicht wieder, Seso ist ihre Freundin.«

      Mousarion biß sich in die Lippen; doch schon fragte Seso ängstlich:

      »Wie? was hat man gesagt?

      – Oh! nur Bosheiten.

      – Sprechen ist leicht, erklärte Seso. Alle drei zusammengenommen wiegen wir Chrysis nicht auf. Am Tage wo es ihr gefallen wird ihr Viertel zu verlassen, um sich im Brouchion zu zeigen, wird so mancher unserer Geliebten uns nicht mehr wiedersehen wollen.

      – Oho!

      – Gewiß. Ich würde für dieses Weib Tollheiten begehen. Es giebt hier keine schönere, glaub es mir.

      Die drei Mädchen waren vor der Mauer des Kerameikos angekommen. Von einem Ende der weißen Wand bis zum andern folgte Inschrift auf Inschrift. Wenn ein Liebhaber sich einer Hetäre vorzustellen wünschte, genügte es ihre beiden Namen mit dem Preise, den er bot, da aufzuschreiben; hatte sie den Mann und das Geld als würdig erachtet, so blieb das Weib unter der Aufschrift stehen und wartete, bis der Verehrer wiederkam.

      »Schau mal, Seso! sagte Tryphaera lachend. Wer ist der boßhafte Spaßvogel, der das geschrieben hat?«

      Und sie lasen folgende, in plumper Schrift geschriebene Worte:

      Bacchis

       Thersites

       2 Obolen

      »Es sollte nicht erlaubt sein Weiber so zum Besten zu haben. Wenn ich der Rhymarch wäre, so hätte ich schon längst eine Untersuchung eröffnet.«

      Aber ein Stück weiter blieb Seso vor einer ernster zu nehmenden Inschrift stehen.

      Seso von Cnidos

       Timon, Lysias Sohn

       1 Mine

      »Ich bleibe,« sagte Seso erblassend.

      Und sie lehnte sich an die Wand, dem neidischen Blicke der vorbeigehenden Hetären ausgesetzt.

      Einige Schritte weiter fand Mousarion eine, wenn auch nicht so freigebige, so doch annehmbare Anfrage. Tryphaera kam allein auf den Hafendamm zurück.

      Der Abend war vorgeschritten, die Menge weniger dicht. Die drei Musikantinen jedoch fuhren fort zu singen und die Flöte zu blasen.

      Auf einen Unbekannten zutretend, dessen Schmeerbauch und dessen Kleidung ziemlich lächerlich aussahen, schlug ihm Tryphaera auf die Schulter:

      – Väterchen, ich wette, Du bist nicht von Alexandrien, wie?

      – In der That, mein Kind, antwortete