Vom Winde verweht. Margaret Mitchell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Margaret Mitchell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197203
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Beinen getragen. Sie steckten immer in den feinsten Reitstiefeln, die aufzutreiben waren, und er stand so breitbeinig darauf wie ein vierjähriger Gernegroß. Wenn ein kleiner Mensch sich ernst nimmt, macht er sich leicht lächerlich, aber der Bantamhahn ist im Hühnerhof eine geachtete Persönlichkeit, und Gerald war es auch. Niemand kam je auf den kühnen Gedanken, in Gerald 0'Hara einen Knirps zu sehen. Er war sechzig Jahre alt, und sein krauses Lockenhaar glänzte silberweiß. Aber sein gescheites Gesicht hatte nicht eine Falte, und in den harten kleinen blauen Augen blitzte die unbekümmerte Jugendlichkeit eines Menschen, der sein Gehirn nie mit abstrakteren Problemen beschäftigt hat, als wieviel Karten beim Pokerspiel zu kaufen seien. Sein Gesicht war so irisch, wie es selbst in seiner Heimat, die er schon so lange verlassen hatte, weit und breit kein irischeres gab: rund, hochrot, mit kurzer Nase und breitem Mund und über die Maßen streitlustig.

      Aber unter diesem Äußeren verbarg Gerald 0'Hara das weichste Herz. Er konnte es nicht mit ansehen, wenn ein Sklave zu seinen Vorhaltungen maulte, mochten sie noch so gerecht sein, er konnte kein Kätzchen miauen, kein Kind schreien hören. Aber es war ihm in der Seele zuwider, auf dieser Schwäche ertappt zu werden. Daß jeder, der ihm begegnete, nach fünf Minuten sein gutes Herz entdeckte, ahnte er nicht, und hätte er es geahnt, seine Eitelkeit hätte gewaltig darunter gelitten. Er gefiel sich in dem Gedanken, daß jeder ihm zitternd gehorchte, wenn er aus Leibeskräften seine Befehle brüllte. Daß auf der Plantage nur eine Stimme Gehorsam fand, nämlich die sanfte Stimme seiner Frau Ellen, war ihm nie in den Sinn gekommen. Dieses Geheimnis sollte er nie erfahren, denn von Ellen bis hinunter zum letzten Sklaven bestand eine stillschweigende Verschwörung, ihn in dem Glauben zu lassen, sein Wort sei Gesetz. Auf Scarlett machte sein lärmendes Gehaben am allerwenigsten Eindruck. Sie war die Älteste, und seitdem Gerald wußte, daß auf seine drei Söhne, die auf dem Familienfriedhof begraben lagen, keine mehr folgen konnten, hatte er sich angewöhnt, gleichsam von Mann zu Mann mit Scarlett zu reden, was sie höchst vergnüglich fand.

      Sie glich ihrem Vater mehr als die jüngeren Schwestern. Careen, eigentlich Caroline-Irene geheißen, war zart und träumerisch, und Suellen, die auf die Namen Susanne-Ellinor getauft war, tat sich viel auf ihre Eleganz und vornehme Haltung zugute. Vor allem waren Scarlett und ihr Vater durch ein Abkommen der gegenseitigen Vertuschung aneinander gebunden. Wenn Gerald sie dabei überraschte, daß sie über einen Zaun kletterte, anstatt eine halbe Meile bis zum Gatter zu gehen, oder noch spät mit einem Verehrer auf den Stufen zur Veranda saß, putzte er sie zwar tüchtig herunter, aber verschwieg es vor Ellen und Mammy. Wenn dagegen Scarlett ihn über Zäune springen sah, trotz des feierlichen Versprechens, es nicht zu tun, oder wenn sie die genaue Höhe seiner Pokerverluste erfuhr, was sich beim Provinzklatsch kaum vermeiden ließ, so hütete sie sich, bei Suellens scheinbarer Arglosigkeit am Tisch davon anzufangen. Scarlett und ihr Vater versicherten einander feierlich, es könne Ellen nur verletzen, wenn ihr so etwas zu 0hren käme, und um nichts in der Welt konnten die beiden es übers Herz bringen, ihr weh zu tun.

      In dem erlöschenden Tageslicht sah Scarlett ihren Vater an und fand Trost in seiner Gegenwart, ohne zu wissen, warum. Das Urlebe ndige, Erdhaft-Derbe in ihm erfüllte sie mit Vertrauen. Da sie nicht die geringste Menschenkenntnis hatte, wurde es ihr nicht klar, daß es geschah, weil sie ihm immer noch sehr ähnlich war, obwohl Ellen und Mammy sich sechzehn Jahre lang abgemüht hatten, seine Züge in ihr zu verwischen.

      »Jetzt kannst du dich getrost blicken lassen«, sagte sie, »und wenn du dich nicht selbst mit deinen Streichen aufspielst, wirst du keinen Verdacht erregen. Aber ich finde doch, nachdem du dir voriges Jahr das Knie gebrochen hast, als du über denselben Zaun ...«

      »Hol mich der Satan, wenn ich mir von meiner eigenen Tochter vorschreiben lassen soll, wo ich springen darf und wo nicht«, fuhr er sie an und kniff sie noch einmal in die Wange. »Mein Genick gehört mir, jawohl! Übrigens, was machst du hier ohne deinen Schal?«

      Als er so mit seinen üblichen Schlichen aus einer peinlichen Unterhaltung zu entkommen suchte, hakte sie ihn leise ein und sagte: »Ich habe auf dich gewartet. Ich wußte ja nicht, daß du so spät kommen würdest. Ich wartete nur, umzu hören, ob du Dilcey gekauft hast.«

      »Freilich habe ich sie gekauft, sie und ihr kleines Mädel Prissy, und der Preis hat mich ruiniert. John Wilkes wollte sie mir schenken, aber niemand soll sagen, daß Gerald 0'Hara sich etwas schenken läßt. Schließlich hat er dreitausend für die beiden angenommen.«

      »Um Himmels willen, Pa, dreitausend! Und du hättest es doch gar nicht nötig gehabt, Prissy auch zu kaufen!«

      »Ist es schon soweit, daß meine eigenen Töchter über mich zu Gericht sitzen?« donnerte Gerald pathetisch. »Prissy ist ein nettes kleines Ding, und deshalb ...«

      »Ich kenne sie, ein albernes, gerissenes Balg«, erwiderte Scarlett ruhig. Sein Lärmen machte auf sie keinen Eindruck. »Du hast sie einzig und allein gekauft, weil Dilcey dich darum gebeten hat.«

      Gerald machte ein betretenes Gesicht wie immer, wenn er auf einer guten Tat ertappt wurde, und Scarlett mußte lachen, weil er so ohne weiteres zu durchschauen war.

      »Und wenn schon! Es hat doch keinen Zweck, Dilcey zu kaufen, wenn sie nachher des Kindes wegen immer den Kopf hängen läßt. Aber nie wieder erlaube ich einem Schwarzen, ein Mädchen von anderswo zu heiraten, das ist mir zu teuer. So, kommmit, Puß, hinein zum Abendessen.«

      Das Dunkel wurde immer undurchdringlicher. Der letzte grünliche Schimmer war vom Himmel verschwunden, und die laue Frühlingsluft hatte einer leichten Kühle Platz gemacht. Scarlett überlegte, wie sie wohl das Gespräch auf Ashley bringen konnte, ohne Argwohn zu erregen. Das war schwierig, denn Scarlett besaß keine Spur von Durchtriebenheit, und Gerald glich ihr darin so sehr, daß er ihre schwachen Winkelzüge immer sofort durchschaute, genau wie sie die seinen. Und taktvoll war er auch nicht dabei.

      »Wie geht es denn denen drüben in Twelve 0aks?«

      »Nun, so ziemlich wie immer. Cade Calvert war da, und als ich wegen Dilcey abgeschlossen hatte, saßen wir alle auf der Galerie und tranken einige Whiskys. Cade war gerade von Atlanta gekommen, und da ist alles aus dem Häuschen und spricht nur von Krieg.«

      Scarlett seufzte. Wenn Gerald einmal vom Krieg anfing, konnte es stundenlang dauern, bis er wieder aufhörte. Schnell brachte sie etwas anderes zur Sprache.

      »Haben sie etwas vomGartenfest morgen gesagt?«

      »Ja, nun fällt es mir wieder ein. Miß ... wie heißt sie denn ... das nette kleine Tierchen, das voriges Jahr hier war, Ashleys Cousine, weißt du ... ach ja, Miß Melanie Hamilton und ihr Bruder Charles waren schon aus Atlanta heraufgekommen und ...«

      »Ach, ist sie schon da?«

      »Ja, ein nettes stilles Ding, das nie von selber etwas sagt, ganz wie eine Frau sein sollte. Aber kommjetzt, Mutter sucht uns sicher schon überall.«

      Scarlett sank das Herz in die Schuhe, als sie das hörte. Gegen alle.

      Wahrscheinlichkeit hatte sie gehofft, daß irgend etwas Melanie Hamilton in Atlanta, wohin sie gehörte, zurückhalten würde, und in der Erkenntnis, daß sogar Gerald ihr sanftes stilles Wesen, das von ihrem eigenen so gänzlich verschieden war, guthieß, konnte sie nicht länger mehr an sich halten.

      »War Ashley auch dabei?«

      »Ja.« Gerald ließ den Arm seiner Tochter los, drehte sich um und blickte ihr scharf ins Gesicht. »Wenn du deswegen auf mich gewartet hast, warum sagst du es mir nicht gleich und gehst wie die Katze um den heißen Brei herum?«

      Nun fiel Scarlett nichts weiter ein, unwillig fühlte sie, wie sie rot wurde. »Also, heraus mit der Sprache!«

      Sie sagte noch immer nichts. Wenn sie doch den eigenen Vater packen, schütteln, ihm den Mund verbieten dürfte!

      »Er war da und hat sehr freundlich nach dir gefragt. Das taten auch seine Schwestern, sie hofften, daß nichts dich morgen abhalten würde, zum Gartenfest zu kommen. Es wird doch nicht etwa?« fragte er verschmitzt. »Nun, Mädchen, was soll das alles heißen mit dir und Ashley?«

      »Gar