Das Gepäck an Bildung, das Gerald mit nach Amerika nahm, war dürftig, aber er wußte es nicht. Seine Mutter hatte ihn Lesen und Schreiben gelehrt, auch rechnen konnte er gut, und damit war seine Weisheit erschöpft. Das einzige Latein, was er kannte, waren die Responsorien der Messe, die einzige Weltgeschichte war für ihn all das Unrecht, das Irland angetan worden war. In der Poesie kannte er nur Moore, in der Musik nur die irischen Lieder aus den alten Überlieferungen. Er hatte eine lebhafte Hochachtung vor Leuten, die mehr gelernt hatten als er, aber seine eigenen Lücken empfand er nie als Mangel. Wozu auch all das in einem Neuland, wo seine ungebildetsten Landsleute das größte Vermögen gemacht hatten, wo man nur danach fragte, ob jemand kräftig war und keine Arbeit scheute!
Auch James und Andrew, die ihn in ihrem Kaufhaus in Savannah unterbrachten, vermißten nichts an seiner Bildung. Seine Handschrift, sein gutes Rechnen und seine kaufmännische Gerissenheit gewann ihren Beifall. Literarische und musikalische Kenntnisse hätten nur ihre Verachtung erregt. Im Anfang des Jahrhunderts war Amerika den Iren freundlich gesonnen. James und Andrew, die damit angefangen hatten, Waren im Planwagen aus Savannah in das Innere Georgias zu bringen, hatten es jetzt zu einem Kaufhaus gebracht, und Gerald kam mit ihnen voran. Der Süden und seine Bewohner gefielen ihm, und bald gehörte er nach seiner eigenen Meinung völlig dazu. Der Süden und seine Bewohner hatten zwar manches an sich, was ihm immer unverständlich blieb; aber wie alles, was er tat, von ganzem Herzen geschah, so machte er sich auch ihre Ansichten und Gewohnheiten ganz zu eigen: Poker und Pferderennen, ihre politische Hitzköpfigkeit und ihren Ehrenkodex, die Rechte der Südstaaten und den Groll gegen die Yankees, Sklaverei und Baumwolle, Verachtung für das besitzlose Gesindel und übertriebene Höflichkeit gegen die Damen. Er hatte sogar Tabakkauen gelernt; das Whiskytrinken brauchte er nicht erst zu lernen; das konnte er von der Wiege auf.
Und doch blieb Gerald 0'Hara er selbst. Seine Lebensgewohnheiten und Ansichten veränderten sich, aber seine Eigenart wollte er nicht ändern, auch wenn er es gekonnt hätte. Er bewunderte die lässige Eleganz der reichen Pflanzer, die aus ihren moosverhangenen Königreichen auf V ollblutpferden nach Savannah geritten kamen, hinter ihnen die Equipagen ihrer nicht minder eleganten Damen und die Leiterwagen ihrer Sklaven. Bis zur Eleganz brachte es Gerald nie. Ihre gedehnten, verschleierten Stimmen schlugen angenehm an sein 0hr, er aber blieb bei seiner harten irischen Mundart. Er hatte die Grazie gern, mit der sie wichtige Angelegenheiten obenhin behandelten, ein Vermögen, eine Plantage oder einen Schwarzen auf eine Pokerkarte setzten, ihre Verluste mit sorglosem Gleichmut hinnahmen, als wären sie nicht mehr als die Pfennige, die sie den farbigen Junden zuwarfen. Aber Gerald hatte die Armut gekannt und lernte nie, mit Grazie und Humor Geld zu verlieren. Ein angenehmer Schlag waren sie, diese Georgianer von der Küste, mit ihrem raschen Aufbrausen, das sich doch in ihrer Sprache so sanft ausnahm, mit ihren scharmanten Widersprüchen und Ungereimtheiten. Gerald hatte sie gern. Der junge Ire, der eben aus einem Lande zugewandert war, wo der Wind kalt und kräftig weht, wo es keine dunstigen, fieberbrütenden Sümpfe gibt, besaß eine unverwüstliche Lebenskraft, die ihn von der trägen Aristokratie der Malarianiederungen mit ihrem subtropischen Klima ein für allemal unterschied. Was ihm nutzen konnte, lernte er; um den Rest kümmerte er sich nicht. Als nützlichste aller südstaatlichen Gepflogenheiten erkannte er bald das Pokerspiel und einen Kopf, der dem Whisky standhielt. Seine angeborene Begabung für Karten und Schnaps trug Gerald zwei seiner drei kostbarsten Besitztümer ein, seinen Diener und seine Plantage. Das dritte war seine Frau, und sie verdankte er, nach seiner Meinung, allein der unerforschlichen Güte Gottes.
Der Diener namens Pork, tiefschwarz und in den erlesensten Feinheiten der Schneiderkunst beschlagen, fiel ihm in einer Nacht zu, die er mit einem Pflanzer aus St.-Simons-Island verpokerte, einem Manne, dessen Kühnheit im Bluffen der Geralds gleichkam, dessen Kopf aber dem New-0rleans - Rum nicht in gleichem Maße standhielt. Porks früherer Besitzer erbot sich, ihn um das Doppelte zurückzukaufen, aber Gerald blieb fest. Mit dem Besitz seines ersten Sklaven und nun gar des »verdammt noch mal besten Dieners an der ganzen Küste« war die erste Stufe zur Erfüllung seiner Herzenswünsche erklommen. Gerald wollte Sklavenhalter und Großgrundbesitzer werden.
Er war entschlossen, nicht wie James und Andrew seine Tage mit Feilschen und seine Nächte bei Kerzenlicht über langen Zahlenreihen zu verbringen. Seine Brüder empfanden nicht den gesellschaftlichen Makel, der den »Händlern« anhaftete. Gerald aber tat es. Er wollte Plantagenbesitzer werden. Mit der unstillbaren Sehnsucht eines Iren, der das Land, auf dem seine Familie einst als Herren gesessen und gejagt, als verarmter Pächter bebaut hatte, verlangte er nach eigenen Morgen Landes, die sich grün vor seinen Augen dehnten. Mit einer Zielsicherheit, die keine Bedenken kannte, begehrte er ein eigenes Haus, eine eigene Plantage, eigene Pferde und eigene Sklaven. Hier in diesem neuen Lande, wo er vor den beiden Gefahren, die über seiner alten Heimat schwebten, der Steuer und der Pachtentziehung, sicher war, hier wollte er sich das alles verschaffen. Aber solchen Ehrgeiz zu haben und ihn auszuführen, war zweierlei. Die Küste Georgias war zu fest in den Händen einer in sich abgeschlossenen Aristokratie, als daß er hoffen konnte, sich je die ersehnte Stellung zu erringen.
Aber dann wirkten Schicksal und Poker zusammen und schenkten ihm die Plantage, die er später Tara nannte, und trieben ihn zugleich von der Küste weg in das 0berland im Norden des Staa tes.
An einem heißen Frühlingsabend in einer Kneipe zu Savannah wollte es der Zufall, daß Gerald das Gespräch eines Fremden in seiner Nähe mit anhörte. Der Fremde war aus Savannah gebürtig und soeben nach zwölfjährigem Aufenthalt im Innern zurückgekehrt. In der Landlotterie, durch die der Staat das große Gebiet in Mittelgeorgia, das die Indianer abgetreten hatten, aufteilte, hatte er ein Los gezogen. Er war dann hinausgefahren und hatte dort eine Plantage angelegt. Aber dann war das Haus abgebrannt, und er war seitdem des Platzes überdrüssig und wäre ihn mit tausend Freuden los gewesen.
Der Gedanke an eine eigene Besitzung beschäftigte Gerald ununterbrochen. Er ließ sich deshalb dem Manne vorstellen, und sein Interesse wuchs, als der Fremde erzählte, wie die Einwanderer nach dem Norden Georgias strömten. Gerald hatte so lange in Savannah gelebt, daß er die landläufige Auffassung, der ganze übrige Staat sei Urwald, in dem hinter jedem Busch ein Indianer lauerte, übernommen hatte. Eine Geschäftsreise im Auftrage seiner Brüder hatte ihn seinerzeit hundert Meilen den Savannahfluß aufwärts nach Augusta geführt. Dabei war er so weit ins Innere vorgedrungen, daß er sich die alten Städte westlich von Augusta ansehen konnte. Er wußte, daß die Gegend dort ebenso di cht besiedelt war wie die Küste, aber nach der Beschreibung des Fremden lag die Plantage gut hundertfünfzig Meilen westlich von Savannah im Innern, nur wenige Meilen südlich vom Chattahoocheefluß. Gerald wußte, daß das Gebiet nördlich des Flusses noch in den Händen der Cherokesen war. Deshalb verwunderte er sich höchlichst, daß der Fremde seine Vermutung, es könne dort zu Unzuträglichkeiten mit den Indianern kommen, auslachte und erzählte, wie dort blühende Städte emporwuchsen und wie die Plantagen auf demjungfräulichen Boden gediehen.
Eine Stunde später, als das Gespräch einzuschlafen drohte, schlug Gerald in einer Verschlagenheit, die die offene Unschuld seiner blauen Augen Lügen strafte, ein Spielchen vor. Als es immer später wurde und der Schnaps die Runde machte, kam der Augenblick, da alle anderen Mitspieler die Karten niederlegten und Gerald