Rasch blickte Charles umher, hielt den Atem an und straffte die Muskeln. Sie waren so gut wie allein. Eine solche Gelegenheit bot sich vielleicht nie wieder. Und wenn Gott sie ihm noch einmal bescheren sollte, vielleicht versagte ihm dann die Kraf t.
»Miß 0'Hara ... ich muß Ihnen etwas sagen. Ich ... ich liebe Sie!«
»Hmmm?« machte Scarlett und versuchte durch die Menge der Streitenden zuAshley hindurchzublicken.
»Ja!« flüsterte Charles, außer sich vor Entzücken, daß sie weder gelacht hatte noch in 0hnmacht gefallen war. »Ich liebe Sie! Sie sind das ... das ...«, zum erstenmal in seinem Leben löste sich ihm die Zunge, »das schönste Mädchen, das ich je gekannt habe, das süßeste und gütigste, so lieb wie Sie war noch niemand zu mir. Ich liebe Sie von ganzem Herzen. Ich kann ja nicht annehmen, daß Sie jemand wie mich lieben können, aber wenn Sie mir ein ganz klein wenig Mut machen, will ich alles tun, damit Sie mich lieben. Ich will...«
Charles hielt inne, er konnte sich nichts ausdenken, das stark genug wäre, Scarlett die Tiefe seines Gefühls zu beweisen, und so sagte er dann einfach: »Ich möchte Sie heiraten.«
Mit einem Ruck war Scarlett wieder auf der Erde, als das Wort »heiraten« an ihr 0hr schlug. Gerade hatte sie an Heiraten und an Ashle y gedacht und blickte Charles mit schlecht verhehlter Gereiztheit an. Was mußte auch dieses Kalb ihr gerade jetzt seine Gefühle aufdrängen, da ihr vor lauter eigenen Gedanken und Gefühlen fast der Kopf platzte? Sie blickte ihm in die braunen Augen und sah nicht die Schönheit der ersten scheuen Knabenliebe, die darin lag, nicht die Verzückung eines Traumes, der Wirklichkeit werden will, nicht die wilde, selige Zärtlichkeit, die ihn wie eine Flamme durchfuhr. Scarlett war es gewöhnt, daß Männer ihr einen Heiratsantrag machten, sehr viel anziehendere Männer als Charles Hamilton, die Lebensart genug besaßen, ihr nicht gerade bei einem Gartenessen, wenn sie wichtigere Dinge im Kopf hatte, damit zu kommen. Sie sah nur den zwanzigjährigen Jungen, der rot wie eine Rübe geworden war und sich sehr tölpelhaft ausnahm. Sie hätte ihm das gern gesagt, aber ganz von selbst kamen ihr die Worte, die Ellen sie für solche Fälle gelehrt hatte. Sie schlug gewohnheitsmäßig die Augen nieder, und leise ging es über ihre Lippen:
»Mr. Hamilton, ich bin mir der Ehre wohl bewußt, die Sie mir dadurch erweisen, daß Sie um meine Hand anhalten, aber es kommt alles so plötzlich, daß ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll.«
Auf diese Weise vermied man es geschickt, die Eitelkeit eines Mannes zu kränken, und behielt ihn doch am Bändel. Charles biß darauf an, als wäre solcher Köder etwas Neues und ihm als erstem zugeworfen.
»Ich kann ewig warten! Ich möchte Sie nur haben, wenn Sie Ihrer selbst ganz sicher sind. Bitte, Miß 0'Hara, sagen Sie mir, daß ich hoffen darf!«
Scarletts scharfe Augen erblickten Ashley, der bei Melanie sitzen geblieben war und zu ihr emporlächelte. Wenn nur dieser Dummkopf, der nach ihrer Hand tastete, einen Augenblick still sein wollte, vielleicht konnte sie dann verstehen, worüber die beiden sprachen. Charles' Worte verwischten die Stimmen, denen sie so angestrengt lauschte.
»Seht«, zischte sie ihn an und kniff ihn in die Hand, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.
Charles fuhr zusammen, im ersten Augenblick fühlte er sich zurückgestoßen und errötete, dann sah er ihren Blick auf seiner Schwester ruhen und wurde wieder froh. Scarlett fürchtete, jemand möchte seine Worte vernehmen. Natürlich war sie verlegen und in Todesangst, belauscht zu werden. Charles fühlte eine Männlichkeit in sich aufwallen, wie er sie noch nie gespürt hatte. Er hatte ein Mädchen in Verlegenheit gebracht. Das war berauschend, und er suchte seinem Gesicht einen unbekümmerten Ausdruck zu geben und erwiderte vorsichtig Scarletts Händedruck, um zu zeigen, daß er ein Mann von Welt sei und ihre Bedenken verstünde.
Sie fühlte es nicht einmal, denn deutlich hörte sie jetzt Melanies süße Stimme, die ihr höchster Zauber war: »Ich fürchte, über Mr. Thackerays Werke bin ich anderer Meinung als du. Er ist ein Zyniker. Ich glaube, er ist weniger Gentleman als Mr. Dickens.«
Wie kann man nur so etwas Albernes sagen! Scarlett hätte vor Erleichterung lachen mögen. Sie ist eben doch ein Blaustrumpf, und was Männer von einem Blaustrumpf denken, weiß ja jeder. Das Interesse eines Mannes kann man doch nur dadurch wecken, daß man von ihm spricht und allmählich die Unterhaltung auf sich selber lenkt. Hätte Melanie gesagt: »Du bist doch fabelhaft!« oder »Wie du nur auf solche Gedanken kommst! Mein dummer Kopf würde platzen, schon allein bei dem Versuch, über so etwas nachzudenken!« - dann hätte Scarlett Grund gehabt, sich zu ängstigen. Nun fühlte sie ihre Aussichten so sehr steigen, daß sie Charles ein strahlendes Gesicht zuwandte und vor Freude lächelte. Dieser Bewe is ihrer Zuneigung beseligte ihn. Er griff nach ihrem Fächer und fächelte sie so stürmisch, daß ihr Haar in Unordnung geriet.
»Ashley, wie denkst du darüber?« klang es aus der Gruppe der erhitzten Männer heraus. Er stand auf und entschuldigte sich. Keiner von den anderen sieht doch so gut aus, dachte Scarlett, als sie sah, wie gut ihm seine lässige Bewegung stand. Sogar die älteren Männer hielten inne, umihm zuzuhören.
»Nun, meine Herren, wenn Georgia kämpft, gehe ich mit. Warum wäre ich sonst in die Truppe eingetreten?« sagte er, die grauen Augen weit geöffnet. Alles Verträumte war daraus verschwunden, und eine Spannkraft lag darin, wie Scarlett sie nie zuvor an ihm wahrgenommen hatte. »Aber ich hoffe wie Vater, daß es nicht zum Kampf kommt und die Yankees uns in Frieden lassen ...« Er hob lächelnd die Hand, als die Fontaines und Tarletons durcheinanderzureden begannen wie weiland die Leute beim Turmbau zu Babel. »Ja, ja, ich weiß, wir sind beleidigt und betrogen worden. Hätten wir aber in der Haut der Yankees gesteckt und wollten sie sich ihrerseits von der Union lossagen, wie hätten wir uns dann wohl verhalten? Ungefähr ebenso!«
»Das sieht ihm wieder einmal ähnlich«, dachte Scarlett. »Immer muß er sich in die anderen hineinversetzen.« Für sie hatte alles nur eine einzige Seite. Manchmal war Ashleyeinfach unverständlich.
»Wir wollen nicht so hitzköpfig sein und uns zum Krieg hinreißen lassen. Das meiste Elend in der Welt ist vom Krieg gekommen. Und jedesmal, wenn ein Krieg glücklich vorbei war, wußte niemand mehr so recht, umwas es eigentlich gegangen war.«
Scarlett rümpfte die Nase. An Ashleys Mut zweifelte zum Glück niemand, sonst wäre die Sache bedenklich gewesen. Schon erhob sich um ihn herum ein unwilliges, gefährliches Lärmen leidenschaftlich widerstreitender Stimmen.
Auf dem Rasenplatz unter den Bäumen stieß der taube alte Herr aus Fayetteville India an. »Was geht da eigentlich vor? Worüber reden sie?«
»Über Krieg!« trompetete ihm India durch die hohle Hand ins 0hr. »Sie wollen mit den Yankees kä mpfen!«
»Krieg, sagen Sie?« Er suchte nach seinem Spazierstock und erhob sich mühsam aus seinem Stuhl, aber mit so viel Energie, wie er seit Jahren nicht gezeigt hatte. »Ich will ihnen sagen, was Krieg ist. Ich habe ihn mitgemacht.« Mr. McRae kam selten dazu, vom Krieg zu erzählen, meistens brachten ihn seine Frauensleute vorzeitig zum Schweigen. Eilig stapfte er auf die Gruppe zu und schwenkte mit erhobener Stimme den Stock. Da er die anderen nicht hören konnte, war er bald unbestrittener Herr desSchlacht feldes.
»Ihr jungen Eisenfresser, hört mich an. Wir wollen keinen Krieg. Ich war im Kriege und weiß, wie das ist. Ich bin im Seminolenkrieg gewesen und war dumm genug, auch noch in den mexikanischen zu gehen. Ihr meint, da reitet man ein hübsches Pferd, die Mädchen streuen euch Blumen und ihr kommt als Held nach Hause. Nein, meine Herren! Hunger hat man und bekommt Masern und Lungenentzündung, weil man im feuchten Gras liegen muß. Und sind es nicht Masern und Lungenentzündung, so ist es das Gedärm. Ja, meine Herren, was der Krieg einem da nicht alles antut ... Durchfall und so was ...«
Die Damen wurden rot bis unter die Haarwurzeln. Mr. McRae war das Überbleibsel eines rauheren Zeitalters. »Hole rasch deinen Großvater«, zischte eine seiner Töchter einem jungen Mädchen zu. »Wahrhaftig!«