Vom Winde verweht. Margaret Mitchell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Margaret Mitchell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197203
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ihren Pflichten eine Stunde absparen konn te. Fairhill war eine schwer zu bewirtschaftende Plantage, und deshalb gab es nur selten eine Mußestunde, und Nellie wurde oft stundenlang im Schritt auf und ab geführt, während Beatrice Tarleton ihre Tagesarbeit verrichtete, den Reifrock geistesabwesend über dem Arm tragend, so daß darunter ein langes Stück von den blanken hohen Stiefeln zum Vorschein kam.

      Heute war sie in matter schwarzer Seide mit ganz unmodern engem Reifrock. Es sah immer noch aus, als hätte sie ihr Reitkleid an; denn die Taille war ebenso streng geschnitten, und der kleine schwarze Hut mit der langen schwarzen Straußenfeder, der schräg über den warmherzigen, zwinkernden braunen Augen saß, war der Zwillingsbruder des abgetragenen alten Hutes, den sie zur Hetzjagd trug.

      Sie schwenkte die Peitsche, als sie Gerald erblickte, und ließ ihre tänzelnden Rotfüchse halten. Die vier Mädchen hinten im Wagen lehnten sich mit so lautem Gruß heraus, daß die Pferde ängstlich stiegen. Einem zufälligen Beobachter mochte es vorkommen, als seien Jahre vergangen und nicht erst zwei Tage, seit Tarletons und 0'Haras einander gesehen hatten. Tarletons waren eine gesellige Familie und hatten ihre Nachbarn gern, besonders die 0'Haraschen Mädels. Das heißt: Suellen und Carreen. Kein Mädchen aus der Provinz, mit Ausnahme vielleicht der spatzenhirnigen Cathleen Calvert, hatte wirklich etwas für Scarlett über.

      Im Sommer gab es in der Provinz durchschnittlich einmal wöchentlich einen Ball und ein Gartenfest. Trotzdem fanden die rothaarigen Tarletonmädchen mit ihrer unersättlichen Genußsucht jedes neue Gartenfest und jeden neuen Ball so aufregend, als wäre es der erste in ihrem Leben. Es war ein hübsches, munteres Quartett, welches so eng zusammengedrängt im Wagen saß, daß die Reifröcke mit ihren Rüschen über den Wagen hinaushingen und die Sonnenschirme leise aneinanderstießen über den breiten Florentiner Hüten mit ihren Rosen und hängenden Kinnbändern aus schwarzem Samt. Unter den Hüten waren alle Schattierungen roten Haares vertreten, bei Hetty ein volles reines Rot, bei Camilla ein erdbeerfarbenes Blond, Randas Haare leuchteten kupferbraun und die der kleinen Betsy gelbrot wie Karotten.

      »Das ist eine schöne Schar, gnädige Frau«, sagte Gerald galant und brachte sein Pferd neben dem Wagen zum Stehen. »Aber keine ist so s chön wie die Mutter.«

      Mrs. Tarleton rollte die rotbraunen Augen und zog in drolliger Würdigung dieses Kompliments die Unterlippe an, und die Mädchen riefen:

      »Ma, keine schönen Augen machen, oder wir sagen es Pa!« und »Ich versichere Ihnen, Mr. 0'Hara, wenn ein hübscher Mann auftaucht wie Sie, schnappt sie ihn uns allen weg!«

      Scarlett lachte mit den anderen über die lustigen Worte und war doch, wie immer, von der freien Art befremdet, in der die Tarletons mit ihrer Mutter umgingen, ganz als wäre sie ihresgleichen und nicht einen Tag älter als sechzehn. Schon der Gedanke, so etwas zu ihrer eigenen Mutter zu sagen, erschien Scarlett fast wie eine Lästerung. Und doch hatten die Beziehungen der Tarletonschen Töchter zu ihrer Mutter etwas sehr Reizvolles, denn bei allem, was sie an ihr auszusetzen, zu schelten und zu necken fanden, beteten sie sie an. Nicht, daß Scarlett, wie sie sich schleunigst sagte, an Ellens Statt lieber eine Mutter wie Mrs. Tarleton gehabt hätte; aber Spaß mußte es doch machen, so mit seiner Mutter umgehen zu dürfen. Schon der Gedanke war Ellen gegenüber ein Mangel an Ehrfurcht, und sie schämte sich seiner. Von solchen Anfechtungen wurden die Hirne unter den vier Rotschöpfen dort im Wagen gewiß niemals heimgesucht. Wie immer, wenn Scarlett das Gefühl hatte, anders als ihre Nachbarn zu sein, befiel sie eine gereizte Unsicherheit.

      So gescheit sie auch war, hatte sie doch wenig Menschenkenntnis; trotzdem begriff sie halb unbewußt, daß die Tarletonschen Mädchen zwar unbändig wie Füllen und wild wie Märzhasen waren, aber als glückliches Erbteil eine unbekümmerte innere Sicherheit besaßen. Von sehen der Mutter wie des Vaters waren sie Nordgeorgianer, nur durch eine Generation von den ersten Bahnbrechern in der Wildnis getrennt. Sie waren ihrer selbst und ihrer Umwelt sicher und wußten aus Instinkt, was sie zu tun hatten. Das galt auch für die Wilkes, doch auf ganz andere Art. Jener innere Zwist, den Scarlett so oft durchkämpfen mußte, da in ihren Adern das Blut der überzüchteten Aristokratin sich mit der gescheiten erdnahen Art des irischen Bauern mischte, blieb ihnen erspart. Scarlett hatte das Bedürfnis, ihre Mutter zu verehren und anzubeten, zugleich aber auch ihr Haar zu zausen und sie zu necken. Es war derselbe Widerstreit der Gefühle, der sie wünschen ließ, vor Männern als zarte Dame von edler Herkunft zu erscheinen, gleichzeitig aber auch ein ausgelassenes Mädchen zu sein, das sich nicht zu gut für ein paar Küsse vorkam.

      »Wo steckt denn Ellen heute morgen?« fragte Mrs. Tarleton.

      »Sie muß unserem Aufseher Entlastung erteilen und ist zu Hause geblieben, um die Bücher mit ihm durchzugehen. Wo ist denn der Gemahl und die Söhne?«

      »Ach, die sind schon vor mehreren Stunden nach Twelve 0aks hinübergeritten, den Punsch zu probieren, vermutlich um festzustellen, ob er stark genug ist. Als ob sie nicht von jetzt bis morgen früh Zeit genug dazu hätten! Ich werde John Wilkes bitten, sie über Nacht dazubehalten, und wenn er sie in den Stall legen muß. Fünf Männer, die des Guten zuviel haben, sind auch mir zuviel. Mit dreien will ich schon fertig werden, aber ...«

      Rasch unterbrach Gerald sie und wechselte das Thema. Er spürte genau, wie hinter seinem Rücken die eigenen Töchter kicherten und daran dachten, in welcher Verfassung er von dem Wilkesschen Gartenfest im vorigen Herbst nach Hause gekommen war.

      »Warum sitzen Sie denn heute nicht zu Pferde, Mrs. Tarleton? 0hne Nellie sehen Sie mir ganz fremd aus. Sie sind doch der wahre Stentor ...«

      »Stentor, du meine Güte!« Mrs. Tarleton äffte sein Irisch nach. »Zentaur meinen Sie wohl! Stentor war ein Mann mit einer Stimme wie ein Messinggong.«

      »Stentor oder Zentaur, das ist mir eins«, antwortete Gerald und ließ sich durch seinen Irrtum nicht aus der Fassung bringen. »Im übrigen haben Sie ja eine Stimme wie aus Messing, gnädige Frau, wenn sie die Meute antreiben.«

      »Da hast du's, Ma«, sagte Hetty, »ich hab' dir immer gesagt, du kreischst jedesmal wie ein Indianer, wenn du einen Fuchs siehst.«

      »Nicht so laut, wie du kreischst, wenn Mammy dir die 0hren wäscht«, gab Mrs. Tarleton zurück. »Und du willst sechzehn Jahre alt sein! Also reiten kann ich heute nicht, weil Nellie in der Frühe gefohlt hat.«

      »Wahrhaftig!« Gerald war auf das lebhafteste interessiert, seine irische Leidenschaft für Pferde strahlte ihm aus den Augen, und Scarlett hatte wieder das Gefühl der Bestürzung, als sie ihre Mutter mit Mrs. Tarleton verglich.

      Für Ellen fohlten Stuten nicht und kalbten keine Kühe. Kaum daß Hühner Eier legten. Ellen sah über all das vollständig hinweg. Aber Mrs. Tarleton kannte solche Schamhaftigkeiten nicht.

      »Eine kleine Stute, nicht wahr?«

      »Nein, ein schöner kleiner Hengst mit fast zwei Meter langen Beinen. Sie müssen einmal herüberkommen und ihn sich ansehen, Mr. 0'Hara. Ein echt Tarletonsches Pferd, rot wie Hettys Locken .«

      »Sieht Hetty auch sonst furchtbar ähnlich«, sagte Camilla und tauchte dann in einen Wirrwarr von Röcken, Spitzenhosen und wippenden Hüten unter, als Hetty sie zu kneifen begann.

      »Meine Fohlen sticht heute morgen der Hafer«, sagte Mrs. Tarleton, »sie haben schon die ganze Zeit über hinten ausgeschlagen, seit wir heute morgen die Neuigkeiten über Ashley und seine kleine Cousine aus Atlanta hörten. Wie heißt sie noch? Melanie? Gott segne das Kind, sie ist gewiß ein süßes kleines Ding, aber ich kann mich weder auf ihren Namen noch auf ihr Gesicht besinnen. Unsere Köchin ist die Frau des Wilkesschen Dieners. Er kam gestern abend und erzählte ihr, daß die Verlobung heute abend verkündet werden soll, und Cooky hat es uns heute morgen berichtet. Die Mädchen sind ganz aufgeregt darüber, ich sehe nicht recht ein, warum. Seit Jahren weiß jeder Mensch, daß Ashley sie heiraten will, das heißt, wenn er nicht eine seiner Cousinen aus Macon zur Frau nehmen würde. Genau wie Honey Wilkes ihren Vetter Charles, Melanies Bruder, einmal heiraten wird. Nun sagen Sie mir, Mr. 0'Hara, ist es etwa ungesetzlich für Wilkes, außerhalb ihrer eigenen Familie zu heiraten? Wenn nämlich ...«

      Den