Morituri. Klaus Bock. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Bock
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753190921
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„hinaufrennen“ oder „hinauflaufen“ konnte man es nicht wirklich bezeichnen, aber er beeilte sich zumindest) und kam bei Tante Greten im zweiten Stock etwas atemlos an.

      „Na“, fragte Tante Greten, „hast du dich im Laden festgeredet?“

      „Bin ich zu spät?“

      „Nein, aber ich habe Hunger, sonst frühstücke ich ja früher – es heißt doch nicht umsonst Frühstück“, lachte die alte Dame, die schon vollständig angezogen war: Schuhe, Rock, Pulli und daraus lugte ein Spitzenkragen. Die grauen Haare waren mit der Dauerwelle, der sie ab und zu mit der Brennschere nachhalf, immer adrett. Richtig flott sah sie aus mit ihren achtundachtzig Jahren!

      „Was gibt es denn?“, fragte sie neugierig.

      „Semmeln oder Brezn habe ich mitgebracht, was willst Du?“

      „Hast du Eier mitgebracht? Frau Z. hat dir doch sicher gesagt, dass ich keine im Hause habe?“

      „Jawohl! Zwei Stück.“

      „Da ist der Eierpiekser und das Wasser habe ich schon aufgesetzt. Machst du das bitte?“

      Udo war ohne weiteres in der Lage, nach solchen Vorgaben zwei weich gekochte Eier herbei zu zaubern.

      „Ich habe im Wohnzimmer am Fenster gedeckt, da scheint die Sonne so schön rein um diese Zeit“, rief Tante Greten aus dem Zimmer über den Flur, „Kaffee ist auch schon fertig. Du trinkst doch Kaffee? Oder willst du lieber Tee? Tee steht oben rechts im Küchenschrank.“

      Tante Greten hatte eine klassische alte Küche mit Gasherd, Küchentisch und Küchenschrank (der mit den zwei Glastürchen und dem Brotfach).

      „Kaffee ist okay!“, rief Udo zurück.

      „Wie bitte?“, rief Tante Greten, „ich höre in letzter Zeit etwas schlechter, weißt du“, und damit kam sie in die Küche.

      „Kaffee ist genau das Richtige für mich“, sagte Udo also noch einmal und schaute sich um, „welcher Hahn tropft denn?“

      „Der im Badezimmer, aber jetzt wollen wir erst einmal frühstücken, die Sonne scheint so schön!“

      Der Küchenwecker, den Udo eingestellt hatte, klingelte, um anzuzeigen, dass die Eier weich sein müssten. Udo stellte also das Gas unter dem Topf aus und schreckte die Eier fachkundig unter kaltem Wasser ab.

      „Perfekt!“, lobte ihn Tante Greten.

      „Gelernt ist gelernt!“, meinte Udo nur und stellte die Eier in die Eierbecher aus Bakelit. „Echte Antiquitäten!“, bewunderte er die.

      „Ja“, sagte Tante Greten, „die muss ich mir 1950 gekauft haben oder warte mal, das war wohl eher 55, glaube ich. Die halten ewig, das ist nicht so ein neumodisches Zeug, das gleich kaputt geht. Naja, ich bin eine alte Frau, da muss ich wohl die alten Zeiten besser finden als die neuen, oder?“. Sie fasste Udo am Arm „nun komm, sonst werden die Eier kalt – und ich esse nur selten ein Frühstücksei, ich freue mich schon darauf. Ansonsten habe ich noch zwei Marmeladen.“

      „Kirsche und Johannisbeere…“

      „Woher weißt du das, Udo?“, fragte Tante Greten, dann lachte sie, „ach so, klar, Frau Z. – die ist lieb, nicht? Die kümmert sich so rührend um uns, ihre Alten. Wenn ich mal ein paar Tage nicht bei ihr im Laden war, dann kommt sie und schaut nach, ob ich noch lebe. Sie hat natürlich immer einen guten anderen Grund reinzuschauen, sie kann ja nicht sagen, sie wollte nur wissen, ob ich noch lebe oder schon tot in der Wohnung vermodere... Nun schau nicht so! Dabei ist ihre Sorge doch berechtigt – in meinem Alter! Nein, ich mag sie und ihren Herrn F., was täten wir hier ohne die? Die müssten mal einen Orden bekommen für das, was die leisten – aber den geben sich die Politiker lieber selber.“

      Sie schüttelt den Kopf. „Politiker!“, schimpfte sie noch einmal, „hast du gelesen, dass der Oberbürgermeister sich ein halbes Jahr lang aus seinem Amt hat beurlauben lassen, weil er Wahlkampf gegen den Ministerpräsidenten betreiben will, diesen Herrn Seehofer, den – naja – Wendehals? Also ich weiß nicht, gehört sich das?“

      „Und die Eier von der Frau Z, die sind besonders gut“, wechselte sie wieder das Thema, „die hat einen Eiermann, der kommt einmal die Woche, glaube ich, und der hat noch so richtige Hühner, die frei herumlaufen.“

      „Heckenkratzer!“, unterbrach Udo sie.

      „Genau, so sagt man wohl, Heckenkratzer, die laufen frei rum und picken alles Mögliche auf, nicht so wie die armen Industriehühner... brr, ich habe das neulich im Fernsehen wieder gesehen, grauenhaft, sage ich Dir. Dass die Leute solche Eier überhaupt kaufen... und wenn du die brätst, diese scheußlichen Eier, da ist das Eigelb gar nicht richtig gelb und steht auch nicht so schön fest und hoch über dem Eiweiß“, und dabei schüttelte sie sich „weil, frisch sind die auch nicht, das sieht man am Dotter“.

      „Du bist gut informiert, Tante Greten!“, lobte Udo die Eierkundige.

      „Du meinst wohl, eine alte Frau interessiert sich nicht mehr? Da in der Ecke“, sie nickte in die Ecke hinter Udo, der sich umdrehte und einen sehr hohen Stapel Zeitschriften sah, „da hast du alle Spiegel-Ausgaben der letzten beiden Jahre... alle gelesen und die Tageszeitung lese ich auch. Und ich mach das Sokudu, ähm, Sodoku. Das hättest du nicht gedacht, was? Nimmst du eine Semmel oder die Brezn zum Ei?“. Nachdem Udo mit den Schultern gezuckt hatte, entschied sie sich für die Brezn.

      „Die sind auch von der Frau Z., naja, besser als manche andere. Du hattest wohl keine Lust, zum Bäcker in der Volkartstraße zu gehen?“

      „Nee, hatte ich keine Lust zu.“

      Dann saßen sie schweigend im Sonnenlicht, verputzten ihr Frühstück und ließen den lieben Gott einen guten Mann sein.

      „Bist du nur zum Frühstücken gekommen oder willst du auch arbeiten?“, fragte die alte Dame nach einer geruhsamen Weile. „Eine Zange und einen Schraubenzieher habe ich dir hingelegt, wenn du etwas anderes brauchen solltest, kriegen wir Probleme.“

      „Wird schon gehen“, murmelte Udo im Aufstehen,

      „Was?“, sagte Tante Greten und hielt sich die Hand hinter ein Ohr, „ich bin eine alte Frau und höre nicht mehr gut. Du musst schon laut und deutlich mit mir reden und zu mir gewandt!“. Sie lachte Udo bei diesen Worten schelmisch an.

      „Schon gut“, sagte der diesmal laut und deutlich und zu ihr hin, „ich schaue mal...“

      „Brüllen musst du nun auch nicht, ich bin ja nicht taub!“

      Udo lachte nur, ging ins Bad und kam nach fünf Minuten wieder ins Wohnzimmer.

      „Alles klar“, sagte er, „War ´nen Klacks! Tropft nicht mehr!“

      Tante Greten hatte in der Zwischenzeit das Frühstücksgeschirr abgeräumt, jetzt standen da zwei Likörgläser auf dem Tisch.

      „Ein Likörchen?“, lächelte sie ihn an, „ist ja noch früh am Morgen, naja, nicht mehr ganz so früh, du hast ja so getrödelt... da kann eine alte Frau schon etwas zur Stärkung gebrauchen... Oder ist Likör nichts für dich, willst du was Stärkeres für den starken Mann? Ich hätte noch einen Doppelkorn, schön kalt.“

      „Na denn nehme ich den Korn“, sagte Udo und schaute skeptisch auf die alten Likörgläser, die sich weit nach oben öffneten und die einen Schliff aufwiesen. So etwas sah man nicht mehr oft.

      „Korn ist im Kühlfach“, sagte Tante Greten, „und weil ich eine so alte Dame bin...“

      „...hol ich mir den selber!“, führte Udo ihren Satz zu Ende. Schmunzelnd kam er zurück und hielt eine Miniflasche in der Hand: „Was soll das denn sein? Soll das einmal eine richtige Flasche werden?“

      „Eine Doppelportionsflasche Doppelkorn, gut gekühlt. Ich trinke das Zeug nicht, da muss man sich ja schütteln, brrr, das habe ich nur für dich geholt. Da bin ich extra zum Kiosk gegangen – weil, das mit dem Korn muss Frau Z. ja nicht wissen, finde ich, sonst