Es war kein Traum, es geschah tatsächlich. Ein perverser Killer stand in ihrer Wohnung! Doch sie würde sich von dem Geistesgestörten nicht kampflos zerhacken lassen. Auf keinen Fall! Sie würde sich wehren.
Schreiend versuchte Christina sich von dem Mann loszureißen, was ihr jedoch nicht gelang, denn sein Griff war zu fest. Erst nachdem sie auf ihn einschlug, ließ er sie endlich los.
Der Wahnsinnige mit der Axt trug schon einen Plastikanzug, damit er sich nicht mit ihrem Blut bespritzen würde. Wahrscheinlich hatte er in seiner Wohnung bereits alles mit Folie ausgelegt. Oder wollte er sie womöglich in ihrem eigenen Bad in Einzelteile zerlegen?
Christina flüchtete in eine Ecke, griff zuerst nach einem Kissen und dann wahllos nach irgendwelchen Gegenständen, die auf ihrem Nachtisch standen, um sie dem Meuchelmörder entgegenzuschleudern.
Verdammt, wie sollte sie diesen Killer verletzen, wenn sie nur mit Kissen und Cremetuben nach ihm warf? Gleich Morgenfrüh würde sie ein Fleischermesser unter ihrem Bett verstecken. Falls es ein Morgen gab.
Christina dachte gerade darüber nach, an ihm vorbeizurennen, als er flink wie ein Kaninchen, sie mit einer eisernen Ganzkörperumarmung bewegungsunfähig machte. Sie schrie aus voller Kehle, denn sie befürchtete, dass er sie bald mit seiner Axt bearbeiten würde, die er mittlerweile an seinem Gürtel verstaut hatte. Sie hoffte inständig, dass das Ding nicht stumpf war.
Ohne größere Kraftanstrengung, schaffte der potentielle Serienkiller sie aus ihrem Schlafzimmer. Während er sie weiter in Richtung Treppe schleppte, verging Christina allerdings das Schreien.
Völlig perplex hatte sie bemerkt, wie ihr Sofa lichterloh vor sich hin brannte und die Flammen sich weiter in ihrer Wohnung verbreiteten. Kriechend kam ihr Verstand vollends auf die Beine und erkannte in Zeitlupen-Tempo, dass es sich ganz anders verhielt, als sie im Halbschlaf gedacht hatte.
„Es brennt?! Großer Gott, es brennt!“, begriff Christina letztendlich.
Der vermeintliche geisteskranke Axtmörder war ein Feuerwehrmann?! Ein Feuerwehrmann, der sie vor dem Flammentod rettete.
Gebannt starrte sie in das Gesicht des Mannes, der sie in seinen Armen trug. Durch die Atemmaske war der Großteil seines Gesichtes verdeckt, außer dem Augenpaar, das sie ab und zu musterte, während er das Treppenhaus hinabstieg.
Es waren beunruhigende Augen, die eine Farbe hatten, wie sie sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Seine Iriden waren golden, fast gelb. Das konnte nur von den ungewöhnlichen Lichtverhältnissen herrühren. Kein Mensch hatte eine gelbe Iris.
An seinen mächtigen Brustkorb gedrückt, brachte der Feuerwehrmann sie sicher aus dem Haus. Ihr Husten, den sie zuvor wegen ihrer Panik nicht wahrgenommen hatte, wurde immer stärker.
Ihr Retter setzte sie vorsichtig auf einer Liege ab und beobachtete sie eingehend. Mit erhobenem Daumen stellte er ihr eine stumme Frage, die Christina nur mit einem geschockten Nicken beantworten konnte.
Dann, ohne ein Wort, ließ er sie einfach sitzen und ging zu einem Sanitäter. Enttäuscht fragte sich Christina, warum er nicht bei ihr blieb, obwohl sie wusste, dass er seiner Arbeit nachgehen musste, dass sie nur ein Job war, den er soeben erledigt hatte. Ohne ihn fühlte sie sich nicht mehr behütet. Seine wärmende Umarmung war dahin, wie auch das Gefühl der Geborgenheit, das ihr nun umso mehr fehlte. ‚Reiß dich zusammen, Christina‘, ermahnte sie sich vergebens.
Der Sanitäter kam auf sie zu und sein Mund bewegte sich, als spräche er, aber sie konnte keinen Ton hören. Überhaupt war alles um sie herum lautlos. Es herrschte trotz dem regen Treiben absolute Stille. Linkisch sah Christina sich um und nach kurzem Überlegen, zog sie peinlich berührt ihre beiden Ohrstöpsel heraus.
„Ach, Sie sind gar nicht taub!“, lachte der Sani, bevor er weiter sprach. „Haben Sie Verbrennungen?“
Gedankenverloren schüttelte Christina ihren Kopf, so dass ihre blonden Haare hin und her flogen.
Verdammt, wie hatte sie die Stöpsel in den Ohren vergessen können? Wegen der lauten Musik von ihrem Nachbarn und dem Krach auf der Straße hatte sie die Dinger vorm Schlafen-gehen rein gemacht und dann vor lauter Schreck und Angst total vergessen. Hatte der gelbäugige Feuerwehrmann mit ihr gesprochen? Was würde er jetzt von ihr bloß denken? Tja, nach ihrem Benehmen zu urteilen wahrscheinlich, dass sie eine Irre war. Taub, aber irre, ganz sicher!
Kapitel 9
Manchmal ist ein Stern einfach nur ein Stern
Es war schon ziemlich spät oder extrem früh, je nachdem, wie man es nennen wollte, wenn man nach ein Uhr nachts noch unterwegs war. Wo er genau war, wusste Tim nicht, nur dass er über eine Brücke fuhr. Er saß in seinem silbernen Sportwagen und fuhr mit offenem Verdeck ziellos in der warmen Sommernacht umher. Zwischendurch hatte er einige Male angehalten um sich die Füße zu vertreten und um seinen Gedanken, die ihn beschäftigten, neue Impulse zu geben. Aber nichts brachte ihn einem Entschluss näher. Tim hatte Jordan bald nach dem Essen verlassen.
Er war wütend, entnervt und was noch schlimmer war, er hatte keine wirkliche Strategie über sein weiteres Vorgehen parat. So wie es aussah, gab es drei Möglichkeiten an Jordans Firma zu gelangen. Die erste war Jordan zu ertragen und zu bearbeiten, was bedeutete, dass er solange warten musste bis Jordan dazu bereit war, zu verkaufen. Er würde ausharren wie ein Hündchen an der Leine, was er jetzt schon hasste. Sehr wahrscheinlich würde Jordan zu allem hin noch eine horrende Geldsumme verlangen. Die zweite Möglichkeit war, die er nur mit pharmazeutischer Hilfe oder einem Sack, bewältigen konnte, falls er sich jemals dazu durchringen sollte, mit der älteren Elizabeth zu schlafen. Sie könnte ihren Mann von einem baldigen und günstigen Verkauf überzeugen. Eventuell. Bestenfalls täte sie das, aber was ... wenn nicht?? Womöglich käme sie auf die Idee ihn mit der Affäre zu erpressen. Nein, die zweite Möglichkeit war wohl eher ein Super-GAU als eine Option. Was ihn letztendlich zu der Lüge von der Verlobten getrieben hatte, die ein zusätzliches Problem darstellte. Mit einem teuren Escort-Service könnte er dieses vielleicht lösen. Die dritte Alternative wäre Grace, Jordans Tochter, zu heiraten. Sie beide würden daraus ihre Vorteile ziehen. Wenn er die Karten offen auf den Tisch legen würde, bräuchte Grace nicht mal schwanger werden. Er bekäme sein Mitsprache-Recht und sie das Geld. Sollte er wirklich diese geldgierige Lolita heiraten?
Zu seiner eigenen Überraschung entdeckte Tim, dass er sich an das letzte Stroh-Hälmchen Romantik klammerte, das in seiner Brust übrig geblieben war, wo sonst nur noch die Kargheit einer Eiswüste herrschte. Er strich sich übers Gesicht, versuchte die Erschöpfung und Ratlosigkeit zu vertreiben, als weit vor ihm, im Scheinwerferlicht, am Straßenrand eine Gestalt auftauchte. Eine kleine, schmächtige Person beugte sich über das Geländer der Brücke, die er gerade passierte. Tim ereilte bei dem Anblick eine böse Vorahnung und er verringerte das Tempo. Doch ehe die Person über das Geländer klettern konnte, wie er befürchtet hatte, brach sie wie eine fragile Figur aus Sand in sich zusammen und blieb bewegungslos am Boden liegen. Bis zum Anschlag trat Tim die Bremse durch und der Wagen kam ruckartig zum Stehen.
„Scheiße!“, fluchte er und stieg eilig aus dem Wagen, um zu der Person zu laufen und neben ihr nieder zu knien.
Es war eine junge Frau die ihn mit rollenden Augen ansah und undeutlich wimmerte „Bitte nicht mehr wehtun! Bitte nicht …“, bevor sie die Augen schloss und das Bewusstsein verlor.
Trotz des Schreckens, der Tim hellwach gerüttelt und ihn in Aufregung versetzt hatte, berührten ihn die geflehten Worte zutiefst. Wer könnte einer so zierlichen und hübschen Frau absichtlich Leid zufügen?
Er fühlte ihren Puls, der schwach, aber vorhanden war. Ihr kleines herzförmiges Gesicht war kreidebleich. Sie hatte einen makellosen Teint, wie weißes, feinstes Porzellan. Ihre dichten Wimpern warfen, unter dem matten Licht der Straßenlampen, lange Schatten auf ihre Wangen. Oder waren es dunkle Augenränder? Vielleicht beides?, überlegte Tim. Braune Locken ruhten, wie ein ausgebreiteter Mantel, unter ihrem