„So einen hätte ich auch gerne!“
„Du Glückspilz!“
Als sie mich entdeckten, verstummten sie jedoch abrupt, um gleich darauf leise weiter zu tuscheln und zu prusten:
„Das ist sie doch, oder?“
„Die ist ja ewig groß.“
„Schau dir mal die roten Haare an!“
Und Desi, die falsche Schnalle, grinste bösartig. So schnell wie meine Kondition es zuließ, hechtete ich zurück in mein Büro. Wütend über diese Schmach, die mir Peter und Desi zufügten, ersann ich einen teuflischen Racheakt, den ich noch vor meinem Urlaub lostreten wollte.
Am späten Mittwochnachmittag schlichen Harry (in einem beigen Trenchcoat mit Bogarthut) und ich (mit Kopftuch und großer Sonnenbrille) unbemerkt in Rossners Geschenkeladen.
Naja, wir blieben fast unbemerkt, bis Harry einen Stapel Töpfe umstieß, was zu einem Heidenspektakel führte. Ein kleiner Chihuahua, der einer Kundin gehörte, erschrak durch den Lärm dermaßen, dass er seinem Frauchen aus der Handtasche hüpfte und quer durch den Laden flitzte. Dabei zerbrach er vermutlich mehr Geschirr als der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Die Verkäuferinnen und die Kundin versuchten vergeblich, das wildgewordene Pelzknäul einzufangen, was uns Pseudo-Agenten die Gelegenheit gab, ohne großes Aufsehen ins Untergeschoss zu gelangen. Dort war er, der Heilige Gral: Peters und Desis Geschenktisch.
Als ich die Tischkarte sah, auf der ihre Namen nebeneinander verewigt waren, versetzte es mir einen Schlag in die Magengrube. Nicht nur mein Name war durch Desirees ausgetauscht worden, sondern auch das Trauungsdatum. Peter hatte es wohl besonders eilig Desi zu heiraten, denn der Termin lag vor unserem geplanten Hochzeitstermin.
Bloß diese Karte mit der vom Nebentisch zu vertauschen, erschien mir zu lapidar und zu auffällig. Deswegen tauschten wir einige der Geschenke aus, nicht viele. Nein, nur ein paar, auf die Desiree, meines Erachtens, am meisten Wert legen würde. Wir beschränkten uns auf drei Dinge. Aus einem Teppanyaki-Grill wurde ein Set geschmackloser Kerzenhalter, die Zwerge darstellten, deren pralle, nackte Hintern zu den Hosen heraushingen. Der edle Rotwein-Dekanter wurde zu einem kitschigen Toilettenbürstenhalter in Form eines hässlichen Babys. Und den eleganten Ice-Crusher ersetzte Harry durch einen (und ich weiß bis heute nicht, woher er den aufgetrieben hatte) riesigen, erschreckend echt aussehenden Dildo mit Vibration und Akkufunktion. Zwar könnte Desi daran womöglich noch ihre Freude haben, aber Peter sicherlich nicht. Zumindest vermutete ich dies. Aus diesem Grund gab ich Harry für den Austausch grünes Licht.
Mit einem zufriedenstellenden Gefühl der Genugtuung verließ ich schließlich den Laden.
Am Tag vor dem Abflug setzte ich einen weiteren Teil meines diabolischen Racheplans in die Tat um. Ich fand heraus (dank des firmeninternen Abhörkommandos), wo genau Peters und Desis Hochzeitsfeier stattfinden würde. Es war dann ein Kinderspiel unter Desirees Namen eine Torte samt Stripper zu bestellen, die pünktlich am Tag ihrer Hochzeit an besagte Adresse geliefert werden würde. Als Rechnungsadresse gab ich selbstverständlich Peters Anschrift an. Alles waren nur kleine Gemeinheiten, die ich einfädelte, aber sie halfen mir, die Schmach, eine sitzengelassenen Braut zu sein, leichter zu ertragen.
Abends verabschiedete ich mich von meinen Eltern. Angesichts der verheerenden Umstände (meine Mutter war noch immer zu Tode betrübt über den Verlust von Peter als Schwiegersohn) fiel der Besuch ziemlich wortkarg und kurz aus.
Endlich war es dann Freitagmittag und ich konnte nach der Arbeit zum Flughafen fahren. Beschwingt, alles hinter mir lassen zu können, bestieg ich meinen Flieger nach London. Sogar während des Fluges versuchte ich noch immer, Antworten auf die Fragen zu finden, die mir im Kopf umherzogen.
Warum war Peter erst drei Wochen vor unserer Hochzeit eingefallen, mir zu sagen, dass er mich nicht liebte? Weshalb hatte ich seine fehlende Liebe nicht bemerkt? Spielte es für eine Beziehung wirklich eine Rolle, aus welchen gesellschaftlichen Kreisen man kam? Peters komplettes Desinteresse an der Hochzeit hätte mir eine Warnung sein müssen. Wie hatte ich das bloß übersehen können? Jede noch so kleine Entscheidung, die unsere Feier betraf, hatte er mir überlassen, weil er angeblich geschäftlich ja so sehr eingebunden war. Auch dieser nicht-vorhandene Enthusiasmus zu der Angelegenheit, dass ich bei ihm einziehen würde (was übrigens die Idee meiner Mutter war), hätte mich wachrütteln müssen. Aber … ich hatte auf rosaroten Wattebäuschchen geschwebt: Endlich ein toller Kerl, der mich heiraten wollte.
Zum Glück hatte ich die Kündigung meiner Wohnung rückgängig machen können. Der Verlobungsring würde per Post an Peter zurückgehen. Und wenn ich in zwei Wochen wieder nach Hause kam, würde alles wieder so sein wie früher. Ich, Karen, das rothaarige Schlachtschiff, allein auf hoher See.
Kapitel 4
Marie wartete in der Ankunftshalle des Flughafengebäudes auf mich. Von Weitem sah ich sie (ich hatte meine Brille auf) immer wieder in der Menschenmenge, mal hier mal dort, auf und nieder hüpfen, wie ein lebender Flummi, der verzweifelt versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen.
Als sie mich entdeckte, rannte sie mir mit einem freudigen Aufkreischen entgegen. Ich ließ mein Gepäck fallen und wir hopsten uns an den Händen haltend im Kreis umher, wie zwei durchgedrehte Hühner. Nach einer halben Minute wurde uns bewusst, dass die Umstehenden ihre Unterhaltung drosselten und uns mit seltsamen Blicken maßen, was uns auf der Stelle verstummen ließ. Verlegen schnappte ich meine Sachen und lief kichernd mit Marie zu ihrem Auto.
London hieß mich mit einem dunklen, von Wolken verhangenen Himmel willkommen, der ein baldiges Gewitter ankündigte.
„Ich freue mich so wahnsinnig, dass du bei mir bist.“ Marie strahlte mich voller Zuneigung an, so dass es mir auf Anhieb besser ging.
„Und ich bin froh, dass ich deinem Ratschlag gefolgt bin.“
„Es war das einzig Richtige, jetzt alles stehen und liegen zu lassen. Glaub mir!“
Maries herrliche braune Mandelaugen leuchteten. Ihre langen schwarzen Locken umspielten ihr hübsches Gesicht mit der kleinen Stupsnase. Fast zwei Köpfe kleiner als ich, aber mit einer süßen knackigen Figur, probierte sie, meine Koffer ins Auto zu hieven. „Ich bringe dich auf andere Gedanken, da bin ich mir ganz sicher“, keuchte sie währenddessen.
„Lass mich das machen, du Zwerg.“ Ich drängte sie zur Seite und hob die schweren Gepäckstücke in den Kofferraum.
Marie lachte, als sie zur Fahrertür ging und einstieg. „Ja, es hat auch seine Vorteile, so klein zu sein.“ Mit einem traurigen Schmunzeln stieg ich ins Auto, was Marie beobachtete. Sie startete das Auto und seufzte: “Schau nicht so deprimiert! So groß zu sein wie du, ist kein Nachteil.“
„Welche Vorteile hat es bitteschön, außer, dass ich kleinen, frechen Leuten wie dir auf den Kopf spucken kann?“, fragte ich mürrisch.
Maries exotische Augen wurden noch eine Spur schmaler. „Du weißt es ganz genau und ich werde es jetzt zum letzten Mal sagen, ich schwöre es: Deine superlangen Beine zum Beispiel. Um die ich dich beneide und vermutlich die ganze Welt, wenn du sie nicht immer verstecken würdest. Und wehe du jammerst mir wieder wegen deiner roten Haare oder Brille vor, dann kotzte ich. So ´ne Haarfarbe wie du hat sonst kein Mensch und spätestens seit Anastacia sind brillentragende Frauen sexy.“
Verhalten lächelte ich. Ich konnte es nicht leugnen, sie hatte mir schon oft Komplimente gemacht. Ja, möglicherweise stimmte das, was sie behauptete.
Oft nimmt man sich selbst viel kritischer wahr als andere es tun. Gerade wir Frauen sind besonders gut darin. Zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn, zu lockig, zu glatt … Wir finden an uns immer etwas, was uns nicht passt. Ich liebe es, eine Frau zu sein!
„Na“, seufzte ich resignierend. „Ich halt mich eher für eine Kreuzung zwischen einem irischen Riesenkobold und einer Brillenschlange. Aber … wenn du ein Mann wärst, würde ich dich für diese Komplimente