Tödliche Vetternwirtschaft. Irene Dorfner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Серия: Leo Schwartz
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742748386
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kann ich für Sie tun?“ bot sie den beiden Plätzen an ihrem ausladenden und völlig überladenen Schreibtisch an, der gleichzeitig der Empfang zu sein schien.

      „Wir sind wegen Gerald Haferstock hier.“

      „Der ist leider verstorben. Ganz plötzlich. Wie hätte man auch in seinem Alter damit rechnen können? Mit 55 Jahren stirbt man doch nicht einfach so! Vor allem nicht, wenn man so fit ist und so gesund gelebt hat. Als ich erfahren habe, dass er einfach so beim Joggen tot umgefallen ist, hätte mich fast der Schlag getroffen. Von jetzt auf nachher ist er einfach nicht mehr da. Er fehlt mir sehr. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Seit Gerald tot ist, bleibt alles an mir hängen!“

      Frau Winter war traurig und verzweifelt zugleich. Man sah schon an ihrem Schreibtisch und an dem völlig überladenen Sideboard dahinter, dass sie an ihre Grenzen stieß. Wenn sie das alles bearbeiten musste, hatte sie ganz schön zu tun.

      „Was genau ist Ihre Funktion hier?“

      „Ich bin Architektin. Genauer gesagt, habe ich früher Architektur studiert. Dummerweise habe ich dann, als ich meinen damaligen Mann kennengelernt habe, meinen Beruf ihm zuliebe und der Kinder wegen an den Nagel gehängt. Und dann hat mich vor rund sechs Jahren das Schicksal ereilt, dass mich mein Mann durch ein junges, blondes Modell ersetzt hat. Von heute auf morgen musste ich mein eigenes Geld verdienen, was nicht so leicht war. Klar hatte ich ein abgeschlossenes Studium, aber keine Praxis. Und ich war über 20 Jahre aus dem Beruf raus. Sie glauben nicht, wie viele Bewerbungen ich geschrieben habe und vor wie vielen Architekten ich zu Kreuze gekrochen bin. Ich habe überall um einen Job gebettelt. Gerald war der einzige, der mir eine Chance gegeben hat und dafür bin ich ihm ewig dankbar. Von Anfang an hat er mich wie einen vollwertigen Kollegen behandelt und mich nie spüren lassen, dass ich eigentlich keine Praxis habe und mich auch mit den Computerprogrammen ganz schön blöd angestellt habe. Er war sehr geduldig mit mir und ich habe sehr viel von ihm gelernt. Vor einem Jahr hat er mich sogar zu seiner Partnerin gemacht und mir die Hälfte der Firma überschrieben, können Sie sich das vorstellen? Mein Leben war in den letzten Jahren wie im Märchen und dann kam Geralds plötzlicher Tod. Das hat mich echt umgehauen. Ich weiß nicht, wie es hier jetzt weitergehen soll. Wer erbt Geralds Teil der Firma? Wird die Firma jetzt verkauft? Muss ich nochmal von vorn anfangen? Es ist zum Heulen!“

      Man konnte spüren, dass Hannelore Winter ihren Kompagnon sehr mochte und auch vermisste.

      „Hatte Herr Haferstock Feinde? Oder Neider? Was wissen Sie über sein Privatleben?“

      „Feinde hatte er keinesfalls, das kann ich mir nicht vorstellen. Gerald war ein richtiger Sunny-Boy, der immer gute Laune hatte. Wo er auch hinkam, hat er die Menschen für sich eingenommen. Neider hatte er bestimmt, wer hat die nicht? Sogar mir schlug Neid von vermeintlich guten Freunden und sogar Familienmitgliedern entgegen, als ich Fuß gefasst hatte und immer erfolgreicher wurde. Geralds Leben war vor allem die Firma und die Arbeit, die er immer mit viel Herzblut und Hingabe gemacht hat, auch dafür habe ich ihn sehr bewundert. So einen leidenschaftlichen, äußerst kreativen, korrekten und integren Mann hatte ich bis dato nicht kennengelernt. Gerald reiste sehr gerne. Keine Pauschalreisen in irgendwelche Luxusschuppen, sondern eigens auf seine Wünsche und Vorstellungen zusammengestellte Individualreisen. Von diesen Reisen hat er nach seiner Rückkehr immer in den tollsten Farben geschwärmt. Natürlich wusste ich von Anfang an, dass Gerald homosexuell war, er hat diesbezüglich immer mit offenen Karten gespielt. Aber das ging mich nichts an und interessierte mich auch nicht. Männliche Begleiter habe ich nie an seiner Seite gesehen. Und private Besucher gab es hier in der Firma nicht, das mochte Gerald nicht; beruflich und privat hat er immer strikt getrennt, wie ich auch, darin waren wir uns einig. Ab und zu sind wir gemeinsam abends ausgegangen; meist, um einen guten Auftrag oder den Abschluss eines Projekts zu feiern. Wir waren Essen oder gingen ins Kino. Gerald hat mir vor sechs Jahren nicht nur beruflich, sondern auch privat unter die Arme gegriffen, bis ich langsam wieder Selbstvertrauen gewonnen hatte und wieder allein zurechtkam. Gerald hat mich damals aufgefangen und mir neuen Lebensmut gegeben, ich verdanke ihm sehr, sehr viel. Er war mein Freund, Mentor und Held. Ach, ich könnte stundenlang von diesem einzigartigen Mann schwärmen. Verstehen Sie mich nicht falsch, als Mann hatte ich nie Interesse an ihm, von Männern habe ich generell die Schnauze voll.“ Hannelore Winter griff in ihre Hosentasche und zog ein Taschentuch hervor, mit dem sie die Tränen abwischte und dann kräftig schnäuzte. „Sie vermuten, dass bei Geralds Tod jemand nachgeholfen hat?“

      „Wie kommen Sie darauf?“

      „Warum sollte sich sonst die Kripo für seinen Tod interessieren? Wissen Sie was? Ich könnte mir sogar vorstellen, dass da jemand nachgeholfen hat. Gerald war topfit und hatte keine Vorerkrankungen, das hätte er mir gesagt. Erst wenige Wochen vor seinem Tod hatte er sich komplett durchchecken lassen, mit allem Drum und Dran; Gerald war über das Ergebnis mehr als zufrieden.“ Das Telefon klingelte ununterbrochen und Frau Winter legte nun den Telefonhörer daneben. Sie stand auf, stellte Kaffeetassen auf den Tisch und schenkte ungefragt ein. So übel ihr erster Eindruck auch war, umso umgänglich entpuppte sie sich nun. „Als ich gehört habe, dass Gerald an Herzversagen gestorben ist, habe ich das nicht geglaubt. Nicht Gerald! Er hat immer auf seinen Körper geachtet, hat nicht einmal Kaffee getrunken. Und dann dieser viele Sport, den er neben seinem stressigen Berufsalltag nie hat ausfallen lassen. Was haben Sie bisher herausgefunden? Gibt es schon einen Verdächtigen?“ Die Fragen sprudelten nur so aus der Frau heraus.

      „Laufende Ermittlungen, Sie verstehen?“ Hans zwinkerte der Frau zu.

      „Sie stehen also noch am Anfang?“ Die Frau war nicht dumm und deutete die Mienen der Beamten richtig. „Gut, was brauchen Sie für Ihre Ermittlungen? Sie können jederzeit an Geralds Schreibtisch, sehen Sie sich dort in Ruhe um.“

      „Die Unterlagen seiner letzten Projekte wären super. Ich beichte lieber gleich, dass Sie uns überhaupt nichts geben müssen, wir haben keinerlei rechtliche Handhabe, hier irgendetwas einzusehen oder gar mitzunehmen. Aber wenn Sie uns die Unterlagen freiwillig geben? Sagen wir, vom letzten halben Jahr?“

      „Selbstverständlich bekommen Sie alles, was Sie brauchen. Ich stelle Ihnen die Unterlagen zusammen. Hilft Ihnen eine Telefonliste?“

      „Das wäre genial! Dürfen wir auch an den Laptop?“

      „Nicht nur das, nehmen Sie ihn einfach mit. Ich habe meinen eigenen. Von den für mich relevanten Vorgängen ziehe ich Kopien, das dauert nur einige Minuten. Solange können Sie sich Geralds Schreibtisch vornehmen.“

      „Sie sind eine Wucht Lady, wissen Sie das?“ Hans war begeistert von der Frau, die einen scharfen Verstand besaß.

      Das Büro von Georg Haferstock war nur eine Tür weiter und hatte einen schönen Blick auf das Industriegebiet Neuötting, das in den letzten Jahren immer stärker ausgebaut wurde. Früher war das alles Ackerland, was man sich heute kaum mehr vorstellen konnte. Sie durchsuchten den schlichten Schreibtisch; hier war alles sehr sauber und ordentlich. Die Ordner und Ordnerrücken in den Metallregalen hatten alle die gleiche Farbe und waren mit sauber geschriebenen Druckbuchstaben beschriftet.

      „Lassen Sie sich nicht stören,“ sagte Frau Winter, als sie mit einem großen Karton in der Hand eintrat. Sie nahm zielsicher verschiedene Ordner aus dem Regal und stellte sie fein säuberlich in den Karton. Nach einigen Minuten war sie fertig und ging mit ihrem Karton wieder nach draußen. Leo drückte auf die Wahlwiederholung des Telefons und landete in einem China-Restaurant. Bei der nächsten Nummer landete er in einer Altöttinger Bank, was ihm jetzt nicht weiterhalf, denn er landete in der Telefonzentrale. Die dritte und vierte Nummer war dieselbe Nummer mit einer Mühldorfer Vorwahl. Leo drückte die Wahlwiederholung und es meldete sich ein Herr Huber mit tiefer, dunkler Stimme.

      „Wer sind Sie und warum rufen Sie unter der Nummer von Herrn Haferstock an?“ fauchte ihn der Mann sofort an. „Mein Freund ist tot.“

      „Leo Schwartz, Kripo Mühldorf. Wäre es möglich, dass wir uns mit Ihnen persönlich unterhalten könnten?“

      „Kripo? Verstehe ich zwar nicht, das müssen Sie mir erklären. Kommen Sie bei mir vorbei, ich bin noch eine Stunde im Büro.“ Huber nannte ihm die Adresse in Mühldorf.