Marionette des Teufels. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737561884
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sie das alles nichts an. Was im Grunde ja auch stimmte.

      Denn von nun an hatten andere das Sagen, wenn es darum ging, was mit ihr und ihrem Körper, der ihr immer so wichtig gewesen war, geschehen sollte.

      Männer wie Hauptkommissar Berthold Brauser, der gerade vor ihrem Bett stand und kaum glauben mochte, was er im Spiegel sah.

      Eigentlich machte sich Brauser nicht viel aus seinem Äußeren, zumindest in den letzten Jahren nichtmehr, und er wollte auch jetzt, so kurz vor seiner Pensionierung, nicht daran denken. Aber ignorieren konnte er seinen heutigen Anblick eben auch nicht: Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, neben den Mundwinkeln hatten sich tiefe Falten eingegraben und seine ganze Haltung drückte eine viel zu große Betroffenheit aus. Dabei war er ein großer stattlicher Mann. Ein bisschen übergewichtig vielleicht, aber nicht dick. Die Haare schon grau, aber durchaus noch voll. Ein Mann in den besten Jahren, wie er bis vor kurzem noch von sich behauptet hatte.

      Der Hauptkommissar löste den Blick von seinem eigenen Spiegelbild und beugte sich noch tiefer über die junge Frau. Sie war nackt und wunderschön und er konnte einfach nicht verstehen, wie so etwas passieren konnte.

      Dass sie tot war, daran hatte er keinen Zweifel. Zu vielen toten Menschen hatte er in seiner langen Dienstzeit schon in die leeren Augen geblickt. Auch wenn diese selten von so langen schwarzen Wimpern und einer so perfekt gezupften Braue umrahmt gewesen waren.

      Dabei war sie von einer derart unschuldigen Nacktheit, als warte sie darauf, von einem großen Künstler gemalt zu werden. Doch am Ende warteten auch auf sie der Leichensack und die Rechtsmedizin mit ihren wissenschaftlichen Methoden, um dem Tod seine Ursache zu entlocken.

      Langsam sog der Kommissar ihren unverwechselbaren Duft ein. Einen Geruch, der bei jedem Toten neu definiert wurde, so als könne man, wenn man ihn tief genug einatmete, die Ursache für das Sterben verstehen. Als läge in den Poren ihrer Haut das Geheimnis ihres Todes verborgen. Ihre Brüste waren fest und voll und neigten sich etwas zur Seite, kein Silikon bestimmte ihre Form: Sie waren echt und schön. Bei anderer Gelegenheit hätte er sie gerne voller Leidenschaft berührt und gespürt, wie sie darauf reagierte.

      Ihre Hüftknochen bildeten zwei sanfte Hügel, zwischen denen der Bauch lag, flach mit einer kleinen Wölbung. Der Venushügel war genau wie der restliche Körper völlig haarlos, was ihr, als Kontrast zu den langen blonden Locken, die ihr Gesicht umrahmten, noch immer etwas sehr Kindliches gab. Die schlanken Beine endeten in zartrosa lackierten Fußnägeln. Überhaupt war sie genau so, wie Männer, wie er selbst, sich Frauen erträumen. Denn im Grunde wirkte sie wie ein Traum, zu perfekt, um zu leben. Zudem schien sie auch im Tod noch geheimnisvoll zu lächeln. Fast sah es so aus, als amüsierte sie der Umstand ihres Endes oder vielleicht hatte sie dieses auch noch gar nicht realisiert.

      Zu gern hätte Brauser sich abgewendet, den Blick von diesem jungen, schönen, toten Körper genommen, von dieser Verschwendung der Natur. Aber das ging nicht, er war der Chef und seine Mitarbeiter erwarteten von ihm, dass er sich auch so benahm.

      Darum blieb er, sah in die völlig geweiteten Pupillen, von deren einstiger Farbe nichts mehr zu erkennen war und überlegte, dass sie vielleicht einmal strahlend blau gewesen waren. Doch jetzt war nur noch dieser leere Blick übrig geblieben. Ein Blick wie durch einen bangen Nebel und er wollte nicht, dass sie sah, was mit ihr in den nächsten Stunden geschehen würde. Deshalb hob er seine Hand und schloss mit einer entschiedenen Bewegung ihre Lider.

      Der Hauptkommissar war schon lange in seinem Beruf tätig und hatte viele frisch und auch länger Verstorbene gesehen, wenn auch die meisten eines natürlichen Todes gestorben waren. Trotzdem hatte er sie gewissenhaft untersucht, gewendet und gedreht. Respektvoll, weil ja jeder irgendwann einmal diesen Weg gehen musste und jeder hoffte, im Tod nicht entwürdigt zu werden. Brauser wischte sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn. Er hatte sich nicht mehr im Griff, vielleicht war es für ihn wirklich an der Zeit aufzuhören, vielleicht musste er sich doch eingestehen, dass er langsam zu alt wurde für diesen Job, zu alt und zu sentimental. Dabei gab es nur wenig, was er so sehr liebte wie seinen Beruf.

      Um ihn herum wuselte das Team der Kriminaltechnik, Annemarie und die kleine Mona, die nur einsfünfzig groß war und die immer einen Stuhl brauchte, wenn sie an die oberen Akten im Büro herankommen wollte. Sie suchten Spuren. Dinge, die nicht hingehörten, wo sie sie fanden. Brauser war an die Kollegen in ihren weißen Gazeanzügen gewöhnt. Sie störten ihn schon lange nicht mehr bei seinen trüben Gedanken. Nur der Mann, der auf einmal neben dem Bett erschien, der ihm bekannt vorkam und doch auch wieder nicht und der die Kamera hob, so wie Mona eben, und der Bilder von der Toten machte, Bilder mit ihm auf einer Höhe, der irritierte ihn. Brauser sah ihn an und plötzlich fiel ihm ein, um wen es sich handelte. Er sah gepflegt aus und benahm sich respektvoll der Toten gegenüber, aber mit seiner Knipserei störte er die Untersuchungen und er gehörte definitiv nicht hierher. Immerhin betrat er ungeschützt einen Tatort, woraufhin ihn die Leiterin der Spurensicherung auch in einem barschen Ton davonscheuchte, aufgebracht und bissig. Aber so war Annemarie, denn auch sie liebte ihren Beruf.

      Natürlich wäre es an ihm gewesen einzugreifen, doch nach der vergangenen Nacht fehlte ihm dazu einfach die Kraft. Er merkte, wie ihn die Ereignisse der letzten Wochen langsam einholten. Resigniert atmete Brauser tief durch. Herz und Lunge waren schon lange nicht mehr seine Verbündeten, wenn es darum ging, mit den Kollegen in den dritten Stock hinaufzusteigen. Aber heute war es noch schlimmer gewesen. Heute ging es ihm wirklich schlecht und er bereute, wie selten, dass er sich gestern mit Obermüller getroffen und mal wieder viel zu viel getrunken hatte.

      Seine Frau Maria freute sich schon darauf, wenn er in Rente gehen würde und endlich mehr Zeit für sie hatte, doch bisher hatte er immer Angst vor der Leere gehabt, die sie füllen mussten. Vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche, ohne die Wahrscheinlichkeit, von einem dringenden Anruf auf seinem Handy abgelenkt zu werden. Er hatte es sich schön geredet. Hatte sich gesagt, dass er dann, wann immer er wollte, angeln gehen, lesen, endlich seinen Keller aufräumen und reisen könnte. Überall hin, wo er noch nicht war, vielleicht bis nach Australien oder Mexiko. Da war es jetzt schön warm. Aber würde es ihm dort deshalb auch besser gehen? Und würde er dort vergessen können?

      Vielleicht würde es mit den Jahren besser werden, aber in der vergangenen Nacht hatte ihn noch nicht einmal der Alkohol von seinen Sorgen befreien können.

      Bis vor kurzem hatte er noch an die ewige Jugend geglaubt, jetzt spürte er die Müdigkeit in allen Knochen. Und am schlimmsten war, dass dieses Gefühl so plötzlich über ihn hereingebrochen war.

      „Na, Chef, da kam wohl nicht der, den sie erwartet hatte.“ Mit fester, fast fröhlicher Stimme mischte sich die junge Oberkommissarin Franziska Steinbacher in Brausers Gedanken und deutete auf den nackten Körper der Toten.

      „Sieht so aus, als ob sie jemanden erwartet hatte, oder?“ Ihre blitzgescheiten Augen sahen den Hauptkommissar eindringlich an. Um ihre Mundwinkel spielte ein kleines Lächeln. Wie immer war sie in Hochform, trug mit routinierter Selbstverständlichkeit ihre Latexhandschuhe und notierte und analysierte alles, was sie in die Finger bekam.

      „Sie ist aber nicht an einer Überdosis Glück gestorben, sondern an einem kräftigen Schlag auf den Hinterkopf“, warf der Notarzt, Dr. Buchner, der seine Sachen gepackt hatte und sich verabschieden wollte, von der anderen Seite des Bettes ein.

      „Das weiß ich, und sie ist auch nicht im Schlafzimmer gestorben, richtig?“ Auf Zustimmung wartend, wanderte ihr Blick über das Bett.

      „Wie kommst du denn darauf?“ Brauser hatte sich ein wenig gefangen. Nur wer ihn kannte, konnte aus seinem ungewohnten Ton schließen, dass etwas mit ihm nicht stimmte. „Ihre gesamte Wohnung ist weiß gestrichen und auch die Möbel sind entweder weiß oder aus Ahornholz, nur bei den Accessoires dominiert in jedem Zimmer eine andere Farbe. Im Schlafzimmer ist es Gelb und Orange, in der Küche Rot, im Wohnzimmer Apfelgrün und im Bad Rosa. Das Kissen, auf dem ihr Kopf liegt, ist das einzige, auf dem wir Blut gefunden haben und es ist apfelgrün, obwohl im gesamten Bett genug andere Kissen liegen. Warum wohl?“

      Nachdem keiner der Männer eine Antwort einbrachte, fuhr sie selbst fort. „Weil der Täter uns glauben machen will, dass sie im Bett gestorben ist.