Unser Possi ist nämlich mein allerliebster Lieblingsort auf dieser Welt. Schloss Possenhofen liegt einiges außerhalb von München an den Ufern des Starnberger Sees, ein von vier Ecktürmen flankierter Bau, der mitten in einem entzückenden Park mit Rosengärten, die fast bis zum See hinuntereichen, liegt. Am See kann man an schönen Tagen die schneebedeckten Gipfel des Wettersteins und der Zugspitze sehen und ich habe allerlei Tiere, um die ich mich dort kümmern darf. Rehe, Lämmchen, putzige Kaninchen, Hühner und Perlhühner. Oft zeichne ich meine Tiere oder schreibe Gedichte, die ich nur meiner besten Freundin Irene zeige, der Tochter des Grafen Paumgarten. Mit ihr und ihrem Bruder David wollte ich eigentlich um die Welt segeln, allerdings starb David im letzten Jahr an einer Lungenentzündung, so wird nichts draus.
Mama meint, aus mir wird noch ein schöner Schwan, den ein König heiratet. Hoffentlich nicht so bald! Den Franz habe ich übrigens schon einmal gesehen, damals im Juni 1848 in Innsbruck gemeinsam mit der Mama, dem Ludwig, dem Karl Theodor und der Néné. Der Franz war damals 18 und nur an der Politik interessiert. Für uns kleine Cousinen hatte er keine Augen übrig. Damals machte sein jüngerer Bruder Karl Ludwig mir den Hof, folgte mir auf Schritt und Tritt, brachte mir Blumen und Früchte und war ganz verzweifelt, als wir abreisten. Er hat mir noch lange mit seiner wunderschönen, wie gestochenen Handschrift, Briefe geschrieben und ich habe mich geschmeichelt gefühlt. Er hat mir auch immer wieder Geschenke geschickt, eine Rose und einen Ring und ich habe ihm auch einen Ring senden lassen. Und dann habe ich noch eine Uhr mit Kette, die ich mir schon lange gewünscht habe, geschenkt bekommen. Natürlich habe ich mich immer recht artig bedankt und erzählt, dass mir die braven Lämmerl hinterherlaufen. Néné war damals ziemlich eifersüchtig gewesen, dass ich und nicht sie den ersten Verehrer hatte und fand das Theater, das Karl Ludwig meinetwegen machte, albern. Nicht einmal von den Erdbeeren, die Karl Ludwig uns beiden anbot, wollte sie damals kosten. Sie, die damals schon eines Tages die Schönheit, die sie jetzt ist, zu werden versprach. Sie, die anscheinend das damenhaft Repräsentieren in die Wiege gelegt bekommen hatte. Eifersüchtig war sie auf mich, die nur Pferde und Papageien im Sinn hatte. Denn der Karl Ludwig gab mir das Gefühl, schon ein bisserl erwachsen zu sein. Und er war der netteste aus der Habsburger Verwandtschaft, die mir allesamt recht steif vorkamen.
„Ich schreib dir“, hatte Karl Ludwig beim Abschied ganz laut gerufen und wild an die Kutsche geklopft, die andere Hand am Herzen. Und er hatte Wort gehalten.
Ich erinnere mich immer noch daran, wie Néné mich damals albern und kindisch nannte und der Meinung war, dass keiner aus dem Kaiserhaus eine von uns, eine aus der armen bayerischen Verwandtschaft, heiraten würde.
Jetzt anscheinend doch!
Ich schaue nachdenklich zum Fenster hinaus und freue mich über diese Reise. Eigentlich bin ich ja nur dabei, weil Papa nicht wollte, obwohl er und nicht ich eingeladen war und alle meinten, ich würde mich freuen, den Karl Ludwig wiederzusehen. Vielleicht hatte Sophie auch uns beide eingeladen, damit der Kaiser die freie Auswahl bei uns Schwestern hat? Ich weiß es nicht und es interessiert mich nicht, denn ich werde ihn ohnehin nicht heiraten, weil ich nicht in Wien leben will. So einfach ist das!
Aber ich liebe Kutschenfahren und ich liebe Reisen, schaue immerfort nach draußen zu den Bergen, die in ein milchiges Licht getaucht sind. Allein das Wort Reise übt einen unwiderstehlichen, fast magischen Reiz auf mich aus. Wenn ich erwachsen bin, will ich nur noch reisen, egal wohin, ans Ende aller Zuggleise und darüber hinaus. Ich will auch das Meer sehen und mit einem Schiff fahren. Im Gegensatz zu Néné wird mir nämlich dabei nicht schlecht.
Die Kutsche hält mit einem Ruck und mir wäre beinahe das Buch ausgekommen und der Bleistift zu Boden gekullert, so sehr war ich in meine Gedanken versunken. Schnell klappe ich das Buch zu.
„Wir machen eine kleine Rast, Néné und ich haben furchtbares Kopfweh und müssen uns ausruhen. Man soll uns Eiswasser zur Kühlung bringen,“ befiehlt Mama der Kammerzofe.
Ich mustere Néné, als wir aussteigen, sie ist ganz blass und tut mir furchtbar leid. Wahrscheinlich hat sie Angst, hätte ich an ihrer Stelle auch.
„Mir ist so furchtbar übel.“
Néné seufzt erleichtert auf, als sie festen Boden unter den Füßen hat. „Wahrscheinlich mag mich der Franzl nicht und ich werde keine Kaiserin. Warum müssen wir ausgerechnet jetzt wegen einem Todesfall in der Familie schwarz tragen. Diese Farbe steht mir gar nicht, ich sehe damit alt, trist und grau aus wie eine Nonne.“
Mama guckt indigniert, weil sie es nicht leiden kann, wenn wir jammern und ich umarme Nene ganz fest.
„Das trägst du doch nur auf der Reise, du ziehst dich nachher um. Was du in Ischl anziehst, wird in München ja niemand erfahren. Du wirst dich von deiner besten Seite zeigen und der Kaiser wird dich bezaubernd finden. Und jetzt will ich keine Klagen mehr hören. Und mach um Gotteswillen kein so verdrießliches Gesicht. Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester“, schimpft meine Mutter die arme Néné aus.
„Du bist doch so viel hübscher als ich, du wirst bestimmt eine formidable Kaiserin, ganz bestimmt“, flüstere ich tröstend in ihr Ohr.
16. August 1853
Es ist spät abends. Ich habe den Kaiser gesehen, er sieht gut aus, ist schlank, blond, hat ein feines, weiches Gesicht und er trägt Uniform. Ich gestehe, ich mag Männer in Uniformen, schon der gute Richard, den ich am Hofe meines Vaters kennenlernte, trug eine und sah so schneidig aus, dass ich mich in ihn verliebte. Heimlich mit der Hilfe meiner kleinen Schwester Marie traf ich mich mit ihm und tauschte schüchterne Worte und Blicke aus. Ganz traurig war ich, als er plötzlich fort aus meinem Leben war. Weggeschickt hatten sie ihn aus dem Hofdienst und die Mama hatte mich arg gescholten und mehr Anstand und Standesbewusstsein von mir gefordert. Der arme Richard war zu allem Überfluss am Fieber gestorben, sodass ich ihn nie wieder gesehen habe.
Néné hat also Glück über so einen Mann mit einer so schmucken Uniform!
Ich würde dennoch nicht mit ihr tauschen wollen. Die Menschen hier am Hofe gefallen mir nämlich gar nicht, sie kommen mir falsch und bösartig vor und ich habe Angst vor ihnen. Die Tante Sophie ist ziemlich furchteinflößend, obwohl sie Mama herzlich umarmt hat. Mir graut vor ihr. Ihr Mann, Franz Karl, ist sehr nett, aber steht völlig in ihrem Schatten seiner Frau und hat nicht viel zu melden. Keine Frage, wen ich lieber mag von den beiden.
Als der Franzl mich angeschaut hat, bin ich rot geworden, wie eine richtig dämliche Provinzgans kam ich mir vor und hab verlegen zum Karl Ludwig rüber geschaut, der ziemlich eifersüchtig auf seinen Bruder schien.
17. August 1853
Beim Nachmittagstee im Seeauer-Haus an der Esplanade saß ich dann mit meiner Erzieherin an der Kindertafel und die Néné beim Kaiser. Ich war aufgeregt wegen der vielen Menschen und hatte ohnehin keinen Appetit. „Die Néné hats gut, die hat schon so viele Menschen gesehen, aber ich nicht, mir ist so bange, dass ich gar nichts essen kann“, raunte ich der Gouvernante zu, die neben mir Platz genommen hatte.
Am 18. August feiern wir den 23. Geburtstag des Kaisers. Wahrscheinlich wird dann auch seine Verlobung mit Néné bekannt begeben. Ich würde es ihr so wünschen, sie ist nämlich immer noch so aufgeregt und ziemlich blass. Sie hat wieder einmal ihre scheußliche Migräne. Zu Beginn war ja nicht einmal die zweite Kutsche mit den Kleidern da und sie musste in der schwarzen Trauerkleidung, in der sie so traurig, trist, ernst und gar etwas streng aussieht, vor den Kaiser treten.
Ich hätte ihr am liebsten zugeraunt: „Nimm es leicht, denn sonst mag der Kaiser dich nicht.“
Heute Abend ist ja noch der große Ball und da muss Néné glänzen! Ich darf auch teilnehmen, weil ich mich an der Kindertafel recht gut betrug. Mein erster Ball und Nénés großer Auftritt.
Es