Carola Schierz
Schwur auf Rache
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Es waren nur noch wenige Meter bis zum Waldrand. Er konnte sehen, wie die Sonnenstrahlen immer stärker durch das lichter werdende Dickicht drangen. Dann verließ er den Schutz der Bäume und lenkte sein Pferd auf die Spitze des grünen Hügels. Hier hatte man die beste Sicht auf Schloss Kaltenstein. Er saß ab und ließ Parsifal von dem saftigen Gras fressen. Äußerlich ruhig sah er sich um, doch in seinen Eingeweiden brannte der blanke Hass. Die grauen Augen blieben auf dem Schloss ruhen – seinem Schloss!
Es thronte auf einer kleinen Anhöhe über der Stadt. Ein verspielter Bau mit mehreren Türmchen, die sich in das Blau des Himmels erstreckten. Sein Urgroßvater musste ein ausgemachter Romantiker gewesen sein.
Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn sich Heinrich von Kaltenstein nie zum Bau dieses Schlosses entschieden hätte. Aber es war nun einmal so wie es war und er würde alles daran setzen, was in seiner Macht stand, um das Erbe seines Vaters zurückzuerobern. Noch saß Fürst Siegmund ahnungslos auf dem Thron und wusste nichts davon, dass er, Falko von Kaltenstein, hier war, um ihm alles zu nehmen. So wie auch ihm einst alles genommen wurde. Seine Heimat, seine Würde, seine Familie – sein ganzes Leben! Erst wenn Falko dieses Ziel erreicht und Siegmunds Untat gerächt hatte, würde seine verwundete Seele vielleicht zur Ruhe kommen.
Jetzt endlich war es so weit! Seit Jahren hatte er darauf gewartet. Nun würde er der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen ...
Einige Jahre zuvor …
„Beeile dich, Falko, die Kutsche steht schon bereit!“ Liebevoll blickte Katharina von Kaltenstein auf ihren Ältesten.
„Einen Moment noch, Mutter. Ich muss nur noch meine Armee einpacken! Sie werden uns auf der Reise zur Burg beschützen!“ Schnell beförderte der Junge seine kleine Armee in ein Stoffsäckchen. Er liebte die handgeschnitzten Figuren über alles. Keinen Schritt machte er ohne sie aus dem Schloss. Der kleine Trupp war ein Geschenk von Hauptmann Gernot, dem Befehlshaber der Wachmannschaft seines Vaters. Gernot hatte ihn selbst gefertigt und dem Sohn des Fürsten zu dessen achtem Geburtstag geschenkt. Das war nun schon fast zwei Jahre her. Falko verbrachte viel Zeit mit dem väterlichen Freund. Gernot beantwortete dem neugierigen Jungen bereitwillig alle Fragen und brachte ihm spielerisch einfache Kampftricks bei, die ihm bei seiner späteren Ausbildung von Nutzen sein konnten.
Heute wollte die Fürstenfamilie nach Kaltenstein-Burg reisen. Dort wohnte der Vetter des Fürsten, Siegmund, mit seiner Frau Dora und Töchterchen Luise. In zwei Tagen feierte Luise ihren neunten Geburtstag und wenn es um seine Tochter ging, war Siegmund kein Aufwand zu hoch. Da er keine weiteren Kinder hatte, verwöhnte er das Mädchen, wo es nur ging und so plante man auch in diesem Jahr wieder ein großes Fest zu ihren Ehren.
Falkos Vater Friedrich war Herr über Schloss Kaltenstein und Siegmund regierte Kaltenstein-Burg. Sie hatten schon zu Luises Geburt die Abmachung getroffen, dass ihre Kinder später heiraten sollten, um so das alte Fürstentum wieder zu vereinen. Luise und Falko wuchsen in der Selbstverständlichkeit auf, eines Tages vermählt zu werden und zweifelten, dank ihres zarten Alters, keinen Moment an der Entscheidung ihrer Väter.
Einst hatte Heinrich von Kaltenstein, ihr Urgroßvater, allein über das gesamte Land geherrscht. Er lebte mit seiner Frau und den Söhnen Otto und Konrad auf der Burg und brachte es durch weise Herrschaft zu großem Reichtum. Er entschied sich dazu, in einem anderen Teil seines Landes ein Schloss zu errichten, um so der weniger komfortablen Burg zu entfliehen. Mehrere Jahre gingen dahin, bis der Bau endlich abgeschlossen war.
Dann, als Otto und Konrad alt genug waren und Fürst Heinrich sich zur Ruhe setzte, entschied er, seinen Besitz unter ihnen aufzuteilen. Otto, der Erstgeborene, bekam Schloss Kaltenstein und die umliegenden fruchtbaren Ländereien. Konrad wurde Eigentümer von Burg Kaltenstein und dem dazugehörigen Steinbruch. Dieser hatte nicht unwesentlich zum Reichtum der Familie beigetragen, da alle größeren Baustellen im Umland ihre Steine daraus bezogen. Die Einkünfte aus dem Holzhandel und den Märkten teilten sie gerecht. Als Grenze zwischen beiden Herrschaftsbereichen diente ein Fluss, der das Land natürlich in etwa gleichgroße Hälften teilte: Kaltenstein und Kaltenstein-Burg. Alle waren mit dieser Lösung zufrieden und lebten in völliger Eintracht und Harmonie.
Otto gab seinen Besitz später an Sohn Friedrich weiter. Die beiden älteren Töchter verheiratete er standesgemäß. Fürst Konrads Erbe fiel an sein einziges Kind Siegmund.
Jetzt sollte endlich alles wieder zusammengeführt werden - doch Machtgier und Habsucht warfen ihre dunklen Schatten voraus.
Falko saß neben dem Kutscher, wie er es am liebsten tat, und ließ sich die warme Maisonne auf die Nase scheinen. Langsam fand er seine gute Laune wieder. Diese war ihm abhandengekommen, als er erfahren musste, dass Gernot sie diesmal nicht begleiten würde. Der Hauptmann war seit zwei Tagen mit Fieber ans Bett gefesselt und hatte keine Chance, sich auch nur für ein paar Minuten aufrecht im Sattel zu halten. Falko kannte zwar die meisten Soldaten des Begleittrupps, aber es war nicht dasselbe, ohne den älteren Freund.
Bis zur Burg hatten sie etwa fünf Stunden Fahrt vor sich. Ein Teil der Strecke führte entlang der Handelsstraße, vorbei an kleinen Siedlungen und weiten Feldern. Danach ging es durch den Wald und Falko sog den starken Geruch von Harz und Tannennadeln in sich auf. An einer Lichtung machten sie ein Picknick. Die Diener richteten alles nett her und Falko spielte derweil mit seinen beiden kleinen Schwestern Verstecken. Danach ließen sie es sich schmecken und genossen fröhlich das seltene Zusammensein der ganzen Familie.
Zum frühen Nachmittag