Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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sparte sich und seinen Paß für eine jüdische Glaubensgenossin auf; der siebente, der achte und der neunte wollten gleichfalls ziemlich viel Geld.

      Schließlich empfahl man Tilly eine Rechtsanwältin, die sich auf dergleichen Dinge verstehen sollte. Sie verdiene ihren Unterhalt mit Arrangements solcher Art, deuteten die Kaffeehausbekannten an, sei aber auch eine Idealistin, die um der guten, antifaschistischen Sache willen, emsig, preiswert und gewandt, Paßehen stifte.

      Frau Doktor Albertine Schröder wohnte in einer kleinen Pension, nahe dem Bahnhofsplatz. Tilly war überrascht, daß die Anwältin sie, nachmittags um drei Uhr, im Bett empfing. Über einem Nachthemd, das nicht ganz sauber schien, trug sie eine Art von Frisierjacke, hellblau, mit Spitzen garniert. Sie war eine ältere Frau; Tilly taxierte: zwischen fünfzig und sechzig. Um ein aufgeschwemmtes, faltiges Gesicht hingen die grauen Strähnen ihrer aufgelösten Frisur. Ihre Augen waren stahlblau und hatten einen erschreckend harten, übrigens lustigen Blick – ›Augen wie aus Eis‹, dachte Tilly entsetzt.

      Frau Doktor mußte die erschreckte Miene ihrer jungen Besucherin bemerkt haben. Sie redete, im Bett halb aufgerichtet, mit einer blechernen, künstlich lebhaften Stimme. »Na, Kleine, Sie wundern sich wohl ein bißchen, daß ich am hellichten Tage in den Federn rumliege – kann ich verstehen, kann ich durchaus begreifen, daß Sie sich etwas wundern. Sollten es aber ’ner alten Frau nicht übelnehmen, daß sie sich mal ein bißchen Ruhe gönnt. Habe es mir wohl verdient – oder finden Sie nicht, kleines Ding?« Dazu lachte sie und wies, noch kichernd, auf einen Stuhl, der neben dem Bett stand. Tilly nickte, bleich und bestürzt. Während sie sich auf dem Stuhl niederließ – es war eine schmale, harte, unbequeme Sitzgelegenheit – plapperte die Alte mit ihrer Blechstimme weiter. »Mein Gottchen, nein, wenn ich denke – ich habe ja wahrhaftig genug hinter mir! In Deutschland haben sie mir tüchtig zugesetzt, haben mich olle Person tüchtig verdroschen, die Jungens von der SA.« Dazu lachte sie lüstern. »Die Nieren tun mir noch weh«, konstatierte sie gutgelaunt.

      Tilly fragte bestürzt: »Aber wieso denn, Frau Doktor? Warum sind Sie denn mißhandelt worden?«

      Die muntere Rechtsgelehrte im Bett schlug die Hände über dem Kopf zusammen und amüsierte sich so herzlich, als hätte Tilly einen guten Witz gemacht. »Aber Kindchen!« brachte sie schließlich hervor. »Sie stellen mal ulkige Fragen! – Warum die olle Schröder von der SA vermöbelt worden ist? Na, da gab es doch reichlich Gründe …«

      Das Telefon klingelte; Tilly bemerkte erst jetzt, daß der Apparat im Bett neben dem Kopfkissen stand. Die Anwältin unterbrach sich sofort in ihrer grausig-aufgeräumten Rede und nahm den Hörer ab. »Hier Dr. Schröder.« Sie sprach jetzt mit einer veränderten, leisen und drohenden Stimme. Ihr Gesicht war starr und furchtbar ernst geworden. Während sie lauschte, kniff sie die blauen Eisaugen ein wenig zusammen. Der Teilnehmer am anderen Ende des Drahtes sprach lange und klagend; schließlich unterbrach Frau Doktor barsch den Redefluß. »Schluß! Ich will nichts mehr hören. Sie schwätzen Unsinn und wissen das selber recht wohl. – Nein, natürlich kann ich mich auf Ihre Vorschläge nicht einlassen: sie sind absurd. Ich bin selbst eine arme Frau. Sie werden noch von mir hören, und bald – worauf Sie sich verlassen können. Adieu.« Sie hängte ein und starrte, ein paar Sekunden lang, aus den bösartig zusammengekniffenen Augen vor sich hin. Dann wandte sie sich, wieder munter, an Tilly.

      »Also, kleine Dame – warum die olle Schröder Haue bekommen hat, wollen Sie wissen? Na, ich war doch eine bekannte Nummer in Berliner Linkskreisen; habe doch die ganzen roten Jungens juristisch vertreten, und geschickt vertreten, darf man wohl flüstern. Die Nazis hatten was gegen mich, und das war ihnen schließlich nicht zu verdenken. Als dann der Reichstagsbrand kam …«

      Tilly überlegte: ›Sonderbar, daß ich ihren Namen in Berlin nie gehört habe. Wahrscheinlich ist alles nicht wahr. Mein Gott, die Person spricht ja kein wahres Wort …‹

      »Wenn ich nicht durch Geburt Schweizerin wäre«, fuhr die Alte fort, »dann säße ich wohl immer noch in dem famosen Columbia-Haus oder vielmehr: wahrscheinlich gäbe es die olle Schröder nicht mehr; die Jungens hätten mich hingemacht. Auf dem besten Wege dazu waren sie – kann ich Ihnen garantieren. Soll ich Ihnen mal meine Narben zeigen? Aber so ’nen unschönen Anblick will ich Ihnen gar nicht zumuten, Sie sehen zart aus. – Erst haben sie mir die Kleider vom Leibe gerissen, alle Kleider; dann sind sie mit Gummiknüppeln über mich her und mit so ’ne langen Nilpferdpeitschen …«

      Tilly, die den lügnerisch-lüsternen Bericht nicht länger ertragen konnte, bemerkte, ein wenig zitternd: »Leider bin ich ziemlich pressiert. Vielleicht haben Sie nichts dagegen, daß wir bald zu meiner Sache kommen.« – Frau Doktor kniff drohend die Augen zusammen. »Gut. Ganz, wie Sie wünschen, mein Fräulein. Durchaus wie’s beliebt.«

      »Mein deutscher Paß ist abgelaufen«, erklärte Tilly, »und wird nicht verlängert.«

      »Sie wollen also heiraten?« erkundigte sich die Juristin lauernd. »So ’ne kleine Paßehe – wie?«

      Tilly, sehr leise: »Ich dachte, Sie könnten mir dabei behilflich sein.« Daraufhin die Rechtsgelehrte, munterer denn je: »Läßt sich machen, Kindchen, läßt sich durchaus machen. Sie sollen ja eine tapfere kleine Person sein, versichern mir Ihre Freunde. Tapferen kleinen Personen helfe ich immer gern … Außerdem sind Sie ein appetitliches Mädel, ein reizendes Geschöpf, muß man zugeben!« Sie zwinkerte der Besucherin unzüchtig zu. »Ist für keinen Kerl ein Opfer, Sie zu heiraten, kleines Fräulein …« Dazu das blecherne Lachen.

      »Ich will aber doch gar nicht wirklich heiraten«, wandte Tilly ein.

      Die Rechtsberaterin schien wieder herzlich belustigt. »Weiß ich doch, weiß ich doch!« Sie machte eine munter abwinkende Bewegung. »Bin doch nicht doof!« versicherte sie. »Habe doch Köpfchen!« Dabei tippte sie sich schalkhaft mit dem Zeigefinger auf die Stirn. »Na, man wird ja da sehn … Ungefährlich ist die Sache für mich keinesfalls.« Nun wurde sie wieder ernst und bekam die schmalen, unheilverkündenden Augen. »Aber für eine Gesinnungsgenossin, eine tapfere kleine Antifaschistin riskiere ich was«, sprach sie bieder.

      Dann erklärte sie, daß sie gerade zufällig einen sehr sympathischen jungen Schweizer »auf Lager« habe: »aus guter jüdischer Familie; kommt sehr in Frage; werde ihn gleich mal anläuten.« Sie zog den Telefonapparat an sich heran – mit einer merkwürdig zärtlichen Gebärde, so wie eine Mutter ihr Kind an sich zieht – und wählte die Nummer. – »Kann ich den jungen Herrn Nathan sprechen? – Ach, er ist nicht zu Hause?« Sie schien sehr enttäuscht. »Er soll doch bitte die Frau Doktor Schröder anrufen, sowie er zurückkommt. Etwas Wichtiges! – Na, wir werden das Kind schon schaukeln!« verhieß sie, nachdem sie eingehängt und den Apparat wieder von sich geschoben hatte. »Der kleine Nathan ist gar nicht übel. Politisch tadellos; hübscher Bursch, brauchen sich mit ihm auf dem Standesamt nicht zu schämen. Kolossal anständiger Kerl; wird Ihnen keine erpresserischen Geschichten machen.«

      Tilly stand auf. »Sie werden sicher so liebenswürdig sein, mir gleich Nachricht zu geben, wenn Sie von dem Herrn gehört haben.«

      »Ganz recht, Kindchen.« Die Anwältin bekam fürchterlich schmale Augen. »Aber erst müssen wir noch den geschäftlichen Teil der Sache erledigen, damit es keine Mißverständnisse gibt. Mit dem jungen Nathan werden Sie sich leicht einigen, er dürfte nicht anspruchsvoll sein. Was mich betrifft« – sie saß aufgerichtet im Bett und hielt sich die hellblaue Frisierjacke mit einer nervösen Bewegung über dem Busen zusammen – »so gewähre ich Ihnen meine Hilfe aus Idealismus, aus selbstlosem Interesse an Ihrem Fall. Wenn ich aufs Geld aus wäre, gäbe es ja einträglichere und weniger gefährliche Dinge für mich zu tun. – Immerhin: ich lebe nicht von der Luft.« Dies stellte sie mit einer gewissen Erbitterung fest, und sie fügte hinzu: »Was ich mir in Deutschland erspart habe, ist mir alles gestohlen worden. – Nun, liebes Kind, ich darf wohl annehmen, daß Sie mit Glücksgütern auch nicht gerade gesegnet sind. Ich schlage daher vor, als ein bescheidenes Honorar für meine Bemühungen: achthundert Schweizerfranken. Vierhundert Franken sind sofort anzuzahlen, ehe ich irgend etwas weiteres unternehme; die restlichen Vierhundert sind auf einer Züricher Bank für mich zu deponieren.«

      Tilly wurde sehr blaß. »Achthundert Franken«, sagte