»Ganz okay und bei dir?«
Du meinst, abgesehen davon, dass ein fremder Geist in deinen Körper gefahren ist?
Innerlich gluckste ich. Das hört sich ja an, als hätte ein Dämon von mir Besitz ergriffen.
Wer weiß, vielleicht bin ich einer?
Ganz sicher nicht. Kein Dämon könnte mich jemals so nerven wie du, Connor Ward. Du bist bloß ein nerviger Arsch.
Er lachte und Mom seufzte.
»Es hätte etwas ruhiger sein können. Mein Chef wollte ausgerechnet noch kurz vor Feierabend, dass ich die Regale ausräume und abwische.« Sie ging mit der Pfanne, in der mehrere Eier brutzelten, zum Tisch, den sie für unser Abendessen schon eingedeckt hatte, und verteilte die Eier auf den Tellern.
Ich folgte ihr zum Esstisch, nahm Platz und hörte ihr zu, während sie weiter von ihrem Job im hiesigen Supermarkt und von ihrem nervigen Chef erzählte und die Pfanne wieder auf den Herd zurückstellte.
Bevor sie sich jedoch neben mir an der Stirnseite des Tisches niederließ, holte sie tief Luft. »Dylan? Das Essen ist fertig«, brüllte sie so laut über ihre Schulter, dass man es noch zwei Häuser weiter hören konnte.
Dylan? Dylan ist dein Bruder?
Ich seufzte in Gedanken. Ja.
Das wusste ich nicht. Weiß überhaupt jemand von unserer Schule, dass ihr Geschwister seid?
Nope, ich denke nicht. Meines Wissens streitet Dylan es immer ab, wenn er danach gefragt wird, und ich belasse es dabei.
Warum verleugnet er, dein Bruder zu sein?
Weil er ein Arsch ist, so wie du?
Meine Laune verabschiedete sich in den Keller. Alles, was mit meinem Bruder zusammenhing, ging ich aus dem Weg. Wir verstanden uns einfach nicht. Ich glaube, wir konnten uns nicht mal richtig leiden, und ich hatte keine Ahnung, woran das lag. Ich wusste bloß, dass Dylan am liebsten schon kotzen würde, wenn ich mich in der Nähe aufhielt. Ich hatte irgendwann aufgegeben, die Zuneigung meines Bruders zu gewinnen, der gerade mal ein Jahr älter als ich war. Wir waren nicht wie andere Geschwister, kein Herz und keine Seele. Familie konnte man sich im Gegensatz zu Freunden nun mal nicht aussuchen. Leider. Deswegen wollte ich es auch gar nicht erst versuchen, Connor zu erklären.
Ernsthaft, Hazel, wieso macht er das?
Weil er mich nicht leiden kann und ich ihn ebenso wenig.
Ihr seid ja seltsam drauf. Also ich wäre froh, Geschwister zu haben.
Ach, halt die Klappe, Connor. Es interessiert mich nicht, was du gerne hättest.
Angepisst widmete ich mich meiner Mahlzeit. Kurz darauf pflanzte sich Dylan mir gegenüber. Er hatte geduscht. Feuchte Strähnen fielen ihm in die Stirn. Stumm wie ein Fisch begann er die gebratenen Eier in sich hinein zu schaufeln.
Eigentlich wollte ich mich auf mein Essen konzentrieren, doch Connor zwang mich dazu, meinen Bruder anzustarren. Mein, sein oder vielmehr unser Blick wanderte langsam über Dylans Brust, die sich deutlich unter dem engen, ärmellosen T-Shirt abzeichnete und blieb an seinen muskulösen Oberarmen hängen.
Sag mal, du stehst doch auf Frauen, oder?
Sicher. Wieso fragst du?
Weil du meinen Bruder gerade anschmachtest. Gefällt er dir?
Was? Nein, um Gottes willen. Es war nur ...
Ja?
Sein Aussehen erklärt einiges.
Verdrießlich blinzelte ich zu meinem Bruder hinüber. Ja, das stimmte schon. Während ich hin und wieder im künstlich beleuchteten Supermarkt meiner Mutter mit Schokoriegeleinräumen ein paar Kröten dazu verdiente, schuftete Dylan fast täglich bei einem Farmer, was ihm nicht nur den Gang ins Fitnessstudio, sondern auch die Sonnenbank ersparte. Sam meinte einmal, mein Bruder wäre der muskelbepackte Johnny Depp der Beach Boys. Nur würde er nicht auf einem Surfbrett reiten, sondern auf einem Traktor. Es war zum Kotzen. Denn während ich offensichtlich als Schmuddel-Hazel auf dem untersten Rang der Highschool-Hierarchie herumdümpelte, galt mein Bruder als cooler, gefährlicher Außenseiter. Ein Underdog, was anscheinend, wie ich schon insgeheim befürchtet hatte, bei den Mädels sexy ankam. Und wohl auch bei den Jungs. Mein Bruder und sexy? Äh, igitt, allein schon der Gedanke. Die haben ihn echt noch nie morgens in seinen alten Unterhosen aus dem Bett kriechen sehen. Ich würde wirklich gleich kotzen, wenn ich weiter darüber nachdachte. Innerlich verdrehte ich die Augen, weil ich ahnte, was kommen würde.
Und was erklärt sein Aussehen?
Na, dass es doch wahr sein könnte.
Hä? Um was zur Hölle ging es hier? Ich verstand die Welt nicht mehr.
Dass was wahr sein könnte?
»Hazel, Schätzchen? Was ist denn mit dir? Hast du keinen Hunger? Du hast das Essen noch nicht einmal angerührt. Geht es dir nicht gut?« Besorgt deutete meine Mutter auf meine unberührte Mahlzeit.
»Doch, doch. Alles prima.« Schnell stopfte ich mir zwei Gabeln gebratenes Ei in den Mund und biss vom Toast ab, das sie mir bereitgelegt hatte.
Mein Bruder hob kurz den Blick, in dem geschrieben stand: Gott, was stimmt mit dir nicht?
Ach, komm tu nicht so. Du hast bestimmt schon das Gerücht gehört, dass dein Bruder etwas mit meiner Freundin gehabt haben soll.
»Mit Brianna?«, platzte es laut und empört aus meinem Mund heraus, was zwei Reaktionen nach sich zog. Das »Was?«, von Mom und eine ruckartige Kopfbewegung Dylans. Die fiel auch Connor auf, der sofort in meinen Hirngängen lauthals randalierte.
Los, frag ihn! Frag ihn, ob er was mit ihr hatte!
Nein, auf gar keinen Fall. Weißt du, was der mit mir anstellt, wenn ich das mache?
Ohne mein Zutun bewegten sich auf einmal meine Lippen. »Hattest du was mit Brianna Cunningham?«
Bist du wahnsinnig?, brüllte nun ich in meinen Gehirnwindungen, während sich mein Inneres vor Angst verrenkte.
Das Gesicht meines Bruders verfinsterte sich. »Ich wüsste nicht, was dich das angehen sollte. Also halt die Füße still, Schweinchen.«
Aha, er hatte was mit ihr. Womöglich läuft sogar immer noch etwas zwischen den beiden.
Was? Nein, das kannst du doch nicht einfach so aus seiner Antwort schließen? Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, das Brianna Dylans Typ ist. Ehrlich gesagt, bezweifle ich, dass überhaupt jemand sein Typ ist, so mies wie der immer drauf ist.
»Ich will es aber wissen«, hörte ich mich mutig über den Tisch hinweg kläffen, obwohl mein Gesicht vermutlich die Angst zeigte, die tatsächlich in mir tobte.
Um Gottes willen, was tust du da? Er wird mich umbringen oder noch Schlimmeres.
Prompt landete ein Stück von Dylans Eigelb mit einem Flatschen auf meiner Nase. »Anscheinend willst du auch Ärger?« Vielsagend schwang er seine Gabel.
»Dylan!«, mahnte Mom ihn, während ich mir das Gesicht von seiner Mahlzeit befreite.
Doch das brachte meinen Bruder nur noch mehr