Reden. Karl Liebknecht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Liebknecht
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754948255
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Landarmee Kuropatkins auch die Bastille des Zarismus zusammen- stürzt. Die Freiheit, die für Rußland anbricht, ist aber auch die Freiheit für Preußen, für Sachsen, für Deutschland... Wir haben, so schloß der Redner, alle Ursache, zur Fahne der russischen Revolution zu halten. Die russische Revolution ist unsere Sache, die Reaktion die Sache des Zaren und der preußischen Regierung. Die deutsche Sozialdemokratie weiß sich eins mit dem russischen Proletariat, seine Freiheit ist auch unsere Freiheit. Darum nieder mit dem blutbefleckten Zarismus! Es lebe die russische Revolution!

      Rede im Preußischen Landtag am 23. Februar 1910

      ... Meine Herren, es ist von der Sozialdemokratie, von der organisierten Arbeiterschaft am 13. Februar dieses Jahres in Form von Straßendemonstrationen, in Form von Versammlungen in geschlossenen Räumen und unter freiem Himmel ihre Meinung, ihr Wille in einer so gewaltigen Weise zum Ausdruck gebracht worden, daß ähnliches in der deutschen Geschichte bisher nicht zu verzeichnen ist. (Lachen rechts.) – Meine Herren, Sie können darüber lachen und Sie können darüber höhnen, und niemand wird an den rechten Ernst dieser Heiterkeit und dieses Hohnes glauben.

      Meine Herren, nur wer diese Straßendemonstrationen mitgemacht hat, kann in vollem Umfange darüber urteilen,. wie sie getragen waren von einer Stimmung des Enthusiasmus (Lachen rechts.), von einer Stimmung des Idealismus, von einer Stimmung der Opferfreudigkeit (Lachen rechts.), die jeden, der sie erfahren hat, mit der Überzeugung erfüllen muß: diese Volksmasse ist reif geworden, die Regierung selbst in die Hände zu nehmen (Lachen rechts.), diese Volksmasse ist nicht länger gewillt, sich die Herrschaft eines übermütigen kleinen Häufleins von Ausbeutern und Unterdrückern auf die Dauer gefallen zu lassen. (Unruhe. – Glocke des Präsidenten.)

      Vize-Präsident Dr. Porsch (den Redner unterbrechend): Herr Abgeordneter, ich muß Sie doch bitten, solche Ausdrücke nicht zu gebrauchen.

      Man hat ja gesagt, meine Herren ... (Zuruf rechts.) – Sie sind natürlich keine Ausbeuter; ich spreche stets nur von denjenigen Herren, dies außerhalb des Hauses sind.

      Also diese Straßendemonstrationen sind in geradezu glanzvoller Weise verlaufen, nicht nur wegen der ungemeinen Begeisterung, von der sie getragen waren, nicht nur nach der Richtung hin, daß der preußischen Regierung bei dieser Gelegenheit einmal deutlich zu Gemüte geführt worden ist, wie die wirkliche Stimmung der Masse ist, gegen deren Willen sie auf die Dauer nicht regieren kann; auch in der Richtung sind die Straßendemonstrationen glanzvoll verlaufen, daß die Arbeiterschaft dabei ein Maß von Besonnenheit und Selbstzucht an den Tag gelegt hat, die ihre politische Reife selbst in dem Sinne eines preußischen Polzeiministers deutlich zeigt.

      Meine Herren, es ist ja bekannt, daß es an einigen Orten zu Ausschreitungen gekommen ist („Sehr richtig“ rechts.): in Halle, in Frankfurt am Main, in Königsberg und in Neumünster besonders, daß dort Blut geflossen ist. Meine Herren, es ist Blut geflossen, aber das Blut, das dort geflossen ist, ist nicht geflossen durch die Schuld der demonstrierenden Arbeiterschaft (Zurufe rechts.), dieses Blut ist geflossen ausschließlich durch die Schuld der engherzigen preußischen Polizeiorgane. (Stürmische Zurufe rechts.) – Ihre Schuld, meine Herren, sind diese Blutopfer; es sind die Opfer der preußischen engherzigen Polizeimißwirtschaft, der preußischen Reaktion, der preußischen Junkerreaktion. (Lachen rechts.) – Meine Herren, das ist nicht die Auffassung der Sozialdemokratie allein; ich kann auch in diesem Falle wiederum andere Schwurzeugen anführen. Ich darf darauf hinweisen, daß die Frankfurter Zeitung ... (Zuruf rechts.) – Natürlich sozialdemokratisch, meine Herren! Sie war mal vor gar nicht langem eine Blockzeitung, da haben Sie nicht so über sie abgeredet. Also die Frankfurter Zeitung hat in sehr deutlicher Weise ihre Ansicht folgendermaßen kundgetan:

      Zum Glück liegt der Charakter der gestrigen Vorgänge bereits jetzt so klar, daß eine Fruktifizierung des Geschehenen zu reaktionären Zwecken nicht möglich ist, wenigstens nicht in gutem Glauben.

      Wohlgemerkt, meine Herren, die Frankfurter Zeitung, die keine sozialdemokratische Zeitung ist, sagt, daß eine Fruktifizierung des Geschehenen zu reaktionären Zwecken nicht möglich ist, wenigstens nicht in gutem Glauben. Halten Sie an diesen Worten einmal auch für den weiteren Fortgang der Debatte fest!

      Soweit es sich um die Frankfurter Demonstranten selber handelt, brachte der gestrige Abend eine eindrucksvolle und würdige Kundgebung zugunsten des freien Wahlrechts, eine Kundgebung, deren Diszipliniertheit um so mehr Achtung einflößen muß, als nach dem brutalen Vorgehen der Polizei am letzten Sonntag die allgemeine Stimmung sehr erbittert war. Trotzdem haben sich die Versammlungsteilnehmer zu keinerlei Ausschreitungen verleiten lassen.

      Es ist des weiteren gesägt, daß, nachdem die Polizei in dieser Weise sich Ausschreitungen hat zuschulden kommen lassen, die Polizei damit bewiesen hat – das gilt der preußischen Polizei, das gilt dem preußischen Herrn Polizeiminister –, daß sie der gegenwärtigen schwierigen Situation nicht gewachsen ist. Die einzigen, die bei den gestrigen Vorfällen sich nichts vorzuwerfen haben, sind die Wahlrechtsdemonstranten.

      Meine Herren, diese Ausführungen aus bester Quelle (Lachen rechts.) und aus einer nichtsozialdemokratischen Quelle ... (Lachen und Zurufe rechts.) – Gott, meine Herren, es ist aus der Frankfurter Zeitung, was ich Ihnen vorgelesen habe! (Erneute Zurufe und Lachen rechts.) – Meine Herren, es hat keinen Sinn, darüber zu streiten. Sie bilden sich wohl ein, daß Sie mich irgendwie aus dem Konzept gebracht haben, weil ich auf Ihre Redereien nicht eingehe? Ich habe besseres zu tun. – Ich kann Ihnen auch wieder die Frau Minna Cauer vorführen. (Zuruf rechts.) Es ist ein merkwürdiger Zufall: wie sie bei den Berliner Polizeiausschreitungen gelegentlich der Ferrerversammlungen zugegen gewesen ist, so ist sie jetzt auch in Frankfurt a.M. bei den Wahlrechtsdemonstrationen zugegen gewesen.

      Sie sah, daß die Massen ruhig durch die Straßen zogen. Aber dann sprengten die Berittenen auf die Bürgersteige. Dann prügelten die Schutzleute die Männer und Frauen aus den Häusern heraus, in die sie sich geflüchtet hatten. Dann sah sie, wie die Schutzmannsfäuste den Rücken eines achtjährigen Kindes solange bearbeiteten, bis sie ihm zu Hilfe kommen konnte. („Hört, hört!“ bei den Sozialdemokraten.)

      Meine Herren, es sind andere Fälle berichtet worden, in denen die Polizei in rücksichtslosester Weise auf Frauen eingehauen hat. Ist dieses Vorgehen gegen Frauen nicht geradezu unerhört, gegen das schwache Geschlecht? Diejenigen, die ihre Hand gegen diese Frauen erhoben haben, verdienen in der Tat, der allgemeinen Verachtung preisgegeben zu werden.

      Es ist weiter ein Fall mitgeteilt worden, wo ein Geheimschutzmann auf einen Invaliden namens Köhler losging. Er wurde darauf aufmerksam gemacht, daß das ein kranker Mann sei, der sich nicht bewegen könne. Er gab darauf die Antwort: „Ob Invalide oder nicht – nur drauf“ Mehrere Schutzleute hieben auf eine Frau, die zu Boden geworfen war, unbarmherzig ein. (Stürmisches Lachen rechts.) – Meine Herren, daß Sie lachen, zeigt nur, auf welchem Tiefstand der Moral Sie sich befinden. (Erneutes Lachen rechts.) Wer in solchen Fällen nicht den Ernst zu bewahren vermag (Lachen rechts.), der zeigt auf das deutlichste, daß er längst das Recht und die Fähigkeit verloren hat, an der Verwaltung eines modernen Staatswesens irgendwie teilzunehmen.

      Damit genug von Frankfurt.

      Von Neumünster möchte ich Ihnen noch die Tatsache vorhalten, daß der Stadtrat Nissen bei der Verhandlung dieser Angelegenheit vor der Stadtverordnetenversammlung in Neumünster hat zugeben müssen, daß er vom Balkon aus mit seinem Operngucker den Vorgängen zugeschaut hat, ohne sich im geringsten zu bemühen, beruhigend und ordnend einzugreifen, um diese bedauerlichen Vorgänge zu verhindern. Die Polizei hatte die Massen eingekeilt und so das Blutvergießen erzeugt; Herr Nissen bezeichnete es als Pflicht der Polizei, in dieser Weise gegen die Demonstranten vorzugehen.

      Meine Herren, der Vorwärts, wie die ganze Sozialdemokratie haben in diesem Falle ganz gewiß nicht übertrieben ... Deshalb dürfen wir mit Fug und Recht behaupten, daß das Blut, welches geflossen ist, an den Händen der preußischen Polizeiverwaltung klebt, und daß kein Regen des milden Himmels ausreichen wird, dieses Blut, diese Blutschuld, von der preußischen Verwaltung abzuwaschen.

      Vizepräsident