»Einen wüsten und finsteren Masel-tow28 wünsche ich dir!« sagt sie. »Was bist du so festlich gestimmt, mein teurer Brotgeber? Kommst du denn von einer Hochzeit oder von einer Beschneidungsfeier, mein Goldspinner?«
»Von einer Hochzeit«, sage ich, » und einer Beschneidungsfeier! Warte eine Weile, mein Weib, du wirst bald einen Schatz sehen«, sage ich. »Wecke aber zuerst die Kinder, damit auch sie, nebbich29«, sage ich, »von den Jehupezer Speisen genießen.«
»Bist du toll, oder nicht gescheit, oder närrisch, oder von Sinnen. Denn du redest wie ein Verrückter, auf alle Feinde Zions sei es gesagt!« sagt mir mein Weib und flucht, wie es eben nur ein Weib kann.
»Ein Weibsbild«, sage ich, »bleibt ein Weibsbild. Nicht umsonst sagt König Salomo, dass er unter tausend Weibern kein rechtes gefunden hat. Es ist wirklich noch ein Glück, dass es heute nicht mehr Mode ist, viel Weiber zu haben«, sage ich. Und ich gehe zu meinem Wagen, hole alle die guten Dinge, die man mir eingepackt hat, und stelle alles auf den Tisch. Als meine Leute die Semmeln sahen und den Braten rochen, fielen sie, nebbich30, wie die hungrigen Wölfe über den Tisch her. Sie packten fest zu, ihre Hände zitterten und ihre Zähne arbeiteten, wie es in der Schrift heißt: ›Und sie aßen.‹ – Raschi31 übersetzt es: ›Und sie fraßen wie die Heuschrecken.‹ Tränen traten mir in die Augen ...
»Nun, sag schon endlich«, sagt zu mir mein Weib, »bei wem war denn die Armenmahlzeit oder das Festessen, und warum bist du plötzlich so stolz?« »Habe Geduld, Golde«, sage ich, »bald wirst du alles erfahren. Bereite aber«, sage ich, »zuerst den Samowar; dann wollen wir uns alle um den Tisch herumsetzen«, sage ich, »und ein Glas Tee trinken, so wie es sich gehört. Der Mensch«, sage ich, »lebt nur einmal auf der Welt, und nicht zweimal. Besonders jetzt«, sage ich, »wo wir eine eigene Kuh haben, die vierundzwanzig Glas Milch am Tage gibt. So Gott will, bringe ich sie morgen her.« Nun ziehe ich aus der Tasche den ganzen Pack Banknoten und sage: »Zeige deinen Verstand, Golde«, sage ich, »und rate, wieviel Geld wir da haben?«
Ich werfe einen Blick auf mein Weib – sie ist blaß wie die Wand und kann kein Wort sprechen.
»Gott sei mit dir, liebe Golde«, sage ich, »was bist du so erschrocken? Fürchtest du vielleicht«, sage ich, »dass ich jemand bestohlen oder beraubt habe? Pfui«, sage ich, »du sollst dich schämen! Du bist seit so vielen Jahren schon Tewjes Weib und verdächtigst ihn einer solchen Sache? Närrchen«, sage ich, »das ist koscheres Geld, ich habe es mit eigenen Händen und eigenem Verstand ehrlich verdient. Ich habe«, sage ich, »zwei Seelen aus einer großen Gefahr errettet«, sage ich, »wenn ich nicht gekommen wäre, so weiß Gott allein, was mit ihnen geschehen wäre!« ...
Kurz und gut, ich erzählte ihr die ganze Geschichte, wie Gott mich geleitet hat, vom Aleph32 bis Ssof33. Und dann begannen wir das Geld zu zählen: es waren zweimal achtzehn34 Rubel, und noch ein überzähliger Rubel dazu. Ihr könnt es Euch leicht ausrechnen: es waren genau siebenunddreißig Rubel! … Golde fing sogar zu weinen an.
»Was weinst du«, sage ich, »du närrisches Weib?« »Wie soll ich nicht weinen«, sagt sie, »wenn mir die Tränen von selbst kommen?! Wenn das Herz voll ist«, sagt sie, »gehen die Augen über! So wahr mir Gott helfe«, sagt sie, »mein Herz wußte es schon vorher, dass du mit einer guten Nachricht kommen wirst! Heute nacht«, sagt sie, »erschien mir nach vielen Jahren Großmutter Zeitel – es sei zwischen Lebenden und Toten wohl unterschieden! – wieder im Traume. Ich schlief, und plötzlich sah ich einen Melkkübel; Großmutter Zeitel, sie ruhe in Frieden, hielt den Kübel unter der Schürze verborgen, damit ihn kein böser Blick treffe, und die Kinder schrien: Mutter, gib uns Milch!«
»Greife nicht nach den Nudeln vor dem Sabbat«, sage ich, »teure Seele! Großmutter Zeitel möge ein lichtes Paradies haben«, sage ich, »ich weiß aber nicht, ob wir von ihr etwas haben werden. Doch wenn Gott an uns solch Wunder getan hat, dass wir eine Kuh bekommen, wird er wohl auch dafür sorgen, dass es eine anständige Kuh wird … Gib mir lieber einen Rat, Golde, was wir mit dem Gelde tun sollen!«
»Das wollte ich eben dich fragen«, sagt sie zu mir, »was willst du mit dem Gelde, unberufen, tun, Tewje?«
»Nein, sage du«, sage ich, »was glaubst du, können wir mit einem solchen Kapital, unberufen, anfangen?«
Und wir begannen es uns beide zu überlegen. Wir zerbrachen uns den Kopf und nahmen alle Geschäfte durch, die es nur in der Welt gibt. In jener Nacht handelten wir mit allen Dingen, die man sich nur ausdenken kann: wir kauften ein paar Pferde und verkauften sie dann gleich wieder mit Profit; wir gründeten ein Kolonialwarengeschäft in Bojberik, verkauften alle Waren aus und gründeten gleich darauf ein Schnittwarengeschäft; wir beteiligten uns an einer Waldversteigerung und ließen uns einige Rubel Abstandsgeld zahlen; dann versuchten wir die Fleischsteuer in Anatewka zu pachten und liehen das Geld auf Zinsen aus –
»Du bist verrückt, auf meine Feinde sei es gesagt!« sagt zu mir mein Weib. »Du willst wohl die paar Rubel verlieren, so dass dir nichts als deine Peitsche zurückbleibt?«
»Ist es denn besser«, sage ich, »mit Brot zu handeln und Bankrott zu machen? Sind denn wenig Leute«, sage ich, »beim Weizenhandel zugrunde gegangen? Hast du denn noch nicht gehört«, sage ich, »wie es in Odessa zugeht?«
»Was taugt mir«, sagt sie, »Odessa? Die Väter meiner Väter sind dort niemals gewesen, und meine Kinder kommen auch niemals hin, solange ich lebe und solange mich meine Beine tragen!«
»Was willst du denn?« sage ich.
»Was ich will?« sagt sie. »Ich will, dass du kein Narr bist und keine Dummheiten redest.«
»Wahrscheinlich«, sage ich, »bist du jetzt klug geworden. Man sagt ja auch: Kommt Geld, kommt Verstand, und wenn man vielleicht reich ist, so ist man gewiß klug – So ist es immer!«
Kurz und gut, wir zankten uns einige Mal und versöhnten uns gleich wieder. Schließlich einigten wir uns darauf, dass wir zu der braunen Kuh noch eine zweite Milchkuh hinzukaufen sollten –
Werdet Ihr doch wohl fragen: Warum gerade eine Kuh und kein Pferd? Werde ich Euch darauf antworten: Warum ein Pferd und keine Kuh? Bojberik ist doch ein Ort, wo im Sommer alle reichen Leute von Jehupez auf dem Lande leben; und da die reichen Leute von Jehupez eine vornehme Erziehung genossen haben und gewohnt sind, dass man ihnen alles ins Haus bringt und in den Mund steckt: Holz, Fleisch, Eier, Hühner, Zwiebeln, Pfeffer, Petersilie, – warum soll sich nicht jemand finden, der ihnen jeden Tag Käse, Butter und Sahne ins Haus bringt? Und da die Jehupezer Leute viel vom Essen halten und der Rubel bei ihnen keine Rolle spielt, kann man dabei viel Geld einnehmen und ordentlich verdienen. Wichtig ist nur, dass man ihnen gute Ware liefert; solche Ware, wie bei mir, findet Ihr aber auch in Jehupez nicht! Ich möchte mit Euch zusammen soviel Segen erleben, wie oft mich schon sehr vornehme Leute, auch Christen, gebeten haben, dass ich ihnen frische Ware bringe: »Wir haben gehört«, sagen sie, »Tewje, dass du ein anständiger Mensch bist, wenn du auch ein krätziger Jude bist.« … Wie, glaubt Ihr: bekommt man von Juden je ein solches Kompliment zu hören? Auf alle meine Feinde sei es gesagt! Kein gutes Wort höre ich von unseren Leuten. Ständig schauen sie in fremde Töpfe hinein. Als sie bei Tewje eine Kuh und einen neuen Wagen sahen, zerbrachen sie sich gleich die Köpfe: Wo hat er das her? Handelt vielleicht dieser Tewje mit falschen Banknoten? Oder hat er eine geheime Schnapsbrennerei? … ›Ha-ha-ha!‹ denke ich mir, ›zerbrecht euch nur die Köpfe, Brüder!‹ Ich weiß nicht, ob Ihr es mir glauben werdet – Ihr seid wohl der erste, dem ich die ganze Geschichte erzähle, wie und was und warum ...
Mir scheint aber, ich habe mich ein wenig verplaudert, nehmt es mir nicht übel! Man muß ja auch ans Geschäft denken oder, wie es in der Schrift heißt: ›Und alle Raben mit ihrer Art‹: ein jeglicher gehe an seine Arbeit, Ihr an Eure Bücher, und ich an meine Milchtöpfe und Kannen ...
Um eines möchte ich Euch bitten, Reb Scholem-Alejchem: Ihr sollt mich in Euren Büchern nicht beschreiben! Und wenn Ihr mich doch einmal beschreibt, so nennt wenigstens meinen Namen nicht … Bleibt mir gesund und laßt es Euch gut gehen!