Sonne satt. Roma Hansen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roma Hansen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039245
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      „Nicht zuständig?“, entsetzt sich Usa, das Gebäude hinter dem winzigen Vorgarten musternd. Sie will hinein, ihre Meinung sagen, aber lässt es. Sie bremst Antons scharfer Ton.

      „Aufnötigen musste ich ihm die Meldung, unsere Adresse! Der hält dem Bürostuhl im Kabuff die Treue, wie gelangweilte Alte es halten. Früh übt er sich“, berichtet er zu ende. „Wir kamen unserer Pflicht nach. Er entscheidet, wer die Leiche birgt.“

      Für einen abwägenden Moment reibt Anton seinen Magen, nickt langsam mehrmals, fest im Blick Usa, still im Zwiegespräch. Er hebt seine Rechte an ihre von Sonne umgleiste Schläfe, worin es heftig pocht. Das lindert nur die Quinta. Anton senkt die Hand, klatscht sie in die andere, reibt sie aneinander.

      „Eine gute Tat wurde vollbracht, eine zweite andere wartet. Carel, fahr mit uns, leichenblass wie du bist! Einsteigen.“

      Anton startet den Kombi. Weit später fährt er an den Hang der Quinta, und fängt im Rückspiegel Carels Augenmerk ein. Es flattert umwölkt aufwärts gen Berg, klebt an der Hütte der Oma im Nachbargelände, hängt irgendwie elementar dort oben.

      Um das ihm gänzlich Unverständliche abzukürzen, hilft Anton Carel in die sonnige Parkzone aussteigen, doch versagen Carel schon die Knie. Mit, wie ohnmächtig, verdrehten Augen fällt der schlanke Mann Anton in die Arme. Er rümpft die Nase über dessen absurde Schwäche, während Usa ihm schon zu Hilfe eilt.

      „Hat er einen Kater nach dem Leichenfund?“, vermutet Usa.

      „Ich schlage vor, er kuriert sich von dem komischen Anfall im Hinterhof. Hilf mal deftig mit“, kommentiert er zynisch.

      Mehr als Carel die Füße zu heben in Stande wäre, so wuchten sie ihn bis in den Hinterhof und dort auf eine Liege. Von der daneben, grüßt mit einem vor Argwohn erstaunten „Hoppla!“ Maik.

      Fix ums Hauseck zu verschwinden, winkt ihm Anton, und folgt nach. An die Bank der Küchenterrasse setzt er sich neben Maik.

      Nach einer berichtend verbrachten Weile hupt mehrfach ein Taxi an der Straße. Daraufhin schlurfen bald Schritte durch den Kies der Terrasse nach vorne. Von Carel, gestützt auf Usa. Usa kehrt zurück, krumm im Rücken, und ignoriert die Beiden auf der Bank.

      „Du hast Usa absichtlich bei Carel gelassen. Sie meidet uns und bewältigt alleine ihre Bewertung der Ereignisse“, resümiert Maik sarkastisch, und auch mit dem Hinweis: „Hast es verbockt! Verzeiht das Usa? Nur wann? Wenn es ihr die Zimbeln weggedröhnt haben? Und uns ein Palaver? Einmal mehr mutmaße ich ins Blaue: Könnte der Tote der nebenan Vermisste sein? Dann traf er seinen erlösten Christus auf ewig. Erkannte er den im Säufernebel?“

      „Halte deine Vermutungen bloß leise“, Anton tippt Maik auf die Brust und legt in seinen Ton ein Mäntelchen von Unwissen, „und fragwürdig ist auch Carels Schwäche, die ihm gar nicht gut steht. Jetzt muss auch ich mich von dem Leichengeruch kurieren. Allein, wie soll das gehen ...?“

      Er krault sein Kinn, und rückt in Kürze von Maik ab, fort in seine Kur mit dem Werkzeug im Felsenkeller. Er holt heraus, was er benötigt für das wuchernde Hangbeet im Hinterhof.

      9

      Das Gottesgeschenk wilden Oreganos, prachtvoll lebendig am Hang sprießend, anerkennt Anton und erwählt es als weitere Zutat für seine Kräutermischung. Er schneidet mit der Schere hinein, und atmet den würzigen Duft ein. Hinter ihm, durch das geschlossene Hoffenster und über die verlassenen Liegen hinweg, wehen leise und zart mehrmalige Zimbelklänge, denen er zuhört, unterdessen einen Korb füllt und ihm geradewegs seltsam wird. Er reckt sich vom Bücken auf. Fürwahr wie in echt riecht er den Leichendunst in Nase und Sinnen. Reflexartig hechelnd, verfliegt nichts des Geruchs, die Schnaufer holen mehr Übles hervor, ganz anderes.

      Ein grauer Film flutet, überlagert den Zimbelklang in den Ohren und beengt den Magen, der riechen kann wie die Fliegen in der Berghöhle. Die Schere entfällt Anton, beide Fäuste presst er an den Leib und hechelt stoßweise. Vor die Umfassungsmauer gelehnt, wartet er auf das Nachlassen des Krampfes, doch meldet ein saurer letzter Druck mit kläglichem Maunzen: Armer Bub.

      Oh, großer Geist! Längs dessen, was meine Nase quält, lande ich vor der Leiche meiner Mutter! Unvergessen. Ja damals hätten die Nachbarn sagen müssen: Wie heikel, auch wir sind nicht ohne Gier, ohne Sucht, und kein Junge kann die Mutter stützen. - Was soll das jetzt? - Ist es, so wie der Oregano, erntebereit, der still für sich, auch für mich wuchs?

      Anton lockert die Fäuste, streckt die dunklen Kerben seiner Hände an langen Armen von sich. Nichtsdestoweniger erinnern die ihn an die predigend erhobenen seines indianischen Lehrers, der unentwegt lehrte: Wir ernten. Zum Honigschlecken kam keiner in dies Leben und wir hier auch nicht zusammen. Lasst eure Berge unvergessener Qualen draußen verrotten. Drinnen bleiben sollte direktes Verzeihen - das gibt innere Befreiung. Also betete er für uns: Großer Geist, forme disharmonische Hüllen um und lege dahinein allen jenen gute Kräfte, die wie wir uns der Harmonie gewiss sind, auch wenn sie eventuell mehr Tränen auslöst. Aber hernach, sind die Tränen getrocknet, erlangen alle an jedwedem Leid etwas Reife. So nur kann, nach eigener Vorliebe erwählt, eilends jede gute Absicht wirken.

      Ans Gesicht legt Anton beide Hände, und gewahrt, neben dem Kribbeln im unfallgeschädigten Bein, und innerhalb eines scheu stimmenden Moments, eine Einsicht: Noch denke ich in der fest gefahrenen Spur, ich verlor ja in der Stunde der Geburt schon meine Unschuld. - Doch der Indianer belehrte mich: Werde ein wahrhaftig erneuerter Bub. Es steht dir zu, bitte dich darum. Repariere deinen Energieregelkreis wie einen Kettenverschluss.

      Erneut hört Anton Usas leise Zimbeln. Der Klang bewegt ihm den Faden seiner Kette durch sein Gedächtnis.

      Wäre ich meine einzige Ursache für mich selbst, müsste ich so unbeteiligt werden wie vor meiner Geburt, und wie nach der Nacht vor Heute. Und das auch im Kater meiner Ungeduld nach dem Schock. Das könnte mir schon gelingen und sogar heiter könnte ich werden; sicherlich ruft es der duftende Oregano herbei.

      Neu motiviert beugt Anton sich zu Schere und Korb, ohne die leiseste Spur eines Magenkrampfes, und atmet tapfer besonnen, damit sich sein Geist noch mehr festige. Zum Kombi geht er, um den vergessenen Sammelkorb zu holen. Im Moment der Rückkehr in die gemeinsame Teeküche, wo er die Körbe an die Fliesen stellt, öffnet Usa, schwarz in Pluderhose und Tshirt, ihre Zimmertür.

      Beide Augenpaare entfachen prickelnde Erwartung, erhellen sich im Abtasten, Anspüren, Abweichen. Sie treffen aufeinander, als ob sie ein Plan in die Bewährungsprobe führe, eine, die das Wir abklärt vor dem Temporären von Außen.

      Was überwiegt aus der Summe aller Ereignisse dieses reichen Tages?, fragt sich still Usa. Gewinnt an der Grenze des harten Äußeren unsere Einheit und Freundschaft? Nein, noch blüht Anton nicht feinsinnig in Annäherung auf, eher in Skeptik - eindeutig wie sein Abscheu zu Carel, den er eigenhändig in den Hof trug. Und dagegen halfen auch nicht die Schallwellen meiner Zimbeln.

      Usa beäugt Antons Bauch unter dem weißen Tshirt, an den er in Magenhöhe seine Linke anlegt, als ob er ihr zugehört hätte.

      Im nächsten Moment wendet er ihr sein Körperprofil zu und kramt umständlich an den Teedosen. In die Glaskanne häuft er grüne Minze und silberfarbenen Salbei, obenauf frischen Oregano.

      Für ihre Zweifel wünscht Usa sich Linderung, schlägt vor:

      „Anton, du trinkst das nicht allein. Also, gib eine Prise Lavendel hinein und zum Abrunden ein Blättchen Eukalyptus.“

      Er quittiert es mit Griffen in die richtigen Dosen. Eine Handspanne fern ihm, entnimmt Usa dem Regal über der Spüle zwei Becher, setzt sie auf den Tisch und sich an ihren Eisenstuhl. Am Tisch stellt sie die Ellbogen auf, faltet die Hände unterm Kinn. Im Wasserkocher startet ein Summen, bei dem, vom Fenster her, ein Streifen aus Sonnenstrahlen an die Fliesen fällt.

      Die kleine Helle genügt Anton. Er federt herum, öffnet die gebräunten Arme in zärtlicher Geste, sieht stumm in Usas graue Augen, deren Zeit still anhält, indes das Wasser im Kocher sein Brodeln