Auf getrennten Wegen. Christian Linberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Linberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754131602
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dass er seinen Dolch am Gürtel erreichen konnte.

      Nachdem er das Seil an mehreren Stellen zerteilt hatte, konnte er sich endlich aufrichten. Ein Schwindel erfasste ihn, als das Blut langsam aus seinem Kopf zurück in den Körper floss.

      Sein Magen meldete Hunger, doch seine Nase wandelte das in Übelkeit, so dass er zunächst die Fische fütterte, obwohl er ernsthaft bezweifelte, dass es in diesem Gewässer welche gab.

      Behutsam rutschte er auf seinem unbequemen Sitz herum, um die Umgebung gründlich in Augenschein zu nehmen.

      Er befand sich in der wohl trostlosesten Landschaft, die er je gesehen hatte. Ein eintöniges Sumpfgebiet in Grau- und Brauntönen. Nirgends war ein grüner Halm zu entdecken, geschweige denn ein Baum oder Strauch.

      Das Wasser war verdorben, kein Vogel zeigte sich am Himmel. Seine Sitzgelegenheit war nicht größer als ein Schritt im Rund und sorgfältig verpackt. Zum Glück ragte sie aus dem Wasser heraus, ohne dass Droin sagen konnte, wie oder warum.

      Während er darüber nachgrübelte, wie er wohl ans Ufer kam, stellte er sich erneut die Frage, wo er überhaupt war.

      Vorsichtig wandte er sich auf seiner winzigen Insel herum, bemüht, einen Anhaltspunkt dafür zu finden.

      Dem Sonnenstand nach verlief der See von Ost nach West. In der Ferne konnte er Berge erkennen, das war nicht seine Heimat, die musste weiter im Norden liegen. Die genaue Richtung ließ sich nur mit einer Sonnenuhr oder einem…

      Beinahe wäre er vor Schreck ins Wasser gestürzt.

      Er saß auf Attravals Kompass. Dem wertvollsten und seit langem verschollenen Artefakt seines Volkes.

      Und dies hier war Narfahel. Die verlorene Provinz, auch Land der Toten genannt. – Einer der gefährlichsten Landstriche der bekannten Welt.

      Er war mit Drakkan, Jiang, Kmarr und Anaya, Phyria und Shadarr hierher gekommen, um den Kompass vor dem ausbrechenden Krieg im Bergreich von Kalteon in Sicherheit zu bringen, dessen Bergspitzen sich am Horizont zeigten.

      Hier hatten sie eines der sieben Siegel aufgespürt, dass seit Jahrhunderten eine Armee von Dämonen gefangen hielt.

      Phyria, die als Hüterin der Flamme einem geheimen Orden angehörte, der die Siegel bewahrte, hatte sie angeführt. Es war ihr mit Drakkan, Jiang und Anaya zusammen gelungen, den Siegelstein mit neuer Kraft zu speisen, so dass er ein weiteres Jahrhundert das Gefängnis verschließen würde. Bis zu diesem Moment hatten sie Erfolg gehabt.

      Narfahel wurde jedoch nicht umsonst als „verloren“ bezeichnet.

      Einst hatte es zum Imperium gehört, aber die nördlichen Provinzen Orenoc, Denelorn, Morak und Narfahel hatten sich vor Jahrhunderten losgesagt.

      Der Krieg um ihre Unabhängigkeit war lang, blutig und letztlich für die Provinzen auch erfolgreich gewesen. – Nur Narfahel war dabei dauerhaft verändert worden. Sein erster Regent, Fern Tarn hatte einen Fluch gewirkt, der das gesamte Land betraf. Alles wurde feindlich, giftig oder verdorrte – manchmal auch alles auf einmal.

      Hier gab es kein Wasser, keine essbaren Pflanzen, keine Nahrung. Nur Raubtiere und Geister der einstigen Bewohner.

      Daher war Droin nicht unbedingt scharf darauf, einen Schwimmversuch zu machen.

      Bleiben konnte er an Ort und Stelle aber auch nicht.

      Langsam, um nicht zu früh ein Bad zu nehmen, legte er seine Rüstung ab. Mit dem Rest des Seils band er sie zu einem ordentlichen Bündel zusammen.

      Wenn er nun das längste Seilstück um seine Hüfte knotete, sollte er den Kompass hinter sich her ziehen können. Er hoffte inständig, dass das Artefakt nicht beschädigt worden war.

      Noch mehr Sorgen machte er sich dabei um seine Gefährten, von denen er nirgends etwas entdecken konnte.

      Die riesige Flutwelle, die sie alle hinweg gefegt hatte, hatte sie zugleich auch in alle Winde verstreut. – Zumindest hoffte er, dass sie lediglich einige Meilen voneinander entfernt gelandet waren.

      Wäre es nur die Welle gewesen, hätte er sich keine größeren Sorgen gemacht.

      Doch er hatte das vor Wut verzerrte Gesicht gesehen, dass sich im Wasser gezeigt hatte, kurz bevor er das Bewusstsein verloren hatte. – Und er hatte die Stimme gehört.

      Vermutlich war er der Einzige gewesen, denn die Sprache, in der sie gesprochen hatte, war längst untergegangen.

      Droin war über dreihundert Winter alt. In seiner Jugend hatte es sie noch in vielen Teilen der Welt gegeben: Imperyal, die alte Sprache des Imperiums.

      „Raus aus meinem Land!“, hatte sie gebrüllt.

      Viel half ihm dieses Wissen allerdings nicht. Besonders nicht dabei, seine Gefährten zu finden, denn zunächst blieb das Problem, wie er zum Ufer kam.

      Strömung gab es keine, ein Ruder hatte er nicht und auch nichts, aus dem er eines hätte bauen können. Sein Speer wäre eine Hilfe gewesen. Leider war der irgendwo in den schlammigen Fluten versunken. Naurim waren einfach nicht für das Wasser gemacht.

      Es blieb also wirklich nur die bei weitem unangenehmste Form, sich aus der Lage zu befreien: Schwimmend. Auch wenn er bereits vor einer Weile schon zu dieser Erkenntnis gekommen war, zögerte er lange, ehe er sich langsam in die eisigen Fluten sinken ließ.

      1 - 2 Fell und Hörner -

      Ein stechender Schmerz im Nacken war es schließlich, der sie aus ihrem Dämmerzustand riss.

      Vorsichtig tastete sie nach der schmerzenden Stelle. Es war nichts gebrochen oder gerissen, sie hatte nur ziemlich lange in einer äußerst unbequemen Pose gelegen. Möglicherweise wären auch ernstere Schäden entstanden, aber Anaya war eine Aliana, eine Tochter der Waldgeister von Galladorn, die ihr eine wandelbare Gestalt verliehen. Sie konnte ihre Gliedmaßen verlängern und verkürzen, ihre Haut mit Rinde überziehen, sich die Sinne von Tieren leihen und auch die Natur um sich herum manipulieren oder um Hilfe bitten.

      Daher war die Lage nur unbequem, nicht gefährlich.

      Zwischen ihren Füßen hindurch konnte sie die Sterne sehen.

      Es war tiefste Nacht, als sie endlich halbwegs wach war. Wie sie feststellte, hatte sich ihr Geweih bei der Landung in einem Dornenbusch verheddert, während ihre Füße in einem Ast festhingen. Daher kam ihre unbequeme Position.

      Jeder Alian wählte seine erste Erscheinungsform bei der Initiation in einen Druidenzirkel selbst.

      Viele hatten ein Geweih oder Hörner, wenn auch meist kleiner als ihres, oft trugen sie Fell oder Federn, manche hatten sogar Flügel. Hufe und Klauen waren dagegen annähernd zu gleichen Teilen vorhanden.

      Es dauerte länger als gewöhnlich, die Konzentration aufzubringen, die sie benötigte, um eine Veränderung herbei zu führen.

      Schließlich gelang es ihr. Von ihrem Geweih waren nur noch zwei kurze, glatte Hörner übrig, die aus ihrer Stirn wuchsen.

      Langsam erhob sie sich.

      Der Schmerz im Nacken war noch da, ebenso wie eine Reihe Prellungen. Insgesamt waren es keine ernsthaften Verletzungen. Sie nahm Kontakt zu der sie umgebenden Natur auf, indem sie ihre Hände im Schlamm versenkte. Erneut wurde sie beinahe von der Lebenskraft überwältigt, die sie umgab. Mochte das Land noch so verdorben und tot wirken, tatsächlich pulsierte es vor verborgenem Leben.

      Rasch schwanden ihre Schmerzen, kurz darauf fühlte sie sich wieder frisch und munter. Sie war nicht übermäßig besorgt, ihre Gefährten waren nicht so leicht umzubringen.

      Zu Beginn ihrer Bekanntschaft hatte sie begriffen, dass es nicht die waghalsigen Taten geistig Verwirrter waren, sondern wohl überlegte Handlungen. Sie schienen stets genau zu wissen, was möglich war und was nicht.

      Bei Droin und Jiang war das nicht weiter verwunderlich. Der Naurim war alt und erfahren genug zu wissen, was er konnte. Die kleine Shâi war zwar verschlossen, aber auch diszipliniert. Sie durchdachte jeden