Auf getrennten Wegen. Christian Linberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Linberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754131602
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Ufer auf der anderen Seite kam in Sicht, leider war das Wasser schon knietief. Die Strömung war so stark, dass Droin mit jedem Schritt vorwärts zwei dagegen machen musste, nur um nicht sofort weggespült zu werden. Ohne die Reste der Brücke hätte er es niemals geschafft.

      Direkt vor dem rettenden Ufer hatte der Fluss einen breiten Kanal gegraben, durch den das Wasser schäumend tobte.

      Droin gab dem Kompass einen kräftigen Stoß und sprang dabei zugleich hoch. Er hielt sich an den Seilen fest, um sich empor zu ziehen.

      Phyria rutschte so gut es ging zur Seite, als er sich ächzend den Schild voran neben sie fallen ließ.

      Am liebsten wäre er liegen geblieben.

      Einen Atemzug später konnte er ihren erstaunten Blick einfangen, als er begann, sich so schnell er konnte von seiner Rüstung zu entledigen. Irgendwie fand er den Platz dazu, ohne herunter zu stürzen. Es gelang ihm sogar, die Sachen alle auf dem Schild zu balancieren, ohne dass etwas herunterfiel.

      „Was…?“, setzte sie an.

      Droin kam ihr zuvor und deutete stromaufwärts: „Da kommt eine große Flutwelle, die Baumstämme und Sträucher vor sich her schiebt. Wenn die uns erreicht, werden wir mitgerissen. Kompass hin oder her.“

      Er band sich ein Seilende um den Körper, obwohl die Bisswunden dabei höllisch brannten.

      „Und…“

      Wieder war Droin schneller. Er griff sich Hacke und Dolch und sprang nur im Lendenschurz mit Stiefeln in einem überraschend weiten Satz auf das Ufer zu: natürlich viel zu kurz.

      Sofort riss ihn die Strömung mit. Phyria konnte nur tatenlos zusehen, wie er darin versank. Es gab einen Ruck, als sich das Seil spannte, dann wurde der Kompass mit ihr obendrauf hinter dem verrückten Naurim hergezogen.

      1 - 13 Nichts -

      Brackiges Wasser.

      Einen Moment war das alles, dann ein stechender Schmerz in der Brust. Jemand schrie und würgte gleichzeitig.

      Ein verzweifeltes Keuchen, eine Million Nadelstiche in der Brust, den Seiten.

      Ein Titan, der seinen Fuß auf die Rippen stellte und langsam das Leben aus dem Körper presste, der immer tiefer im Schlamm versank.

      Dann das hässlichste Gesicht der Welt und – nichts mehr.

      1 - 14 Liebesdinge -

      Anaya erwachte als Erste. Sie war sich nicht sicher, wie lange ihre Bewusstlosigkeit gedauert hatte. Sie lag auf schlammigem Untergrund. Ein Gewitter war aufgezogen, das noch immer andauerte. Es hatte das Feuer gelöscht und den Boden aufgeweicht.

      Zum Glück hatte sie Kmarr auf eine Plane aus grobem, geöltem Zeltleinen gebettet, so dass er weitgehend trocken geblieben war.

      Das erkannte sie aber erst, nachdem sie das Feuer neu entfacht hatte. Im flackernden Schein konnte sie sich auch ein Bild der Wunden machen. Die Verbände waren jeweils an einer Stelle von der Größe ihrer Hand durchgeblutet.

      Wäre Kmarr kein Leonide gewesen, hätte sie sich Sorgen gemacht. So beschloss sie, sich erst um Trinkwasser und ein dichteres Dach zu kümmern, bevor sie die Verbände wechselte.

      Dabei lauschte sie auf die Kreischlaute der Blutbäume und das Donnergrollen des Gewitters. Sie machte sich Sorgen um die Anderen. Die Gewalt der Flut ließ es als reinen Zufall erscheinen, dass Kmarr und sie und wohl auch Phyria überlebt hatten. Sie hoffte inständig darauf, dass es weitere Überlebende gab.

      Jiang war wie eine Schwester für sie und Droin war ein unerschütterlicher Fels, an dem sie sich alle orientieren konnten.

      Und dann war da noch Drakkan.

      In vielerlei Hinsicht versuchte sie noch immer, sein Wesen zu enträtseln. Er schien so stur und grob, immer mit dem Kopf durch die Wand, ständig mit mehr Problemen, als ein Tempelhändler aus Ho‘teh Münzen besaß. – Und alle Welt wusste, dass niemand reicher war.

      Kopfschüttelnd fragte sie sich, wieso sie sich die Schwierigkeiten aufbürdete. Im Grunde kannte sie die Antwort schon: Es war aufregend.

      Das Spiel mit dem Feuer. Die Abwechslung, die Ungewissheit. Kein langweiliges Dasein als Eheweib des Bäckers von Rotlehm oder Waldwinkel oder wie die winzigen Siedlungen mit ihrer winzigen Bedeutung allenthalben hießen.

      Als Aliana und Druidin war es ohnehin wenig wahrscheinlich, so zu enden, doch einen heiligen Hain zu beschützen, war in ihren Augen kein ungleich bedeutsameres Schicksal. Immerhin war sie genau wegen dieser Aussicht aus Galladorn fort gegangen.

      Ob sie allerdings bereit war, Drakkan mit Jiang zu teilen, wusste sie nicht genau. Vor allem hätte sie die Bitte um Erlaubnis der kleinen Shâi nicht gebraucht. Das machte die Sache so offiziell. Als hätte man sie um den Segen zu einer Heirat gebeten.

      „Hätte sie sich nicht einfach nehmen können, was sie will?“, schimpfte Anaya leise vor sich hin: „Weshalb soll ich das entscheiden?“

      „Weil die Shâi ein seltsames Gefühl von Ehre haben. Du hast die älteren Rechte“, erwiderte Kmarr kaum hörbar: „Danke, dass Du mein Leben gerettet hast. Selbst wenn es sich gerade nicht so anfühlt“, fügte er nach einer Pause hinzu.

      Anaya sah ihn verblüfft an. Dann begann sie zu lachen. Teils aus Erleichterung, teils weil er Recht hatte.

      „An Dir ist ein großer Denker verloren gegangen.“

      „Um zu wissen, was in Dir vorgeht, brauche ich meinen Kopf nicht.“

      Anaya ließ sich neben dem Feuer nieder: „Sag das mal Drakk. Manchmal glaube ich, sein Helm übernimmt bei ihm das Denken.“

      „Wenn Du auf sein Feingefühl anspielst, da kannst Du lange warten. Er hat keins“, entgegnete Kmarr noch immer, ohne die Augen zu öffnen: „Kannst Du mir etwas Wasser reichen? Dann verwest meine letzte Mahlzeit wieder dort, wo sie hingehört“, bat er sie, während sie ihm schon einen Wasserschlauch reichte.

      „Das war nötig. Danke. Jetzt schmeckt es nur noch scheußlich. Drakk hat für Gefühle anderer ungefähr so viel Verständnis, wie ein Zaunpfosten für eine Weide. Und Jiang macht es ihm nicht gerade leicht.“

      „Aber sie hat es ihm doch gesagt.“

      Nun öffnete Kmarr doch träge ein Auge: „Jetzt sag mir nicht, Du hast auch nichts davon gewusst.“

      Beinahe hätte er den Fehler gemacht und den Kopf geschüttelt: „Ich glaube es nicht. Du bist ebenso blind, wie er. Droin und ich haben sogar gewettet, ob er es merkt, bevor sie es ihm sagt. Jetzt bin ich einen Platinwürfel reicher.“

      „Wann habt ihr gewettet?“

      „Letzten Winter – nein, vorletzten, als wir die Laternenfischer gejagt haben.“

      Die schleimigen Kreaturen hatten Ähnlichkeit mit großen Schnecken, die ihre Körper zum Leuchten bringen konnten. Sie lebten in den Höhlen unter dem Immerscheingebirge, die noch tiefer reichten als die Behausungen der Naurim. Das Licht lockte Beute an, die sie mit langen, klebrigen Fühlern ertasteten. Außerdem verspuckten sie lähmendes Gift.

      Anaya schüttelte den Kopf: „So lange schon? Ich war tatsächlich blind. Und sie hat mich noch gefragt, ob er gut beim Bettsport sei.“

      Kmarr hustete, als er sich am Wasser verschluckte.

      Anaya war sich nicht sicher, ob er sie gerade auslachte.

      „Wenn Du schon alles weißt, kannst Du mir auch sagen, was Jiang jetzt von mir erwartet.“

      Kmarr ließ sich mit der Antwort so lange Zeit, dass Anaya schon glaubte, er wäre wieder eingeschlafen: „Die Alian leben mehr wie Tiere, was nicht heißen soll, dass ihr keine Kultur hättet, sondern dass ihr mehr nach dem Recht des Stärkeren oder Schnelleren handelt. Für die Shâi steht die Harmonie über allem. Die Ehre der Beteiligten ist wichtiger als alles andere. Sie nähern sich einander nur, wenn der andere offensichtlich