Blinde Liebe. Уилки Коллинз. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Уилки Коллинз
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754176511
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Veränderung an ihrer Herrin, nachdem sie am Ende ihrer Erzählung aus der Zeitung angekommen war. Von Miß Henleys gewöhnlichem heiterem und glücklichem Wesen war keine Spur mehr zu entdecken.

      »Wenige Menschen, Rhoda, erinnern sich so gut dessen, was sie gelesen haben, wie Du,« sagte sie freundlich und traurig. Sonst kam kein Wort weiter über ihre Lippen.

      Sie hatte guten Grund, in sich gekehrt zu sein.

      Von zwei Seiten hatte Iris in kurzer Zeit von den Fehlern und Verirrungen Lord Harrys hören müssen. Die vollständige Erzählung von seinem regellosen Leben, wie es sich in der ununterbrochenen Reihe von Ereignissen darstellte, hatte jetzt zum erstenmale ihre ganze Aufmerksamkeit auf dasselbe gelenkt. Sie schauderte natürlich entsetzt davor zurück, sie fühlte, wie es nie zuvor geschehen war, daß ihr Vater vollkommen recht gehabt hatte mit seinem Widerstande gegen eine Verbindung, die ihrer unwürdig gewesen wäre. So weit, jedoch auch nicht einen Schritt weiter, gab ihr Verstand ihrer eigenen Ueberzeugung nach. Aber die einzige unüberwindliche Kraft in der Welt ist die Kraft der Liebe. Sie mag den härtesten Prüfungen des Lebens unterworfen sein; sie mag die gebieterischen Forderungen der Pflicht anerkennen, sie mag mit Stillschweigen Tadel über sich ergehen lassen, sie mag demütig duldend sich berauben lassen; es mag mit ihr geschehen, was da will, sie ist und bleibt doch die stärkste, die gewaltigste Leidenschaft, die keinen künstlichen Einflüssen unterworfen, niemand die Herrschaft über sich zugesteht als ihrem eigenen Gesetz. Iris war schon längst über den Bereich der Selbstvorwürfe hinaus, als sie sich ihrer kühnen Handlungsweise erinnerte, durch welche Lord Harry an dem Meilensteine gerettet wurde. Ihr Verstand gab zu, daß Hugh Mountjoy in jeder Beziehung dem andern vorzuziehen sei, aber ihr Herz, ihr thörichtes Herz blieb trotz allem seiner ersten Wahl treu. Sie verließ ihr Kammermädchen und Mrs. Lewson nach einigen flüchtigen Entschuldigungsworten, um im Garten ihr Gleichgewicht wieder zu gewinnen.

      Die Abendstunden schlichen langsam dahin.

      Ein Spiel Karten war im Hause; die Frauen versuchten sich damit die Zeit zu vertreiben, aber der Versuch mißlang. Die Angst um Arthur lag drückend auf den Gemütern von Miß Henley und Mrs. Lewson. Selbst das Kammermädchen, welches ihn nur bei seinem letzten Besuch in London gesehen hatte, wünschte, der morgige Tag wäre erst gekommen und vergangen. Sein liebenswürdiges Wesen, sein hübsches Gesicht und seine anregende Unterhaltung hatten Arthur bei allen beliebt gemacht. Mrs. Lewson hatte ihr wohnliches englisches Heim verlassen, um ihm die Haushaltung zu führen, als er seinen tollkühnen Plan, sich in Irland niederzulassen, zur Ausführung brachte, und was noch viel wunderbarer war, selbst der langweilige Sir Giles wurde in seiner Gesellschaft ein ganz erträglicher Mensch.

      Iris zog sich beizeiten auf ihr Zimmer zurück.

      Es lag etwas Beängstigendes in der ringsum herrschenden feierlichen Stille und vereinigte sich geheimnisvoll mit der Angst um Arthur; es flüsterte leise von Verrat, der bewaffnet auf den Zehen umher schleicht, von durch die Luft pfeifenden Flintenkugeln, von dem durchdringenden Schrei eines tödlich verwundeten Mannes, und dieser Mann war vielleicht . . . Iris schrak zurück vor ihren eigenen Gedanken. Eine plötzliche Schwäche übermannte sie; sie öffnete das Fenster. Als sie ihren Kopf hinausstreckte, um die kühle, erfrischende Nachtluft einzuatmen, kam ein Mann auf das Haus zugeritten. War es Arthur? Nein, die hellfarbige Bedientenlivree, die der Mann trug, wurde gerade sichtbar.

      Bevor er noch absteigen konnte, um an der Thür zu klopfen, trat ein großer Mann aus der Dunkelheit an ihn heran.

      »Ist das Miles?« fragte der große Mann.

      Der Reitknecht kannte die Stimme. Sogar Iris wußte genau, wessen Stimme da sprach. Es war Lord Harry.

      Zehntes Kapitel.

      Ja, der irische Lord war da, und gerade in dem Augenblicke kam er, da Iris bereits darauf verzichtet hatte, ihn jemals wiederzusehen, da sie nie wieder an ihn als ihren künftigen Gatten denken wollte und sich dabei doch zugleich an die ersten Tage ihrer Liebe erinnerte und an deren gegenseitiges Geständnis. Die Furcht hielt sie hinter dem Vorhang zurück, aber das Interesse für Lord Harry ließ sie nicht aus ihrer gedeckten Stellung am Fenster fort.

      »Alles wohl in Rathco?« fragte er – Rathco war der Name des Gutes, auf dem Arthur zu Gaste war.

      »Ja, Mylord, Mr. Mountjoy will uns morgen wieder verlassen.«

      »Hat er die Absicht, hierher zurückzukehren?«

      »Leider will er das thun.«

      »Hat er schon eine Zeit festgesetzt, Miles, wann er sich auf den Weg machen will?«

      Miles begann alle seine Taschen zu durchsuchen und begleitete diese Beschäftigung mit einer Erklärung. Ja, Mr. Arthur hatte in der That eine Zeit bestimmt; er hatte einen Zettel geschrieben, auf dem er seiner Haushälterin, Mrs. Lewson, die Zeit seiner Ankunft meldete. Zu dem Reitknechte hatte er gesagt: »Geben Sie diesen Zettel bei mir zu Hause ab, wenn Sie nach der Stadt reiten!« Und was mochte Miles wohl jetzt in der Dunkelheit in der Stadt wollen? Er sollte eiligst Medizin holen, denn eines von den Pferden seines Herrn war krank. Und während er das erzählte, da fand sich, Gott sei Dank, auch der Zettel.

      Iris, die abwechselnd horchte und beobachtete, sah zu ihrem größten Erstaunen, wie der Reitknecht den für Mrs. Lewson bestimmten Zettel Lord Harry einhändigte.

      »Glauben Sie denn,« sagte dieser scherzend, »daß ich Geschriebenes ohne Licht lesen kann?«

      Der Reitknecht brachte eine kleine Laterne hervor, welche an seinem Gürtel befestigt war, und sagte, während er die Blende zurückschob, die das Licht abhielt:

      »Der Weg hat Stellen, die in der Dunkelheit nicht ungefährlich sind.«

      Der wilde Lord öffnete ruhig den Brief und las die wenigen harmlosen Worte, die er enthielt:

      »An Mrs. Lewson! Liebes altes Kind! Erwarten Sie mich morgen zum Mittagessen um drei Uhr.

      Ihr Arthur.«

      Eine kurze Pause entstand.

      »Sind irgend welche Fremde in Rathco?« fragte Lord Harry.

      »Zwei neugekommene Männer,« antwortete Miles, »die auf den Feldern arbeiten.«

      Wieder trat eine Pause ein.

      »Wie kann ich ihn schützen?« sagte der junge Lord halb zu sich und halb zu Miles. Er hegte Verdacht gegen die beiden Feldarbeiter – vermutlich Spione, welche um Arthurs beabsichtigte Rückkehr nach Hause wußten, und die gewiß auch schon ihren Auftraggebern die Stunde hinterbracht hatten, zu welcher er aufzubrechen gedachte.

      Miles wagte ein Wort zu sagen:

      »Sie werden hoffentlich über mich nicht böse sein, Mylord –«

      »Ach, dummes Zeug! Bin ich jemals unzufrieden mit Dir gewesen, als ich noch reich genug war, mir einen Diener halten zu können, und Du dieser warst?«

      Der irische Reitknecht antwortete mit einer Stimme, die vor innerer Erregung zitterte:

      »Sie waren der beste und freundlichste Herr, der jemals auf Erden gelebt hat. Ich kann es nicht ruhig mit ansehen, daß Sie Ihr kostbares Leben einer Gefahr aussetzen –«

      »Mein kostbares Leben?« wiederholte Lord Harry spöttisch. »Du dachtest wohl an Mr. Mountjoy, als Du das sagtest. Sein Leben ist wert, erhalten zu werden. Was aber mein Leben anbetrifft –« Er endete seinen Satz in einem unverständlichen Gemurmel, der besten Art und Weise, wie er es umgehen konnte, laut werden zu lassen, daß er selbst sein eigenes Leben verachtete.

      »Mylord, Mylord!« fuhr Miles fort, »die Unüberwindlichen fangen an, an Ihnen zu zweifeln. Wenn einer von ihnen Sie hier in der Nähe von Mr. Mountjoys Gut antreffen würde, so würden sie zuerst auf Sie schießen, und dann erst darnach fragen, ob es auch recht gewesen sei, Sie zu töten oder nicht.«

      Diese Worte hören zu müssen, – und sie waren in vollem Ernste gesprochen – nachdem