Fliegende Teppiche. Simone Wiechern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Simone Wiechern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750247406
Скачать книгу
die Israelis fingen diese an, den Sinai urbar zu machen, eröffneten Farmen, Schulen und Krankenhäuser und boten die zahlreichen Tauchgebiete als Urlaubsziele an. Die Beduinen schwärmen noch heute von den medizinischen Künsten der Israelis und deren Schulen und begrüßten den finanziellen Aufschwung, der durch den Tourismus entstand.

      Später an meinem Schreibtisch, in einem ökologischen Landschaftsplanungsinstitut, in dem ich in meinem gelernten Beruf als Bauzeichnerin arbeitete, um mein Studium zu finanzieren, dachte ich weiterhin unentwegt an den Sinai. Während ich 2856 Bäume des Treptower Parks auf einem Plan in verschiedenen Grüntönen ausmalte, blieb fast zu viel Zeit zum Träumen. Ich stellte mir vor, noch einmal ganz auf mich allein gestellt durch den Coloured Canyon zu wandern. Ich war dort bei meinem ersten Urlaub mit Klaus und einem befreundeten Pärchen gewesen. Leider zusätzlich mit einer Gruppe von acht weiteren Touristen, die immun gegen die Schönheit dieser Landschaft zu sein schienen.

      Sie hatten sich laufend über unabdingbare Nebensächlichkeiten beschwert und mit ihrer Nörgelei einen Schatten auf dieses unvergessliche Erlebnis gelegt. Nach einem kurzen Abstieg hinunter in den Canyon durchstreiften wir damals staunend das ausgetrocknete Flussbett. Hunderte von Fluten und die Erosionen des Windes hatten hier, wie von Meisterhand eines Malers, Ornamente und unzählige Formen in den farbigen Sandstein geschliffen. Ich war vollkommen hingerissen und starrte fasziniert in jedes noch so kleine Loch, um immer mehr einzigartige Formkreationen zu erblicken. Das Wasser, das bei Flut durch die Vertiefungen wirbelte, hatte überall kleine Kunstwerke geschaffen. Man sah die verschiedenen Gesteinsschichten meist als Kreise, wie farbenfrohe Baumringe. Von Weiß über verschiedenste Gelb- und Beigetöne bis hin zu dunklen Rot- und Lilatönen erstreckte sich die Farbenvielfalt.

      Der Weg wurde an einigen Stellen so eng, dass man hintereinandergehen musste. Dann wieder fiel er über einige Meter ab und wir waren gezwungen, hinunter zu klettern oder teilweise sogar zu springen. Unsere Mitreisenden stöhnten ständig über die Hitze oder den für sie beschwerlichen Abstieg, über Sand in ihren Schuhen und den langen Weg. Ich hingegen war von Anfang bis Ende begeistert, fühlte mich wie ein Kind, das endlich wieder klettern, springen und unendlich viel entdecken darf. Die Hitze nahm ich erst wahr, als die anderen sich über sie beschwerten. Viel zu viele kleine, von der Natur erschaffene Wunderwerke zogen mich in ihren Bann und lenkten mich von den äußeren Umständen ab.

      »Ich hab andauernd Sand im Schuh!«, jammerte eine junge Frau gerade. Was erwartete sie? Dass jemand die Wüste für sie frei kehrte? Ich musste mich zurückhalten, um nicht laut loszulachen über diese Bemerkung.

      Am frühen Abend hatten wir vier mit unserem einheimischen Fahrer ein Feuer entfacht und uns entschlossen, diese Nacht mit dem Beduinen hier zu übernachten. Unsere Schlafsäcke hatten wir in weiser Voraussicht mitgenommen. Die stöhnenden Touristen hingegen hatten es vorgezogen, mit den anderen Jeeps direkt wieder ins Hotel zu fahren. Sie freuten sich auf eine Dusche, ihr Buffet und auf die Hotelbar. Mir war es nur all zu recht, dass sie das Weite suchten. Ich verstand nicht, warum sie die bezaubernde Vielfalt dieser Berge nicht ebenso intensiv erlebten wie ich. Das einfache Mahl aus Brot und Bohnen, das uns der Beduine in dieser grandiosen Umgebung zubereitete, zog ich allemal dem hektischen, lauten Schieben am Hotelbuffet vor.

      In der nächtlichen Stille, nur unterbrochen von Hundegebell aus weiter Ferne, schliefen wir froh und glücklich unter einem Zelt von unzähligen Sternen ein.

      Mitten in der Nacht wurde ich wach und schaute mich um. Der Mond, der fast voll war und direkt über mir stand, ließ die Berge in hunderten von Grau- und Silbernuancen schimmern. Es war so ruhig, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Ich setzte mich etwas abseits meiner Freunde, um auch deren Atem nicht mehr zu hören. So tief es ging ließ ich mich auf diese absolute Stille ein. Die Nacht war einfach zu schön, um wieder schlafen zu gehen. Ich blieb sitzen und genoss jede Minute. Ich konnte alles loslassen und jegliche Spannungen der arbeitsreichen Zeit in Berlin im wahrsten Sinne des Wortes, in die Wüste schicken. Obwohl es erst halb vier war, wurde ich hellwach und fühlte mich so stark wie schon sehr lange nicht mehr. Ich hatte das Gefühl, reine Energie zu tanken. Vollkommen losgelöst lag ich auf dem Rücken, über mir zog der Mond seine Bahn und gab mir eine nicht zu erklärende aber äußerst beruhigende Gewissheit, hier und jetzt vollkommen richtig zu sein.

      Gemächlich wechselten die Grautöne in ein blasses Violett und der Morgen kündigte sich an. Unser Bergführer erwachte, noch bevor es richtig hell wurde, wusch sich und betete. Der Anblick, wie sich der einsame Beduine dort im Mondlicht vor seinem Gott verneigte, ließ mich nachsinnen, wie alt diese Wüste war und wie sehr dieser Mensch damit verbunden wirkte. Als er zurückkam, half ich Holz zu sammeln, und schaute zu, wie er Tee im offenen Feuer zubereitete. Zwischendurch grinste er mich immer wieder an. Ich denke, er erkannte die Liebe zu den Bergen in meinen Augen, die in dieser Nacht tief in meinem Inneren erwacht war.

      Der letzte Baum bekam seinen passenden Grünton. Ab morgen musste ich in die 2856 Bäume ihre Namen schreiben. Obwohl ich ein ausgezeichnetes Arbeitsklima, sehr liebe Kollegen, ein gutes Gehalt und sogar gleitende Arbeitszeiten hatte, konnte ich mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, diesen Beruf für immer auszuüben. Es war sinnvoll, was ich tat und trug zum Schutz der Umwelt bei, doch fehlte mir der Bezug zum Leben an sich und oft war es einfach zu langweilig. 2856 Bäume sind sehr viel! Ich saß in einem kühlen Büro im dritten Stock und die Parks und Landschaften, die ich bearbeitete, waren Kilometer weit weg. Zum Teil bekam ich sie nicht einmal zu Gesicht.

      Das Studium machte deutlich mehr Freude und brachte mich auf die innerlich spürbare, richtige Spur. Wissen aufzusaugen war für mich so wichtig wie das Atmen. Aber ich hatte zunehmend das Gefühl, in Deutschland lebte man nur um zu arbeiten und arbeitete nicht um zu leben. Alles kostete viel zu viel Geld und immer musste man irgendwie oder irgendwo mithalten und Dinge anschaffen, die man im Grunde genommen gar nicht brauchte, sondern kaufte, weil die Gesellschaft und die Werbung einem suggerierte, man bräuchte sie. Miete, Strom, Versicherungen, Kleidung, abwechslungsreiche Kost, das alles war teuer in Berlin. Ausgehen, ohne dafür viel zu zahlen, war fast unmöglich - und mein Fernweh in den Sinai war ein weiterer Kostenfaktor.

      Ein Zitat von Gabriel Laub brachte meine damaligen Gedanken auf den Punkt: »Unser Leben ist viel schwerer als das unserer Vorfahren, weil wir uns so viele Dinge anschaffen müssen, die unser Leben erleichtern.«

      Noch ein paar Wochen musste ich durchhalten und einige Abende bis zum Einbruch der Nacht Bäume an- und ausmalen, beschriften oder schraffieren, dann konnte ich mir ein Ticket leisten und wieder für eine Weile entfliehen … in das Land der Berge und Kamele. Wo die Menschen um so viel glücklicher erschienen, obwohl sie, nach unseren Standards, fast nichts besaßen. Auch ich benötigte dort kaum etwas und fand ohne viel Geld zu investieren das, was ich am meisten brauchte: Freiheit, Zeit, Ruhe und Horizonterweiterung.

      Urlaub im Sinai

      »Das Glück muss entlang der Straße gefunden werden,

      nicht am Ende des Wegs.«

      - David Dunn -

      Es gab endlich Direktflüge nach Sharm El Sheikh. Bei den ersten Urlauben hatte ich den umständlichen Weg über Ungarn oder die Tschechei nehmen müssen. Das hieß, man musste lange auf Flughäfen warten und die gesamte Flugzeit betrug mehr als 12 Stunden. Außerdem gingen die Flüge mitten in der Nacht. Wie angenehm, diesmal nachmittags, nach nur viereinhalb Stunden zu landen.

      Ich konnte es kaum erwarten, den Flieger zu verlassen. Nach dem unterkühlten Flugzeug erschien mir die entgegenschlagende Hitze auf dem Rollfeld wie eine glühende Wand, die zu durchschreiten war. Doch diese heiße und trockene Wüstenluft, die es den Pflanzen erschwerte zu wachsen und zu erblühen, erzeugte in mir genau das Gegenteil. Den ersten tiefen Atemzug gierig eingesogen, kam in mir der Eindruck auf, zu allem fähig zu sein - sogar ohne Angst diesen Bus zu besteigen, der so aussah, als würde er nicht einmal die kurze Distanz vom Flugzeug bis zum Terminal überstehen.

      Heil und unbeschadet in der Ankunftshalle angekommen, mischte ich mich in das unvergleichliche Chaos, das dort herrschte. Die Halle war mit Menschen regelrecht vollgestopft, die alle scheinbar planlos durcheinanderliefen. Ich war froh, dass ich mich inzwischen auskannte und wusste, wo man das benötigte Visum erstehen konnte. Ich war einigen