Ruhm und Cola. Julia Born. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julia Born
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175378
Скачать книгу
du mal was darüber und bildest dich weiter.« Mit meinem flapsigen Tonfall kaschierte ich geschickt die Sorge, die in meinem Satz mitschwang. Mittlerweile kannte ich Alex gut genug um, um zu wissen, dass er sofort dicht machte, sobald jemand ernsthafte Kritik an seinem Lebenswandel übte. Und obwohl wir uns blind vertrauten, war ich davon nicht ausgenommen. Da klappte es mit einem Wink oder auch einem gezielten Schlag mit dem Zaunpfahl meistens besser. Es war schon verrückt, trotz der Tatsache, dass wir beide auf unsere ganz unterschiedlichen Arten kompliziert, seltsam und eigen waren, hatten wir es irgendwie geschafft, Freunde zu werden.

      »Danke, ich pack es mir für die nächste ewig lange Nightliner-Fahrt ein.« Er legte das Buch auf ein Regalbrett, das über einer Kommode im Wohnzimmer angebracht war. Staub wirbelte auf. Ich hatte so meine Zweifel daran, dass er im Tourbus auch nur eine Silbe las, wollte es aber auch nicht direkt infrage stellen. Stattdessen ging ich auf den Themenwechsel ein. »Wann geht’s los?«, fragte ich, zog die Beine an und umschlang sie mit meinen Armen. »Nächstes Wochenende aber nur zehn Tage. Bin aber eigentlich froh drüber, wir wollen nämlich auch langsam mal wieder anfangen regelmäßiger zu proben. Willst du was trinken?« Ich nickte und er verschwand in die Küche. Alex’ eigene Band hatte vor kurzem ein neues Album fertiggestellt und sich im Anschluss etwas Urlaub voneinander gegönnt. In dieser Zeit hatten wir uns viel öfter gesehen, als es normalerweise möglich war, wenn er als Tontechniker mit irgendeiner Musikgruppe durch die Weltgeschichte gondelte. Und obwohl ich mich selbst für die beste Gesellschaft überhaupt hielt, war mir nicht entgangen, dass er seine Freunde und das Musikmachen vermisste. »Klingt gut. Endlich hängst du mir nicht mehr so sehr auf der Pelle. Vor allem nicht nachts um vier«, rief ich ihm in den leeren Flur hinterher und als er mit zwei Flaschen Bier wieder im Türrahmen erschien, hatte er als non-verbale Antwort einen schmollenden Hundeblick aufgesetzt. Er reichte mir das kalte Bier und ließ sich neben mir auf die Couch fallen. Als ich ihn leicht gegen die Schulter boxte, machte er eine ausladende Entschuldigungsgeste mit den Händen. »Passiert, ne.« Das spitzbübische Lächeln zeichnete kleine Fältchen um seine Augen und die Grübchen, die sich um seine Mundwinkel bildeten, machten es mir unmöglich, wirklich böse auf ihn zu sein. Ich seufzte schwer. »Los, lass’ uns endlich bestellen und wehe du vergisst den Extra-Käse.«

      Die Eckkneipe war an diesem Freitagabend wie immer gut besucht, hauptsächlich von Menschen aus Alex’ Musikeruniversum, die mir zwar grüßend zunickten aber keinen Hehl daraus machten, dass meine Begleitung der eigentliche Grund für ihre Freundlichkeit war. Bereits nach wenigen Sekunden verlor ich Alex an eine Gruppe Dudes, die ihn lachend in die Arme schlossen. Glücklicherweise entdeckte ich am Tresen auch meine beste Freundin Sophie, die nach einem kleinen karrieretechnischen Abstecher nach München, mittlerweile schon seit einigen Jahren wieder in der Hauptstadt lebte. Mit ihrem Schickeria-Look, den sie selbstbewusst auch in der ranzigen Kneipe trug, hob sie sich wie ein Paradiesvogel vom restlichen, typischen Eckkneipen-Publikum ab und bestach dennoch durch ihre unantastbare Trinkfestigkeit, die sie gerade bei einer Runde Tequila mit Mitgliedern aus Alex’ Band mal wieder unter Beweis stellte.

      »Ist sie nicht einfach umwerfend?«, flüsterte mir Felix, der Barkeeper, zu, als ich mich über den Tresen lehnte, um gleich zwei Rum-Cola zu bestellen. Ich versuchte ein aufmunterndes Lächeln, aber es gelang mir nicht, das gesamte Mitleid, dass ich für den armen Kerl empfand, daraus zu verbannen. Seit Sophie das erste Mal auf ihren rot-besohlten Highheels über den verklebten Fliesenboden an seinen Tresen gestöckelt war, blinkten sehr offensichtliche Herzchen in seinen Augen. »Weißt du, ob sie momentan jemanden hat?« Ich folgte seinem verträumten Blick, nicht gewillt ihm irgendwelche Hoffnungen zu machen oder zu nehmen. Was Sophie wollte, wusste nur Sophie. Daraus war ich in den letzten 28 Jahren nicht schlau geworden und würde es vermutlich auch niemals werden. »Rum-Cola. Zwei«, wiederholte ich daher wenig diplomatisch meine Bestellung und klopfte mit der Hand ungeduldig auf den Tresen. Während Felix sich ertappt aus seiner Trance löste, hatte mich meine beste Freundin nun ebenfalls entdeckt, verabschiedete sich aus der Schnapsrunde und griff nach ihrem Glas.

      »Na Hase, was macht das Leben?« Sophie angelte sich den Barhocker neben mir und nippte an ihrem Gin Tonic. »Das sollte ich wohl eher dich fragen. Was war das gestern Abend für eine Nachricht über deinen Chef? Er hat was gemacht?« Bevor Sophie mir antworteten konnte, steckte Alex seinen Kopf zwischen uns. »Buuuh! Es ist verboten hier über die Arbeit zu reden. Wir sind hier nicht beim After-Work-Ü40.« Er fuhr sich mit der Hand durch die langen Haare und klaute mir einen Schluck aus meinem Getränk, dass Felix mir inzwischen in die Hand gedrückt hatte. »Nur weil du keinen richtigen Job hast, mein Schatz.« Ich wuschelte ihm über den Kopf, etwas, was er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Seine blauen Augen funkelten mich genervt an, als er sein Haupt meiner Reichweite entzog, indem er sich aufrichtete. »Ich finde aber, der Herr Rockstar hat völlig recht«, sprang Sophie ihm bei. »Wir sollten sowieso weniger reden und mehr trinken! Tequila zum Beispiel!« Sie streckte einen perfekt manikürten Finger in Felix’ Richtung, der diesem Wunsch nur zu gerne nachkam und bevor ich mich versehen konnte, hatte ich bereits Salz auf meinem Handrücken verteilt und abgeleckt.

      Mehrere Runden Mischgetränke und Schnaps später, bahnte ich mir einen Weg zur Toilette, als ich drei Kumpels von Alex, die ich vage anderen Bands zuordnen konnte, in der offenen Tür zum Herrenklo stehen sah. Der Raum war so winzig, dass sie nicht alle zusammen hineinpassten. Es war alles andere als diskret und ich konnte mir sehr gut vorstellen, was da gerade abging, verbot mir aber, einen genaueren Blick darauf zu werfen. Man musste kein Mitglied der Branche sein, um zu wissen, dass sie es einem ziemlich leicht machte an diverse Substanzen zu kommen und trotzdem fand ich es jedes Mal wieder befremdlich. Mit einem schroffen »Hi« machte ich über die Musik hinweg, die aus der Kneipe drang, auf mich aufmerksam. Keiner der Jungs wirkte ertappt, vielmehr schienen sie mein Auftauchen als Ergänzung ihrer kleinen Privatparty zu sehen. »Möchtest du?«, bot mir einer von ihnen, dem ich ein paar Mal nach einem Konzert begegnet war, nun großzügig eine Line an, die er bereits zurechtgeschoben hatte. Er wirkte so ehrlich freundlich und offen, dass mir kurz die Worte fehlten, obwohl ich eigentlich einiges zu sagen gehabt hätte. Doch ich hielt mich zurück, wohlwissend, dass ein bissiger Kommentar wenig ändern und im Anschluss irgendwann bei Alex landen würde. Im Prinzip ging es mich auch gar nichts an, was sie hier trieben. Sollten sie sich doch ihre Gesundheit ruinieren. »Nein, danke.« Ablehnend schüttelte ich den Kopf und schloss quietschend die Tür zur Damentoilette hinter mir.

      Vier Jahre zuvor

       An einem Abend wie diesem mit unsäglichen Treppenhausbekanntschaften und einem Fast-Todessturz half nur eins: eine Familienpizza mit doppelt Käse, dazu extra Pizzabrötchen und Sour Cream. Mein Standard-Menü gegen Scheißtage vom Imbiss um die Ecke. Es lagen wohl einige eher schlechte Tage hinter mir, denn man kannte mich dort bestens. Bereits als ich in Sichtweite der Bude kam, begrüßte mich der freundliche Besitzer mit einem fröhlichen: »Wie immer?«, schnippte seine Zigarette umgehend in den nächsten Mülleimer, um sich ans Werk zu machen, ohne meine auch Antwort auch nur abzuwarten. Während er mit voller Hingabe den Pizzateig durch die Luft wirbelte, stellte ich am Stehtisch vor dem Laden bei einem mehr als verdienten Bier diesen verfluchten Sommer zum hundertsten Mal infrage. Ja, ich wollte diesen Job. Und vor allem: endlich einen Ausweg aus diesem ewigen MacBook-auf-den-Knien-Agenturleben. Weg von Thinktanks und Cold Brew. Nie mehr sonntagabends noch schnell einen Pitch optimieren. Der Buchladen, in dem ich seit ein paar Monaten arbeite, war nicht nur im Viertel, sondern auch bei den Touristen sehr beliebt. Ich mochte es, den ganzen Tag von Büchern umgeben zu sein. Da wir fast ausschließlich aus zweiter Hand verkauften, hatten viele dieser Werke schon einen oder sogar mehrere Vorbesitzer gehabt, was das Ganze noch spannender machte. Oft fanden sich Notizen und kleine Anmerkungen darin. Ich liebte das »Books«, wie der großväterliche Besitzer seinen Laden zu einer Zeit genannt hatte, als der Krieg zu Ende, die Angst davor seinen jüdischen Nachnamen zu benutzen aber immer noch groß genug gewesen war. Im Books gab es Bücher, darauf legte er großen Wert. Keine Ansichtskarten, keine Schreibwaren, keinen Tand. Alles war simpel und gut. Und für mich das Paradies: Genau so hatte ich mir meinen Traumjob immer vorgestellt, als ich im ersten Semester Publizistik studierte und das Klischee der naiven Studentin erfüllte, die »irgendwas mit Büchern« ganz oben auf ihren Karrierezettel schrieb. Dass ich nach dem Studium in einer Werbeagentur nach der anderen landete, hatte