Morgensonnenschein. Alina Haag. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alina Haag
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783754928622
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es dort nicht. Die Küche, die unseren Wohnraum darstellte, war etwa doppelt so groß wie das Schlafzimmer, was aber nicht viel bedeutete, weil dieses mit den wenigen Sachen, die sich darin befanden, so voll gestopft war, dass man sich darin fast nicht mehr bewegen konnte, ohne auf einer Matratze zu stehen, und war gefüllt mit einer schmalen Küchenleiste und einem Tisch mit drei Stühlen. Dieser war so an die der Küchenzeile gegenüberliegende Wand geschoben worden, dass es noch Platz gab, um dazwischen hindurchzugehen. Das Ganze war durch eine einzige Glühbirne an der Decke in schummriges Licht getaucht. Anscheinend hatten wir heute Glück gehabt, denn es war nicht selbstverständlich, dass wir Licht hatten. Die Stromversorgung in Limestone konnte nicht gerade als zuverlässig bezeichnet werden. Und wie auf ein Kommando standen wir plötzlich wieder im Dunkeln. Meine Mutter stöhnte auf und ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie sie die Augen verdrehte, bevor sie sich zu unserem einzigen Schrank vortastete, aus dem sie im untersten Fach auch einige Kerzenstummel herausholte. Der Strom kehrte den restlichen Abend nicht zurück und so nahmen wir unser karges Mahl aus trockenem Brot und kalter Brühe im Kerzenschein ein. Wir lachten viel und so machte es uns nichts aus, als wir mit immer noch knurrendem Magen ins Bett stiegen, denn an andere Aktivitäten, wie das Lesen eines Buches, war bei dieser Lichtqualität nicht zu denken. Nachdem meine Mutter dem kleinen Leo ein Gutenachtlied gesungen hatte, bei dem auch Dora die Augen zugefallen waren, löschte sie das Licht und war nach kurzer Zeit ebenfalls eingeschlafen. Allein ich lag noch lange in der Dunkelheit wach und grübelte über meine Zukunft nach. Als ich merkte, dass meine Gedanken immer öfter abschweiften, überließ ich mich schließlich der warmen Leere des Schlafes.

      Ich stand in einer Menge an Leuten. Mein Blick schweifte hin und her. Ich suchte nach meiner Familie. Plötzlich traf ich den Blick eines anderen Augenpaars. Seine blauen Augen bohrten sich in meine, blau auf blau, Eis auf Meer. Plötzlich drehten sich die anderen zu mir um, als der Junge auf mich zeigte. Und die Stimme des obersten Preisrichters dröhnte in meinen Ohren: Zelda Turris, rief er, Zelda Turris!

      Kapitel 7

      Bei den ersten Sonnenstrahlen wachte ich auf. Das Licht, das durch die Ritzen des Lakens, welches den Durchgang verhing, fiel und dieses vom Rest des Raumes abhob, malte die dunklen Umrisse meiner Geschwister und ließ in seinen Strahlen Staub tanzen. Meine Mutter rumorte irgendwo in unserem Wohnraum und mein Magen erinnerte sich nur noch schemenhaft an die letzte richtige Mahlzeit. Vorsichtig, um Dora nicht zu wecken, verließ ich auf Zehenspitzen das Zimmer. In der Kochecke stand meine Mutter bereits in einem Topf rührend am Herd. Sie war wohl schon früh aufgestanden, noch bevor die Sonne überhaupt zu erahnen gewesen war, um das bisschen Milch, das sie jetzt mit Haferflocken vermengte, zu kaufen. In den letzten drei Monaten seit der Zeremonie meines Bruders hatte sich die Knappheit an Lebensmitteln verschärft, jetzt, wo es den Leuten finanziell einigermaßen gutging, war nicht mehr viel da, was sich kaufen ließ. Die Preisrichter, so sagte man, hatten mal wieder die Rohstoffzufuhr unterbunden. Die Preise für Kleider und Lebensmittel, wenn den welche da waren, schossen in die Höhe. Die, denen es vorher schlecht gegangen war, ging es jetzt noch schlechter, denn Folge des Rohstoffmangels war vor allem eine steigende Arbeitslosigkeit. Auch meine Mutter war davon betroffen. Sie hatte sich vor einigen Jahren als Näherin selbstständig gemacht, doch jetzt, da Stoffe und Garne so enorm teuer waren, lag es nicht fern, dass sie wieder in die Fabrik gehen musste, wo sie die Hälfte verdiente und von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeitete, um uns drei, Leo, Dora und mich, einigermaßen ernähren zu können. Wegen diesem Sachverhalt war es mir auch wirklich lästig in die Schule zu gehen. Lieber wollte ich arbeiten, um wirklich etwas beitragen zu können, aber meine Mutter stritt vehement ab, dass ich derartiges machte, da wollte sie schon lieber verhungern, als dass ich meine Zukunft opferte. Vielleicht würde das auch bald geschehen…

      Dora holte mich aus meinen düsteren Gedanken, als sie über meine gedrückte Miene zu lachen anfing. „Wie schaffst du es nur, schon morgens so schlechte Laune zu haben?“

      „Und wie schaffst du es nur immer, so nervig zu sein?“, erwiderte ich mürrisch, hellte meine Miene dann aber doch etwas auf, was meine Schwester mit einem triumphierenden Blick zur Kenntnis nahm, während sie mir gegenüber am Tisch Platz nahm.

      Meine Mutter weckte Leo auf und zusammen aßen wir unser Frühstück. Danach zogen meine Schwester und ich unsere grauen Schuluniformen an, wuschen uns und standen schließlich startbereit vor der Tür, wo uns unsere Mutter eine Glasflasche überreichte, die ich in meine selbstgenähte kleine Tasche steckte, die auch einen Block und ein paar Stifte enthielt. Wir verabschiedeten uns und traten durch die Tür in den Morgen. In der kleinen Gasse, an der unsere Wohnung lag, war bereits reger Betrieb. Um der Enge zu entkommen rannten wir bis zum Ende der Straße, die in einen großen erhöhten Platz mündete. Die Sonne stand noch nicht hoch genug, um die Häuser in unserem Rücken zu überwinden und die unter uns liegenden Gebäude zu bescheinen. Wir standen an der verfallenen Mauer, die den Platz vom darauf folgenden Hang abgrenzte und blickten über die vielen rauchenden Schornsteine, die sich in der Ferne in ihrem eigenen Qualm verloren. Wie ich schon früher festgestellt hatte, war der Anblick Limestones am Morgen nicht mal halb so schön wie der von Ardesia, aber trotzdem hatte er etwas anziehendes. Ich sog die kühle Luft ein, die schon am Morgen eine schwache Rauchnote hatte und gab schließlich dem Ziehen meiner Schwester an meinem Arm nach. Wir folgten weiteren Gassen, bis wir pünktlich zum Siebenuhrfünfundzwanziggong das rostige Schultor passierten, hinter dem wir über den von Unkraut überwucherten Hof zum Schulgebäude gingen, einem alten grauen Betonklotz, der weiterer Erwähnungen nicht würdig war. Mein Stundenplan sah heute mittelmäßig aus, zuerst Stonisch, dann Mathe, Doppelstunde Murla, Geschichte und Kunst. In Mathe war ich ganz gut und auch an Stonisch hatte ich nichts auszusetzten, Geschichte war allerdings das schlimmste, was man mir antun konnte, eine dreiviertel Stunde lang Erzählungen darüber, wie hervorragend die Preisrichter waren und was sie alles für uns getan hatten. Heute sollte es besonders schlimm werden, denn der Besuch eines Preisrichters war angekündigt worden. Ich hatte meine Mutter angefleht mich krankzumelden, doch diese hatte erwidert, es wäre gar nicht schlecht, dem Feind einmal von Angesicht zu Angesicht zu begegnen und diesen mit Fragen zu löchern und hatte sich dann lachend wieder ihrer Näharbeit zugewandt. Wirklich hilfreich! Gerade hatten wir den Eingang erreicht und meine Schwester, die vier Klassen unter mir, also in der sechsten Klasse, war, verabschiedete sich von mir, um danach in Richtung ihres Klassenzimmers zu verschwinden. Ich selbst bog in einen Gang und folgte einer schnatternden Menge Fünftklässler zu meiner ersten Unterrichtsstunde.

      Der Vormittag verging wie im Flug und schon saß ich in meinem Geschichtsklassenzimmer. Wie in allen Fächern hatte ich auch in diesem miefigen, kleinen und dreckigen Raum den hintersten Platz belegt, den Blick auf die Uhr über der Tür gewandt. Ruckartig und ohne Vorwarnung öffnete sich diese, als mein Geschichtslehrer, ein alter grauhaariger und ausgemergelter Mensch, und ein weiterer Mann das Zimmer betraten. Die ganze Klasse erhob sich und unser Lehrer zeigte mit einem Wink, nachdem er seine abgenutzte Ledertasche auf das hölzerne Pult geknallt hatte, dass wir uns setzen könnten. Er nahm ebenfalls Platz und der andere Mann, der wahrscheinlich der Preisrichter war, trat mit einem Räuspern in das spärliche Licht einer Glühbirne und begann seinen Vortrag. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Er begann mit der Legende zur Entstehung von Stones, jeder kannte sie. Vor ein paar hundert Jahren war Stones eine Wüste gewesen, doch durch einen sintflutartigen Regen war das Land grün geworden und schließlich hatten es auch einige Menschen für sich entdeckt, genauer der Stamm der Sontes. Die Mitglieder des Stammes waren alle unterschiedlich begabt gewesen, so erzählte es die Legende. Die einen waren gut darin niedere Arbeiten zu verrichten, die anderen glänzten wiederum in Führungsrollen. Der letzte bekannte Stammesführer war Marpel gewesen, ein weiser Mann, dem, wie jedem Anführer, ein Rat aus weiteren Männern gleicher Gesinnung unterstellt gewesen war und mit gleicher Gesinnung meinte ich vor allem gleichen Talents oder besser gesagt gleicher Wertigkeit. Über Marpel stand nur ein anderer Mensch, einer, der den Wert eines Menschen sehen konnte, der damalige Preisrichter, der in der Überlieferung nicht namentlich genannt wurde. Um noch einmal zu Marpel zu kommen oder vielmehr zu dem Grund, warum er der letzte Anführer war, musste man wissen, dass zu dessen Herrschaftszeit die Ernten reich waren und deshalb die Bevölkerung schon bald explodierte. Menschen unterschiedlicher Schichten lebten auf engsten Raum zusammen und schon bald kam es zu Unruhen vor allem unter den Leuten niederer Schichten, was wohl daran lag, dass die erntereichen