Äußerst lebendig war es 2003 dagegen in der deutschen Politik zugegangen. Die SPD hatte drei Landtagswahlen krachend verloren (Hessen, Niedersachsen und Bayern), nur in Bremen war man an der Macht geblieben, aber dabei handelte es sich ja auch bloß um einen winzigen Stadtstaat, in dem die Linken schon immer in der Mehrheit gewesen waren. Ansonsten überboten sich Regierung sowie Opposition gegenseitig mit Reformvorschlägen, was die Bürger des Landes nicht unbedingt nur erfreute. Doch die Watschen bekamen in erster Linie die Sozialdemokraten ab. Erstens waren die in der Regierung, zweitens hatte man so etwas wie die Agenda 2010 von denen nicht erwartet und drittens bildeten sich die Oppositionsparteien auf ihre Umfragewerte so viel ein, daß sie meinten, die deutschen Wählerinnen und Wähler wären total geil auf noch mehr und härtere Reformen, was aber überhaupt nicht stimmte. Das also war das Jahr 2003 gewesen, wer noch mehr darüber wissen will, sollte Geschichtsbücher lesen.
Mitte Januar 2004: Neues Jahr, neues Glück? Ja, aber. Wenn man verliert, dann ist man erst mal traurig und überlegt sich danach, woran es denn gelegen haben könnte. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere Option besteht darin, das Ganze als ungerecht anzusehen, sich selbst als den Allergrößten zu betrachten und es später genauso zu machen wie derjenige, gegen den man unterlegen gewesen ist. Tja, das also hatte Egmont Sträuber beherzigt und praktiziert gehabt. Monatelang war er im Wahlkampf 2003 im Sommer durch das Bayernland gezogen, hatte allen alles versprochen oder wenigstens versichert, daß sich nichts verändern oder verschlechtern würde und kaum war er mit über 60 Prozent wiedergewählt, hielt er es mit Wadenhauer und Schräder, indem er sich dachte: "Was kümmert mich mein verlogenes Geschwätz von gestern?" Mitte September war Bayern noch das Schlaraffenland gewesen, Anfang Oktober handelte es sich beim selben Freistaat plötzlich um einen Sanierungsfall. "Der hat uns ins Gesicht gelogen", erkannten etliche Bauern, Lehrer und Polizisten mal wieder leider zu spät. "Sträuber heißt er - uns bescheißt er" oder "We don’t need no Egi-cation", lauteten die Sprüche, die man auf Bannern lesen konnte und das ausgerechnet bei Demonstrationen gegen die bayerische Staatsregierung! Ja, Sie haben tatsächlich richtig gelesen, Anfang 2004 erwachte das bayerische Volk und erhob sich nicht etwa gegen die "rot-grünen Chaoten in Berlin", wie es die CSU sicherlich gerne gesehen hätte, sondern protestierte gegen ihre eigenen Leute, gegen die Kameraden, die man erst wenige Monate zuvor eindrucksvoll in ihren Ämtern bestätigt und mit einer Machtfülle ausgestattet hatte, welche ihresgleichen suchte.
Na ja, so schlimm das alles auch für die Gelackmeierten sein mochte, so hatte der weise Egmont doch eigentlich nur einen Rat beherzigt, den schon die großen Staatenlenker und Polit-Vorbilder längst erkannt sowie ausgesprochen hatten. Grausamkeiten, so hieß es da, begehe man am besten zu Beginn einer Legislaturperiode, denn dann sind sie gegen Ende derselben wieder vergessen und man wird trotzdem wiedergewählt.
Blöd für Sträuber war halt, daß es sich nicht um irgendwelche Linken handelte, die da gegen ihn auf die Straße gingen, sondern um CSU-Anhänger, also quasi "Stimmvieh" aus dem eigenen Stall. Noch unangenehmer war natürlich, daß diese Leute genau zu wissen glaubten, warum der Sträuber plötzlich so grausam und brutal war, daß er sogar das Blindengeld kürzen wollte. Sein Ziel bestand nämlich nunmehr auf einmal darin, 2006 mit Bayern als erstem deutschen Bundesland einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und damit erhoffte er sich insgeheim eine weitere Nominierung zum Kanzlerkandidaten der Union. Genau das regte die Betroffenen am allermeisten auf; daß sie dafür bluten sollten, daß der feine Herr Egmont seinen Kanzlerträumen nachhängen konnte. Es ging also mächtig zur Sache, aber der rigide Sparkurs wurde nichtsdestotrotz knallhart durchgesetzt, das wäre ja schließlich noch schöner, wo kämen wir denn da hin, wenn wir vor einzelnen Interessengruppen wie dem Bayerischen Beamtenbund einknicken würden oder wenn am Ende gar das Volk in einer Volksherrschaft (= Demokratie) bestimmen wollte, wo es lang geht! Also wirklich, alles was Recht ist, aber das geht dann doch zu weit. Daß es das Volk auch gar nicht so ernst meinte mit seinen Protesten, zeigte eine neue Umfrage, in der die CSU bei sage und schreibe 62 Prozent landete!
Ende Januar 2004: Wieder einmal hatte ein Superwahljahr begonnen und das bedeutete für die rot-grüne Bundesregierung vermutlich nichts Gutes. Eine Europawahl, fünf Landtagswahlen, acht Kommunalwahlen sowie eine Bundespräsidentenwahl standen auf dem Programm und die Union bereitete sich mal wieder auf viele schöne, weil erfolgreiche Wahlabende vor. Im Bundesrat hatte die Opposition ohnehin schon eine Mehrheit hinter sich, von daher konzentrierte man sich vor allem darauf, bei der Kür des Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten keinen Fehler zu machen. Schließlich wollte man ja allen Menschen in Deutschland eindrucksvoll beweisen, daß man mit Macht verantwortungsvoll umgehen konnte und deswegen auch für höhere Weihen geeignet war. In Sachsen, Brandenburg, Thüringen, Hamburg und im Saarland standen 2004 Landtagswahlen vor der Tür und außer in Brandenburg gab es für die SPD nicht wirklich viel zu hoffen und zu erwarten.
Anfang Februar 2004: Vielleicht spielte auch das eine Rolle für eine Entscheidung, welche im politischen Berlin wie eine Bombe einschlug. Schräder trat zurück! Als SPD-Parteivorsitzender, aber natürlich nicht als Bundeskanzler, der Mann war schließlich nicht völlig bescheuert, der wußte schon ganz genau, auf welches Amt man verzichten konnte. Dan Mützewirsing wurde zu seinem Nachfolger auserkoren und das begeisterte die Genossen dermaßen, daß plötzlich von Aufbruchstimmung die Rede war. Klar, Bernhard Schräder war zwar jahrzehntelanges Parteimitglied, aber seine knapp fünfjährige Zeit als Parteivorsitzender war eine Vernunftentscheidung gewesen, nachdem Afroträne im März 1999 plötzlich hingeschmissen und bildlich geschrieben auf den roten Teppich im Billy-Rand-Haus geschissen hatte, falls es dort so etwas überhaupt gibt. Jedenfalls freuten sich sowohl Schräder als auch die SPD-Parteimitglieder darüber, nicht länger so stark aufeinander angewiesen zu sein. Mützewirsing sollte der neue Ausputzer auf dem Spielfeld werden, der Schräder den Rücken freihalten sollte, damit jener endlich wieder aufs gegnerische statt aufs eigene Tor schießen konnte.
Zwei Sozialdemokratinnen unterhielten sich über die neue Situation: "Also als Genossin finde ich die Entscheidung richtig, aber als Frau hätte ich den Schräder schon lieber als Parteivorsitzenden gehabt. So ein schöner Mann", fand die Eine. "Absolut. Da konnte man immer so schön träumen und sich lebhaften sexuellen Phantasien hingeben, wenn der eine Rede gehalten hat. Der war immer so kämpferisch und energisch, ein richtiger Machtmensch, ein Macher halt." "Ja, aber der Dan ist natürlich besser für die verstörte Seele unserer Partei. Allerdings weiß ich nicht, ob ich bei dem feucht werde." "Das wird in der Tat sehr schwierig. Klar, die Jungs mußten etwas unternehmen, so konnte es nun wirklich nicht weitergehen. Vielleicht war das wirklich der Befreiungsschlag, den unsere Partei unbedingt gebraucht hat, aber ob wir deswegen jetzt plötzlich wieder Wahlen gewinnen werden?" "Das kann ich mir auch beim besten Willen nicht vorstellen. Wir haben unsere Anhänger dermaßen vergrätzt, daß die nichts mehr von uns wissen wollen, was durchaus nachvollziehbar ist. Na ja, wir müssen halt in Zukunft versuchen, uns auf den Parteitagen den Dan schön zu saufen." "Das wird nicht leicht, aber irgendwie bekommen wir das schon hin. Hauptsache, die Basis ist erst mal befriedet." "Ganz genau. Aber mein Schräder-Poster lasse ich trotzdem hängen."
Ende Februar 2004: Beim Politischen Aschermittwoch, der vor allem in Bayern praktiziert wird, handelt es sich um eine Einrichtung allererster Güte, die dazu dient, die eigenen Anhänger so geschlossen wie möglich hinter sich zu scharen und lustvoll auf den politischen Gegner einzuschlagen. Besonders gern zelebriert ihn verständlicherweise die CSU, insbesondere dann, wenn sie nicht in Berlin an der Macht ist. "Die können es nicht, die müssen weg", lästerte Sträuber daher seit 1999 alljährlich über die rot-grüne Bundesregierung, allerdings war 2004 alles ein bißchen anders, denn draußen vor der Passauer Dreiländer-Halle demonstrierten wütende Polizisten gegen den bayerischen Ministerpräsidenten und seine aus ihrer Sicht ungerechte Sparpolitik. Öffentlicher Widerstand im Bayernland?
Drinnen wurde derweil gejohlt und gesoffen, Tausende CSU-Fans tummelten sich, um ihren Egmont schimpfen und loben sowie protzen und toben zu hören, doch da die CSU gerne Rekorde aufstellt, wurden mal wieder zu viele Karten ausgegeben, weshalb etliche der Zuhörer nicht wesentlich mehr Platz als eine Henne