Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
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habe dir doch gerade gesagt, dass hier alles lebt. Das gilt auch für das Haus. Alles hat eine Seele.«

      Antilius musterte daraufhin mit zweifelnder Miene die Holzhütte erneut. Es machte keinen lebendigen Eindruck. Er zuckte mit den Achseln. »Tja, wenn es sprechen könnte, würde ich dir vielleicht glauben«, lästerte er.

      »Warum sprichst du dann nicht mit ihm?«

      Antilius fühlte sich auf den Arm genommen. »Das kann ich ja gerne tun, aber es würde mir mit Sicherheit nicht antworten. Und du würdest mich mit Sicherheit wieder auslachen.«

      »Du musst es nur wollen«, insistierte die Unbekannte. Ihr Mienenspiel war ernster geworden. Dennoch wirkte sie gelöst.

      »Da verlangst du zu viel von mir«, warf er ein und machte Anstalten weiterzugehen, aber plötzlich vernahm er aus dem Haus ein Grollen. Antilius drehte sich wieder um und erstarrte:

      Das Haus bewegte sich. Holzbalken bogen sich ächzend. Späne wurden aus den Ritzen gedrückt. Zwei Fenster unter dem Dachfirst leuchteten auf. Sie sahen aus wie zwei Augen.

      Das Haus bekam ein Gesicht.

      »Ach, mir geht es gar nicht gut«, brummte das Haus mit einer unglaublich tiefen Stimme, wobei es die Worte nur sehr langsam herausbrachte.

      Antilius blieb in seiner Erstarrung festgefroren. Seine unbekannte Begleiterin jedoch grinste wieder nur hinter vorgehaltener Hand.

      »Das ist ein Trick«, stammelte Antilius.

      »Ich wünschte, es wäre einer«, murrte das Haus weiter. Ein schrecklich lauter und bodenerschütternder Hustenanfall schloss sich dem letzten Satz an. Aus dem Schornstein stieß stoßweise Rauch auf.

      Fassungslos schaute Antilius seine Begleiterin an.

      »Willst du es nicht fragen, warum es ihm nicht gut geht?«, fragte sie.

      Antilius stockte der Atem. Er konnte es nicht glauben. Wenigstens war es kein Monster aus dem Dunklen Tunnel.

      »Was hast du, altes Haus?«

      »Ich fühle mich so alleine. Und außerdem habe ich einen schlimmen Husten.« Zur Bestätigung hustete das Haus erneut kräftig. Fast so, als suchte es Mitleid. Nein, nicht fast so - es wollte Mitleid.

      »Warum bist du allein?«

      »Mein Besitzer ist fort. Er hat mich schon seit Ewigkeiten nicht mehr sauber gemacht. Alles ist voll Staub. Und gelüftet hat er mich auch noch nie. So kann man mich doch nicht behandeln! Das ist einem Haus wie mir doch nicht würdig, oder?«

      »Nun, äh, sicher nicht.«

      Das Haus prustete wieder und brauchte lange, bis es sich gefangen hatte. Es sah wirklich bemitleidenswert aus - für ein Haus.

      »Ich mache das nicht mehr länger mit«, jammerte es.

      »Was willst du tun?«

      »Ich werde verschwinden. Ich werde mich klammheimlich aus dem Staub machen. Das werde ich tun. Vielleicht ist das meinem Besitzer mal eine Lehre, wenn er wieder betrunken nach Hause kommt und merkt, dass sein Heim plötzlich verschwunden ist. Das wäre doch eine gerechte Strafe. Ich habe schon früher darüber nachgedacht, heute jedoch werde ich Ernst machen. Du wirst mich doch nicht verraten, oder?«

      Das Haus besaß zwar kein Gesicht, aber Antilius hatte das Gefühl, dass ihn die leuchtenden Fenster verschwörerisch fixierten.

      »Ich werde dich bestimmt nicht verraten«, versicherte er zügig.

      »Ich auch nicht«, bestätigte die Namenlose mit allem nötigen Ernst.

      Das Haus erzitterte daraufhin und erhob sich ächzend. Antilius konnte es kaum fassen, aber dieses wundersame Haus besaß so etwas Ähnliches wie Beine. Es waren dicke Holzbalken, die sich so stark bogen, dass Antilius fürchtete, sie würden brechen und das Haus wurde in sich zusammenstürzen.

      »Also gut. Ich verschwinde. Ihr habt mich nicht gesehen, klar?«, sagte das Haus schließlich.

      Antilius musste schmunzeln. Ein Haus wie dieses konnte sich wohl schlecht irgendwo hinter einem Baum verstecken. Außerdem würde es wohl auffallen, wenn ein Haus die Landschaft durchwanderte. Aber er wollte es nicht entmutigen. »Ich habe nichts gesehen«, sagte er.

      Das Haus verabschiedete sich mit einem Hustenanfall und stampfte gemächlich davon und hinterließ dabei einen tief zerfurchten Acker. Antilius und die namenlose Frau sahen ihm hinterher. Irgendetwas murmelte das Haus noch, als es sich entfernte, es war aber nicht mehr zu verstehen. Wahrscheinlich verfluchte es seinen Besitzer.

      »Das ist schon amüsant. Ein sprechendes Haus. Langsam gefällt mir dieser Ort hier.«

      »Wenn du willst, kannst du mit allem hier sprechen. Du kannst mit Menschen sprechen, mit Tieren, Pflanzen oder mit Gegenständen. Alles ist beseelt. Es gibt keine Ausnahmen, sondern nur Möglichkeiten. Aber du musst es auch wollen«, sagte die Namenlose mit ernstem Gesicht.

      »Du meinst, das Haus konnte nur mit mir reden, weil ich mir vorgestellt habe, dass es mit mir sprechen kann?«

      »Nun, so ähnlich. Aber man kann es so ausdrücken. Erinnerst du dich, wie du mit dem Sandling gesprochen hast?«

      »Ja, natürlich. Woher weißt du davon?«

      »Der Sandling hat mir gesagt, dass du bald hier eintreffen würdest. Er spricht nicht mit jedem. Nur jene, die frei von Vorurteilen sind, können mit ihm reden.«

      »Niemand ist frei von Vorurteilen. Auch ich nicht«, sagte Antilius aufrichtig.

      »Tief in dir drin, bist du es. Und genau das ist die Voraussetzung, um mit dem Haus und allem anderen, das es hier gibt, zu sprechen und mit ihm zu leben.«

      Antilius glaubte, einen Einfall zu haben. War es das? War das die Lösung?

      »Ist diese Fähigkeit, das Unmögliche zu akzeptieren, das, wonach ich suche? Sich mit ihm auseinanderzusetzen?«

      »Er ist mehr als das. Du besitzt noch mehr Fähigkeiten, die dir nur noch nicht bewusst sind.«

      Antilius’ Gesichtsausdruck signalisierte der Namenlosen, dass er ihr nicht glaubte.

      »Wenn du nicht daran glaubst, wirst du deine Aufgabe nicht erfüllen können. Es würde schon ausreichen, wenn du dich nicht dagegen wehrst. Das ist der erste Schritt.«

      »Ich bin bereit. Ich bin bereit zu lernen. Und ich werde glauben. Wo kann ich das Orakel finden?«, fragte Antilius jetzt wieder ungeduldig. Die Frage schien die Unbekannte zu überraschen.

      »Dafür ist es noch zu früh«, sagte sie schnell.

      Seine Miene verlangte nach einer Erklärung.

      »Kurz nachdem du durch das Zeittor gereist bist, hat Koros es gestohlen, um es mit einem weiteren Tor zu einem Portal zusammenzubauen. Ist er erfolgreich, könnte er die ganze Welt vernichten, weil er nicht weiß, womit er es zu tun hat. Er könnte sogar für diesen Ort, für Verlorenend, eine ernsthafte Gefahr werden. Ihm ist zwar die Existenz dieses Ortes vermutlich nicht bewusst, aber er kann dich wahrnehmen. Und wenn er dazu fähig ist, dann könnte er auch herausfinden, wo du dich befindest. Deshalb ist es wichtig, dass du lernst, dich geistig von ihm abzuschirmen. Du musst einen Schutzschild aufbauen, um dich und die Bewohner von Verlorenend zu beschützen.«

      Antilius ließ sich einen Moment Zeit, um über die Worte der namenlosen Frau nachzudenken.

      »Du bist hier, um zu lernen, deine Fähigkeiten zu benutzen. Ich werde dich lehren. Erst danach wirst du das Orakel sprechen können, ansonsten würdest du nicht verstehen, was es dir erzählt. Das Orakel wird dir den weiteren Weg, den du gehen musst, weisen.«, sagte sie und wartete gespannt auf eine Reaktion.

      »Wie lange wird das dauern? Koros könnte doch theoretisch jeden Augenblick das Portal öffnen und die Macht der Transzendenz befreien.«

      »Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe. Zeit spielt hier keine Rolle. Deine Ausbildung wird so lange dauern,