Telepathenaufstand. Sören Kalmarczyk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sören Kalmarczyk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754946770
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den Jahren, die die beiden sich nun kannten, hatte Karl immer wieder von „Trautchen“ gesprochen. Sie war ihm so ans Herz gewachsen, als wäre sie die Oma gewesen, die er nie hatte.

      Wenn Karl im Urlaub war, schickte er immer eine Postkarte ans Dōjō und eine an Trautchen.

      Karl war Altenpfleger in einem Berliner Seniorenheim. Man merkte ihm immer an, dass er diesen Job nicht des Geldes wegen machte. Das tat bei der schlechten Bezahlung sowieso niemand. Er machte diesen Job, weil ihm die Seniorinnen und Senioren wirklich sehr am Herzen lagen. Jeder Neuzugang wurde von ihm quasi adoptiert. Er organisierte Spieleabende, Grilltreffen und sorgte dafür, dass sie sich alle wohl fühlten.

      Alexanders Handy meldete sich. Eine Nachricht von Fred. Der Bus stand im Stau und er kommt etwas später. ‚Passt ja‘, dachte Alex und konzentrierte sich wieder auf Karl.

      Dieser erzählte gerade davon, wie Trautchen beim letzten Bingo-Abend die Pfleger verschaukelt hatte. So langsam wurde er ruhiger und fing wieder an, zu lächeln.

      Karl und Alex redeten noch eine ganze Weile über Edeltraut und ihre Possen. Das Training hatte eigentlich schon längst begonnen, aber das war beiden gerade egal.

      Als Fred dann auch endlich mal eintraf, ging es Karl schon wieder viel besser und er lächelte. Alexander nahm seine Trinkflasche, sah wie gut es Karl wieder ging, und lächelte zufrieden, als er einen großen Schluck nahm. Karl erzählte unterdessen Fred das Wichtigste.

      „Ich war gerade auf dem Weg hierher, als ich den Anruf bekam. Zehn Minuten später war ich hier“, erzählte Karl gerade und Alexander trank zunächst mit der Lunge weiter.

      Hustend stellte er die Flasche ab und sah noch mal auf sein Handy. Er hatte ungefähr 10 Minuten bevor Karl kam, seine Familie gefragt, wie es ihnen geht.

      Er sagte zunächst nichts und konzentrierte sich auf Fred. ‚Sein Dienstleiter ist eine richtig fiese Ratte und hat ihm fürs Wochenende Überstunden aufgebrummt‘, war sich Alex sicher.

      Fred hatte grad die Hand auf Karls Schulter und meinte: „Wenn du willst, können wir uns am Wochenende mal treffen. Geht aber erst nachmittags, der Arsch von Dienstleiter hat mir wieder Überstunden reingedrückt.“

      ‚Okay‘, dachte Alexander und erinnerte sich an die Frau, die gestürzt war, ‚einmal ist Zufall, zweimal ist seltsam, aber dreimal ist ein Muster!‘

      Er war schon immer sehr empathisch und fühlte mit anderen mit. Deshalb hatte er auch Psychotherapie studiert. Aber so zielsicher und überwältigend war das eigentlich noch nie.

      Er ließ sich erst einmal nichts anmerken. Zum einen wollte er nicht für verrückt gehalten werden und zum anderen hielt er es in diesem Moment für wichtiger, dass Karl möglichst gut gelaunt wieder nach Hause kommt.

      Der Rest dieses Karatetrainings verlief ohne Zwischenfälle. Beide Schüler zeigten, dass sie gut trainiert hatten und bereiteten sich unter Alexanders fachkundigem Blick auf die kommende Gürtelprüfung vor.

      Sie waren beide schon Fortgeschrittene und trainierten seit einigen Jahren bei Alexander. Sie hatten die erste Krise der Karateschule gemeinsam überstanden, als der frühere Vermieter, ein drogensüchtiger Egozentriker, die Schule von einem Tag auf den anderen rauswarf. Seitdem trainierten sie in dem kleinen Dōjō, das sie jetzt hatten, in einer kleinen Stadt etwas außerhalb von Berlin.

      Zur selben Zeit im Zentrum Berlins. Es war reger Feierabendverkehr, als Magdalena Ulnikowa am Bahnhof Alexanderplatz aus der U-Bahn stieg.

      Sie war nicht einfach schlecht gelaunt, sie war so richtig scheiße drauf. Biestig, garstig und wenn jemand es gewagt hätte, sie anzusprechen, hätte sie wahrscheinlich zugebissen. Ihre Knie schmerzten, ihre Hose war versaut und ausgerechnet heute sollte sie zwei neue Schüler kennen lernen.

      Als sie ihr Zuhause verließ, war sie auf dem glatten Gehweg ausgerutscht. Nur die Gehwegplatten bremsten ihren Sturz. Ein etwas korpulenter Mann aus dem Haus gegenüber half ihr wieder auf. Aus seinem Auto dröhnte seltsame Musik, die ihr irgendwie exotisch vorkam.

      Da sie selbst aus der Ukraine nach Deutschland eingewandert war, ging sie davon aus, dass Alexander – der Mann, der ihr aufgeholfen hatte – ebenfalls Immigrant war und im Auto die Musik seiner Heimat lief.

      Nach einem kurzen Fußweg kam Magdalena an ihrem Ziel an, ein kleiner Eingang zu einem Kellergeschäft, fast direkt am Alexanderplatz.

      Die Servicekraft am Eingang reichte ihr wortlos eine Hose, was Magdalenas Laune sofort besserte. Natürlich, sie alle waren eingeweiht. Dieser kleine, elitäre Club, der sich in den Hinterräumen dieser Boutique befand, war eine Vereinigung von Telepathen.

      „Danke, Steffi“, sagte Magdalena.

      Sie ging in die Umkleide und zog sich um.

      ‚Hast du ein Glück, dass heute nichts los ist‘, hörte sie Steffis Stimme in ihren Gedanken. Zusammen damit schickte Steffi ihr ein Stück ihrer Erinnerungen.

      Mit einem lauten Klatschen schlug sich Magdalena an die Stirn. Die Erinnerung, die ihr das Mädchen geschickt hatte, zeigte ihr, wie sie selbst in die Umkleidekabine für Herren ging.

      Als Magdalena die Kabine verließ, brachte ihr Steffi gerade einen Kaffee.

      „Den brauchst du jetzt“, sagte sie mit Bestimmtheit.

      Magdalena nahm dankend an und setzte sich erst mal hin. Sie musterte Steffi eingehend. Das Mädchen war gerade mal 18 und schon in den Zirkel eingeführt. Sie war eine geborene Telepathin. Ihre Eltern hatten sie von einem Psychiater zum nächsten geschickt, weil sie immer wieder die Menschen vor den Kopf stieß.

      Irgendwann war sie an eine Jugendpsychiaterin geraten, die in einer mittelgroßen Stadt gerade außerhalb des Speckgürtels saß. Diese erkannte sofort, was es mit Steffi auf sich hatte und unterrichtete sie.

      Mit 16 wurde Steffi dann in den Engelszirkel aufgenommen. Nach außen hin tarnte sich der Zirkel als ein Clan, der in Online-Spielen aktiv war. Aber in Wahrheit war es eine Gruppe von Telepathen. Gedankenleser.

      Ihre Aufgabe war es, andere Telepathen zu finden und zu unterrichten. Das Ziel des Ganzen war, die Gesellschaft der Telepathen vor der Allgemeinheit geheim zu halten. Ironischerweise war die einzige offizielle Institution, die von der Existenz dieser Zirkel wusste, ausgerechnet die Truppe, die sie jahrhundertelang jagte und mit Vorliebe verbrannte: Die Kirche in Rom.

      Die Telepathenzirkel gab es auf der ganzen Welt. Sie waren jedoch angewiesen, sich niemals miteinander auszutauschen. Die Kirche befürchtete, dass sie sich sonst organisieren könnten. Darin sah sie eine Gefahr. So kannten sich nur die Mitglieder eines Zirkels untereinander. Die jeweiligen Vorsitzen des Zirkels kannten 2 oder 3 weitere Vorsitzende, aber das war es dann auch schon.

      Während Magdalena das alles durch den Kopf ging, fühlte sie ein beständig stärker werdendes Ziehen in ihrem Bewusstsein.

      ‚Wo du schon mal so weit weg bist, bring doch auf dem Rückweg eine Pizza mit‘, hörte sie schließlich Steffis Gedanken.

      Magdalena musste lachen. Ja, es stimmte, sie hatte mal wieder geträumt. Sie trank ihren Kaffee aus und begab sich in die hinteren Räume. Zwei Neuzugänge sollten heute eingeführt werden.

      In der Karateschule näherte sich das Training dem Ende. Es war 20:00 Uhr und Alexander hatte die letzten Korrekturen gegeben.

      „So, Feierabend“, verkündete er nach einem Blick auf die Uhr.

      Zwei Blicke folgen seinem und von Fred kam ein lautes „Mist!“

      „Was ist?“, fragte Karl ihn.

      „Ich muss den Bus kriegen!“

      Auf einen Wink von Alexander hin rannte Fred in die Umkleide und zog sich schnell seine Alltagskleidung an. Nach einem hektischen Abschied rannte er raus und zur Bushaltestelle.

      „Sagen wir ihm, dass der Fahrplan sich geändert hat und er noch 10 Minuten Zeit hat?“, fragte Alexander leise.

      „Nee“,