»Solana, komm zum Frühstück!«, rief Gor die Treppe hinauf.
Das Mädchen hatte gerade das Badezimmer verlassen und war sofort auf dem Weg nach unten. Als sie die Küche betrat, war der Tisch reichlich gedeckt. Sie setzte sich zu Gor an den Tisch und fing zu frühstücken an, nebenbei fragte sie:
»Wo ist Alwin, schläft er etwa noch?«
»Nein, der ist schon ins Dorf hinunter gelaufen, um ein paar Händler zu beliefern. Jetzt erzähl mal, wie geht es deiner Mutter? Ist sie immer noch so hübsch wie früher?«
»Ja, das ist sie sehr wohl und …«
Solana hielt inne, als augenblicklich schwere Schritte auf dem Terrassenboden zu hören waren, die sich dem Eingang näherten.
Die Tür wurde urplötzlich aufgerissen und Sota stand im Raum. Solana erstarrte beim Anblick ihres Vaters.
»Ich wusste es!«, rief er laut und drohend.
Er machte einen Satz auf Solana zu und zog sie vom Stuhl hoch. Seine Hände umklammerten ihre Schulter und er schüttelte sie heftig.
»Was ist nur in dich gefahren, dass du uns das antust? Weißt du überhaupt, was du damit bewirkt hast? Ich musste Janis zu meinem Nachfolger ernennen, hast du die leiseste Ahnung, was für eine Schande du damit über mich gebracht hast? Wenn du schon nicht an mich denkst, an deine verzweifelte Mutter hättest du wenigstens denken können!«
Gor stand auf und befreite Solana aus Sotas eisernen Griff.
»Lass es gut sein, mein Bruder«, wollte er einlenken, doch Sota brüllte:
»Misch dich nicht ein, sie ist mein Kind!«
»Solana, geh auf dein Zimmer«, sagte Gor daraufhin in ruhigem Ton.
»Und du, Sota, setz dich und lass uns miteinander reden. Komm, trink mit mir eine Tasse Tee, sie wird dir guttun.« Beruhigend schob er Sota zum Tisch und rückte ihm einen Stuhl zurecht. Als das Mädchen verschwunden war, fuhr er fort:
»Schau, Bruder, du musst Solana auch ein bisschen verstehen. Sie ist genauso wissbegierig wie ihr Vater und Frauen neigen nun mal dazu, ihr Unwissen in Neugier umzuwandeln. Du hättest es merken und ihr ein wenig entgegenkommen sollen. Du hättest ihr ja nicht gleich alles erzählen müssen. Wenn diese starke Windböe ihr nicht die Tür aus der Hand gerissen und sie zugeschlagen hätte, dann …«
Gor erzählte ihm alles, was er von Solana wusste, und langsam entspannte sich Sotas Gesicht. Die beiden Männer unterhielten sich zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder. Nach und nach erzählten sie sich alles, was ihnen seit ihrer Trennung widerfahren war.
Solana stand unterdessen am Fenster ihres Zimmers und sah hinaus. Sie war fürchterlich aufgeregt. Was würde nun aus ihr werden?
Ihr Vater wirkte krank auf sie, oder war es ihr nur durch das Tageslicht so vorgekommen? Wie lange sie so am Fenster gestanden hatte, wusste sie nicht, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Plötzlich wurde die Tür leise geöffnet und Alwin trat ein. Ohne etwas zu sagen, kam er auf sie zu und schloss sie in seine Arme. Eng umschlungen standen die beiden am Fenster und sahen schweigend hinaus. Solana spürte, wie sie ruhiger wurde und ihre Angst schwand. Alwin gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Er hob ihr Gesicht ein Stückchen an und sah ihr in die Augen.
»Keine Angst, dir wird nichts geschehen, dafür werde ich schon sorgen und mein Vater wird mir helfen. Außerdem wirst du bei uns bleiben, denn ich kann ohne dich nicht mehr leben.«
Langsam näherten sich seine Lippen den ihren und forderten einen Kuss. Solana spürte, wie er ihren Mund langsam öffnete und sie dann leidenschaftlich küsste. Vorsichtig hob Alwin Solana hoch und trug sie zum Bett, wo er sie sanft ablegte.
Er legte sich zu ihr, beugte sich über sie und küsste sie leidenschaftlich. Solana schwebte im Himmel der Glückseligkeit, während sie seine Küsse berauscht erwiderte.
»Solana kommst du bitte mal runter!«, holte sie da abrupt Gors Ruf in die Gegenwart zurück. Hastig befreite sie sich aus Alwins Armen und sprang förmlich aus dem Bett. Schnell fuhr sie sich mit den Fingern durch das Haar und zupfte ihr Shirt in Form, dann verließ sie das Zimmer.
Alwin folgte ihr mit Abstand. Ihr Vater saß am Tisch, aber als er sie eintreten sah, stand er auf und kam auf sie zu.
»Solana, ich habe entschieden, dass du hier bei Gor bleiben darfst! Aber eines sage ich dir: Lass dich nie von einem Wächter erwischen, denn sonst musst du sterben! Der Einzige, der dir nichts tun wird, ist Mos, denn er liebt dich wie ein Vater. Nur ihm kannst du vertrauen, hast du mich verstanden?«
»Ja, Vater.« Sota drückte seine Tochter kurz an sich, ging zu seinem Bruder und Alwin und reichte beiden die Hand zum Abschied. Er warf Solana noch einen längeren Blick zu und verließ dann das Haus.
Solana lief ihm ein Stück nach.
»Grüß meine Mutter!«, bat sie ihn, doch er steuerte, ohne sich umzudrehen auf die Scheune zu und kam nach kurzer Zeit mit zwei vollgepackten Säcken wieder heraus. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Hof. Solana sah ihm lange nach, auch noch, als er längst im Wald verschwunden war. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie konnte gerade noch ein tiefes Schluchzen unterdrücken. Da hörte sie die dunkle warme Stimme von Gor hinter sich.
»Du brauchst nicht weinen, er wird jetzt öfter kommen, damit er dich sehen kann.«
»Wirklich?«
»Ja, das hat er mir gesagt. Und auch, dass er es deiner Mutter schonend beibringen wird. Er möchte nur den richtigen Zeitpunkt abwarten«, sagte Gor. Jetzt huschte über Solanas Gesicht wieder ein kleines Lächeln.
»Vielleicht bringt er Mutter einmal mit?«
»Wer weiß? Jetzt komm, lass uns etwas essen.« Als sie in die Küche kamen, stand Alwin schon am Herd und briet Spiegeleier.
»Setzt euch, sie sind gleich fertig …
*6*
Als Sota das Schlafgemach betrat, lag Mata im Bett und hatte ihr Gesicht in den Kissen vergraben. Leise zog er sich aus und legte sich neben seine Frau. Seine Gedanken waren bei Solana, noch nie hatte er sie mit so roten Wangen gesehen. Er fand, dass seine Tochter sehr gut aussah. Sota dachte an Matas blasses Gesicht. Sicherlich würden auch ihr rote Wangen gut stehen.
Mata drehte sich um, öffnete ihre Augen und lächelte ihn an. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie an ihr Herz, dann schlief sie wieder ein. Auch Sota fiel bald in tiefen Schlummer mit den Gedanken bei Solana.
Am nächsten Morgen klagte Mata direkt, nachdem sie aufgestanden war, über Übelkeit. Sota wurde sofort unruhig, seine Frau war schließlich die Einzige, die von seiner Familie im Berg noch übrig war.
»Hast du etwas Schlechtes gegessen?«, fragte er besorgt.
Mata kam zurück und kniete sich neben Sota, der noch im Bett lag. Sie sah ihn lächelnd an und dachte aber insgeheim, dass er sehr blass und müde wirkte.
»Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Mein Liebster, ich muss dir etwas sagen: Wir bekommen ein Kind.«
Sotas Augen begannen sofort zu leuchten und er zog sie zu sich in die Kissen und drückte sie fest an sich. Dann küsste er sie leidenschaftlich in voller Liebe.
»Es ist wunderbar, so etwas Schönes zu hören. Meine geliebte Mata bist du stark genug, um ein Geheimnis für dich zu behalten?«
»Warum fragst du mich das, natürlich bin ich stark genug!«, versicherte sie.
»Mata …, wirst du mich, solange ich lebe, nie verlassen und immer bei mir bleiben?« Zweifelnd sah sie ihn an.
»Was ist das für eine Frage? Du weißt doch, dass ich dich