Otto Pfändler 1889-1966. Martin Renold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Renold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738099089
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Partei.“

      „Vielleicht gehe ich später einmal nach Zürich oder besser noch nach St. Gallen, da bin ich dann näher bei meinen Eltern“, sagte Otto. „Dort werde ich sicher der Partei und der Gewerkschaft beitreten.“

      „Hast du auch Geschwister?“, fragte Berti.

      „Ja, einen älteren Bruder und einen Bruder und eine Schwester, die jünger sind als ich.“

      „Ich habe leider keine Geschwister, und meine Eltern wohnen in Bözberg“, ließ Berti seinen Freund wissen.

      Otto sagte nichts mehr. Nach einer Weile unterbrach Berti das Schweigen: „Du kommst doch am Samstag mit nach Schinznach. Wir müssen aber früh gehen. Es ist ein Dorffest, das schon am Morgen beginnt.“

      Ja, er komme gerne mit, sagte Otto. Vielleicht würde ja der Schriiner Walti mit seiner Schwester auch wieder dabei sein.

      Ja, den Walti trafen sie, als sie sich am Samstagnachmittag zwischen den vielen Leuten hindurchzwängten, die von der einen Seite zur andern über die enge von den Verkaufsständen gebildete Gasse wechselten, und da und dort etwas kauften oder auch nur gafften. Es roch nach frischem Brot und geräuchertem Fleisch, da standen Schuhe zum Kauf, dort hingen Kleider oder Schirme und Handtaschen für die Frauen. Otto hatte schon lange herumgespäht. Walti und Valerie wären doch leicht zu erkennen. Ihre Köpfe würden über alle anderen hinausragen.

      Da stolperte Otto fast über ein Bein. Als er hinschaute, sah er, dass das Bein dem Schriiner Walti gehörte. Der stand gebückt über der Auslage an einem Stand und hatte sein linkes Bein zu weit in die Gasse hineingestreckt, als er mit der rechten Hand nach einem Gegenstand auf einem höheren, hinteren Brett griff. Fast wäre er, durch den Anrempler erschreckt, über die Auslage des Marktfahrers gefallen.

      Walti nahm das Scharnier, das er gerade prüfen wollte, in die andere Hand und erhob sich, ehe er den Arm ausstreckte und zuerst Berti und dann Otto, die Hand reichte.

      „Kommst du am Abend auch noch in den ‚Bären‘?“, fragte Otto. Nach Valerie zu fragen, wagte er nicht.

      „Nein, ich muss hier nur noch zu einem Kunden und geh dann nach Hause“, antwortete Walti.

      Berti drängte weiter, als der Verkäufer Walti im Auge behielt, der immer noch das Scharnier in der Hand hielt. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er einem hätte nachlaufen müssen, der mit einem seiner Artikel gedankenlos davongegangen war. Nachdem sich Walti auch von Otto verabschiedet hatte, drehte er sich wieder um und legte das Scharnier zurück.

      „Warum heißen eigentlich hier so viele Wirtschaften ‚Bären‘?“, fragte Otto, als sie sich dem behäbigen Landgasthof näherten. „Ich höre euch immer wieder von einem ‚Bären‘ reden, und wenn ich meine, es sei der von Birr, dann ist es immer wieder ein anderer.“

      Berti erklärte, das komme davon, dass dieser Teil des Kantons Aargau früher zu Bern gehört habe, das im Wappen einen Bären trägt. Auf der andern Seite des Aargaus, gegen den Rhein hinab, würden die Wirtschaften ‚Adler‘ heißen, weil jener Teil des Aargaus früher habsburgisch gewesen sei.

      „Du hast vielleicht auch schon einmal die Habsburg gesehen, das Stammhaus der Habsburger in der Nähe von Brugg.“

      Otto nickte nur. Er hatte die Habsburg noch nie gesehen, aber er hatte in der Sekundarschule im Geografie- und Geschichtsunterricht davon gehört. Und im Schulbuch hatte er sogar eine Zeichnung davon gesehen. Er erinnerte sich noch gut, wie sie aussah. Denn er hatte sich für diese beiden Schulfächer interessiert.

      Beide bestellten sich im Saal je eine Flasche dunkles Bier. Es gab zwar auch helles. Aber kaum jemand trank es. Auch Otto hatte es noch nie getrunken. Das dunkle schmeckte ihm, und er hatte sich daran gewöhnt.

      „Der Walti geht offenbar nicht so oft zum Tanz“, sagte Otto, während er den Bügelverschluss der Flasche öffnete und etwas weißer Schaum mit einem Zischen heraustrat.

      „Du meinst wegen der Valerie“, sagte Berti. „Glaubst du, ich hätte nicht gesehen, dass sie dir gefällt. Du würdest noch gut zu ihr passen. Die ist sicher noch frei. Mit ihrer Größe wird sie es schwer haben, einen Mann zu finden.“

      „Du kennst sie aber nicht näher?“, fragte nun Otto, da er sah, dass er sein Geheimnis nicht bewahren konnte.

      „Eigentlich nicht“, erwiderte Berti. „Ich weiß nur, dass sie noch Geschwister hat, ein paar Brüder und Schwestern. Sie scheint mir eine stolze Frau zu sein.“

      „Das sieht vielleicht nur so aus, weil sie so schlank und groß ist“, meinte Otto.

      Als die Musik dann endlich aufspielte, mochte Otto gar nicht recht tanzen. Keine war wie Valerie. Die einen waren zu mollig, die meisten zu klein für ihn. Er musste immer wieder an Valerie denken, wie leicht es gewesen war mit ihr, wenn auch ein wenig ungewohnt, da sie doch größer war als er.

      Zum Glück gab es auch im „Sternen“ in Brunegg immer wieder Tanzveranstaltungen. Otto unterließ keine. Und tatsächlich, schon bei der nächsten kam Valerie, begleitet von ihrem großen Bruder. Sie setzten sich zu Otto und Berti an den Tisch. Es gab ein leises Getuschel. Einige hatten letztes Mal gehört, dass Otto von Deutschland gekommen war. Unter den Bruneggern wurde bald nur noch von dem „Deutschen“ gesprochen. Walti verabschiedete sich schon bald.

      „Pass auf meine Schwester auf und bring sie nicht zu spät nach Hause“, sagte er zu Otto, als er ging. Eine Stunde später meinte Valerie, sie müsse nun wohl auch gehen. Otto war gerne bereit, sie nach Hause zu begleiten.

      „Du kannst ja nachher noch einmal kommen“, flüsterte Berti, als Otto sich von ihm verabschiedete.

      Otto sagte weder Ja noch Nein.

      Otto hielt Valerie seinen Arm hin, und sie hakte ein.

      Als Otto auf der Straße weiter bis zur Kreuzung gehen wollte, zog Valerie ihn nach links.

      „Es gibt da eine Abkürzung“, sagte sie.

      Eigentlich wäre ihm der weitere Weg lieber gewesen, aber er ließ sich widerstandslos über den kleinen Wiesenweg führen, der bald hinter einem Gartenzaun enger wurde. Er legte seinen Arm um Valeries schlanke Taille. Nach wenigen Schritten blieben sie stehen und wandten sich einander zu. Es war zwar recht finster. Es hatte weit und breit keine Laterne. Aber jedes sah im andern das Leuchten der Augen, das von innen kam. Langsam näherten sich diese Augen einander, aber auch die Lippen. Und es kam zum ersten scheuen Kuss.

      Als Otto spürte, dass sein Blut zu wallen begann, löste er sich aus der Umarmung und nahm Valerie bei der Hand. Die Finger fest ineinander verschlossen, gingen sie weiter und kamen schon bald neben dem Wasch- und Backhäuschen vorbei auf den Hof. Unter der Terrasse im Laubengang gaben sie sich noch einmal einen Kuss, dann trat Valerie unter die Tür, und Otto lauschte ihr nach, wie sie die alte knarrende Treppe hinaufstieg.

      Beim „Sternen“ hörte Otto die Musik, aber er hatte keine Lust, noch einmal hineinzugehen. Er wollte sich seine Stimmung, seine glücklichen Gefühle nicht durch die laute Musik und andere Tänzerinnen verderben lassen.

      Valerie tanzte gerne mit Otto. Er war ein stattlicher junger Mann, immer gut gekleidet und höflich. Manchmal hörten die anderen Paare auf zu tanzen und schauten nur noch den beiden zu. Sie tanzten geschmeidig. Es war als wären sie zusammengewachsen. Sie fielen nie aus dem Takt. Und beim Walzer tanzten sie sogar linksherum. Ihre Gesichter strahlten. Man sah, dass sie zusammengehörten, verliebt waren. Sie glichen einander sogar. Auch Valerie hatte eine schmale Nase, aber ein eher rundliches Gesicht und straff nach hinten gekämmtes Haar, das sie zu einem Zopf geflochten und aufgesteckt trug. Manches der Mädchen beneidete Valerie. Nicht nur wegen ihrer auffallenden Schönheit. Sie hätten auch gerne mit dem „Deutschen“ getanzt. Aber er tanzte nur noch mit Valerie.

      Es war Valerie, die schließlich Otto dazu aufforderte, doch auch ab und zu mit einer anderen zu tanzen.

      Im Dorf war schon Eifersucht und Neid aufgekommen. Valerie hatte von einer ehemaligen Schulkameradin gehört, dass die Burschen im Dorf munkelten, der Deutsche trage eine Pistole