Er wäre so gerne im Boden versunken, aber irgendwie tat sich kein Loch auf, während sämtliche Kameras auf ihn gerichtet waren.
»Um Viktor kämpfen heute die Backfee Tanja, die verführerische Sabrina und die scheue Anna. Aber schauen wir uns erst einmal den Bräutigam an.«
Kurz erzählte eine männliche Stimme aus dem Off etwas über sein Leben, während für die Fernsehzuschauer Fotos von ihm eingeblendet wurden. Er hoffte inständig, dass es keine allzu peinlichen Bilder waren – immerhin hatte Kurschakov sie ausgesucht. Und wo sollte er hinschauen? In die Kameras oder ins Studium, das mit seinen weißen, blauen und goldenen Säulen, den auf Vintage gebürsteten Holztüren und den Rabatten aus künstlichen Blumen auf Brusthöhe unglaublich lächerlich aussah?
»Viktor Sultanov, sechsunddreißig Jahre alt, Witwer. Gründer und Besitzer der Kaviarmanufaktur ›Zar Saltan‹. Seine große Liebe starb vor sechs Jahren und seitdem hat er sich auf keine neue Beziehung eingelassen. In seiner Freizeit spielt er Minigolf und sammelt traditionell bemalte, russische Kochlöffel. Viktor träumt davon, die Welt auf einem Schiff zu umrunden – dafür braucht er allerdings die richtige Partnerin. Er sucht eine freundliche Frau, die nicht an seinen Reichtümern, sondern an ihm als Person interessiert ist.«
Viktor atmete tief durch. Sie hatten Sina erwähnt, als wäre sie etwas Beiläufiges gewesen, etwas Unwichtiges. Aber allein der Gedanke an sie schmerzte auch nach sechs Jahren noch immer.
Nora hielt immer noch seine Hand in ihrer eisernen Umklammerung. »Ich führe durch die Sendung zusammen mit der Heiratsvermittlerin Violetta und der Astrologin Regina!«
Die beiden genannten Damen winkten unter frenetischem Applaus vom Band huldvoll in die Kamera. Violettas rot gefärbte Mähne biss sich furchtbar mit der pinken Dekoration und Regina wirkte wie immer wie eine blonde Eiskönigin.
Sie setzten sich an den runden Tisch und Noras Haifischaugen richteten sich sofort wieder auf ihn.
»Viktor, Sie sind ein erfolgreicher Geschäftsmann und entsprechend reich. Sie besitzen sogar, ungewöhnlich für einen Europäer, einige Immobilien und wohnen darin. Wieso sind Sie noch Single?« Die unausgesprochene Frage dahinter, was wohl mit ihm nicht stimmte.
Viktor seufzte. »Ich hatte meine Sina, wir haben das Ganze mit dem Kaviar zusammen aufgebaut. Als sie gestorben ist, hatte ich viele Angebote, aber das waren alles junge Dinger, die nur mein Geld wollten. Ich war nicht an ihnen interessiert und sie auch nicht wirklich an mir.«
»Und jetzt sind Sie hier und drei junge Dinger werden um Sie kämpfen.« Nora beäugte ihre bemalten Fingernägel und lächelte süffisant.
»Ich hatte nicht in meinem Portfolio angegeben, dass sie jung sein sollen. Das liegt daher nicht an mir, sondern an den Verantwortlichen dieser Sendung.« Viktor lächelte zurück. Das Spiel konnte man auch zu zweit spielen.
»Immerhin haben Sie es nicht mit Onlinedating versucht. Wissen Sie, das Internet hat mir in letzter Zeit so sehr geschadet, diese virtuellen Welten machen alles kaputt und niemand weiß, wer der andere wirklich ist. Da gab es einmal diese amüsante Geschichte in meiner Vergangenheit, als ich …«
»Nora, das möchte kein Mensch hören!«, quäkte Violetta dazwischen und fasste Viktor genauer ins Auge.
»Wir können gerne nach der Sendung über Ihre schlechten Erfahrungen mit dem Internet sprechen, aber ich würde wirklich gerne die drei Frauen kennenlernen.«
Noras Lächeln erstarrte zu einer Maske. »Natürlich. Sehen wir uns die Bräute genauer an.«
Viktor nickte. Vielleicht würde die Sendung doch kein völliges Desaster für ihn werden.
8. Anna
Sie saß nervös in dem kleinen Zimmer für die Kandidaten und kaute auf ihrer Unterlippe herum.
Die Unterlagen, die man ihr in die Hand gedrückt hatte, besagten eindeutig, dass sie in die Kamera schauen und dabei reden sollte, irgendwas davon würde dann auf alle Fälle bei der Fernsehsendung ausgestrahlt werden, da konnte sie nicht stumm mit den Augen am viel zu kleinen Bildschirm kleben. Und zwar am Besten sofort, sobald das rote Lämpchen ihr gegenüber blinkte.
Trotzdem brachte sie kein Wort heraus, nur undeutliches Gestammel.
Weil er dort saß.
Der sie so merkwürdig angesehen hatte und dabei stockbesoffen gewesen sein musste.
Alles in Anna schrie danach, ihm zu misstrauen. Sie hatte ihn bei vermutlich recht halbseidenen Geschäften beobachtet. Und dazu hatte er getrunken. Reichen Männern, Businesstypen, sollte man sowieso nicht trauen. Sie alle suchten angeblich nach der großen Liebe und heirateten dann Dummchen mit künstlichen Titten, die sich von ihnen freiwillig aushalten ließen.
Immerhin war er nicht so viel älter als sie, zehn Jahre waren auch in ihrer Vorstellung noch im Rahmen des Vernünftigen. Sie hatte sich den Altersunterschied größer vorgestellt.
Anna zwang sich, durchzuatmen und sich zurückzulehnen. Es war nur eine Fernsehsendung. Nichts Verbindliches.
Viktors Geschichte war traurig. Natürlich. Aber im Prinzip war jede Geschichte bei »Liebling, lass uns heiraten« traurig und nicht immer wahr. Sie musste standhaft bleiben, auch wenn er aufrichtig bedrückt wirkte, als die Moderatorin seine tote Ehefrau erwähnt hatte.
Tanja war die Erste, die das Brautzimmer verlassen und sich ins Rennen begeben durfte. Sie erzählte irgendeine ihrer lustigeren Bettgeschichten und durfte sich von Moderatorin Nora anhören, dass sie im Grunde genommen eine Schlampe war. Das war nichts Neues.
Für Nora waren alle Mädchen entweder Schlampen, hatten etwas zu verbergen oder waren verklemmt. Vermutlich war es der Job der Moderatorin, Kandidatinnen niederzumachen.
Tanja schien es jedenfalls nicht zu stören.
Anna fragte sich, wie viel davon am Ende in der Sendung landen würde. Sie saßen hier den ganzen Tag, aber wenn sie es richtig im Kopf hatte, ging die Sendung nicht mal eine ganze Stunde.
»Was erwartest du dir von einer Beziehung, Tanja?« Nora lächelte süffisant.
Tanja überlegte kurz und runzelte dabei die Stirn. »Ich möchte in erster Linie Hausfrau sein und meinen Mann bekochen. Und in zweiter Linie möchte ich eine Starbäckerin auf Youtube werden, viele teure Küchengeräte gesponsert bekommen und mit meinen Rezepten die ganze Welt beglücken.«
Das Geräusch, das Nora von sich gab, klang verdächtig nach einem abfälligen Kichern, das sie jedoch mit einem Räuspern kaschierte. »Liebe Tanja, ich glaube, wir haben genug gehört. Zeig uns doch noch deine Überraschung.« Sie lächelte süßlich.
Die besagte Überraschung war natürlich typisch Tanja: Zusammen mit Viktor verzierte sie einen großen Kuchen mit buntem Zuckerguss aus dem Spritzbeutel, Streuseln und Schokoblümchen aus dem Supermarkt.
Sie hielten ihn fünf Sekunden lang stolz in die Kamera, ehe Tanja ihn fachkundig zerteilte und die Stücke auf Porzellanteller legte. Drei für die Moderatorinnen, einen für Viktor und natürlich einen für sich.
Anna seufzte. Kuchen. Wie sollte sie gegen Kuchen ankommen? Tanja gehörte zu den russischen Frauen, die noch genauso häuslich waren wie ihre Mütter und gerne stundenlang in der Küche oder am Backofen werkelten. Annas Gebiet war das nicht. Und wieso bekam sie eigentlich kein Stück ab?
Tanja grinste selbstgefällig, stolzierte lächelnd und winkend an sämtlichen Kameras vorbei und verschwand aus Annas Blickfeld.
Zeit für Nora, Violetta und Regina, über Tanjas Kompatibilität mit Viktor zu fachsimpeln. Laut Vertrag war das gleichzeitig der Moment, in dem auch Anna mit der Kamera sprechen sollte, es würde später übereinander geschnitten werden.
»Also … Tanja ist meine Studienkollegin und der Kuchen sah wirklich lecker aus.« Sie kam sich ziemlich dämlich dabei vor, aber sie wollte nicht über ihre