Ungewöhnlich. Normalerweise wollten so reiche Schnösel immer eine gebildete Blondine mit großem Busen und zwei Köpfe größer als sie selbst. Und am besten gerade frisch aus der Schule, alles über 25 galt bereits als zu alt.
Der hier wollte die große Liebe finden.
Ob Nora ihm das glauben sollte?
Sie las sich seine Lebensgeschichte durch und setzte den Vermerk »extra gemeine Fragen stellen« unter ihre Notizen. Erfahrungsgemäß hatten alle Kandidaten, die sowas behaupteten, in Wahrheit etwas zu verbergen und den Rechtschreibfehlern – und der krakeligen Schrift – zufolge war dieser hier beim Ausfüllen des Bogens nicht mehr ganz nüchtern gewesen. Das konnte eine lustige Sendung werden – zumindest für sie.
Noras Magen knurrte und sie stellte fest, dass die große Pralinenschachtel neben ihr auch schon leer war. Dabei hatte sie die heute erst vom Kameramann geschenkt bekommen. Hoffentlich bekamen weder ihr Ehemann noch ihr Diätberater mit, dass sie sich nicht ganz so strikt an den Ernährungsplan hielt, wie es von einer Fernsehmoderatorin ihres Ranges und ihrer Bedeutung erwartet wurde.
Wenn sie die Schachtel unauffällig verschwinden ließ, konnte sie außerdem auf gute Führung plädieren und sich so von ihrem Mann einen Kuchen erschleichen.
Allein beim Gedanken an das süße Gebäck knurrte ihr Magen noch heftiger, – aber sie konnte die Arbeit erst als beendet betrachten, wenn sie alle vier Anmeldebögen durchgearbeitet hatte.
Und anders als beim männliche Kandidaten waren die Bögen der drei Mädchen detailliert ausgefüllt. Für ihren Geschmack fast schon zu detailliert.
Nora seufzte. Immerhin war der Job gut bezahlt und brachte ihr Sendezeit ein. Auch wenn sie ihre zweite Fernsehshow vermisste. Dort hatte es wenigstens Kuchen gegeben.
6. Anna
»Alle am gleichen Tag?« Auch der Inhalt des zweiten knallpinken Briefumschlags war nicht gerade ermutigend für Anna. Im Gegenteil. Vorsichtig breitete sie die zartrosa Bögen vor ihren Freundinnen aus. Nachdem sie noch so tun konnte, als hätte sie die Bestätigung mit dem voraussichtlichen Sendezeitraum nie erhalten, konnte sie einen Brief mit dem konkreten Drehtermin und einem beigelegten Passierschein für ein Frankfurter Fernsehstudio schlecht ignorieren.
»Deine Einladung ist also auch ankommen?« Sabrina schaute ihr über die Schulter und versuchte, mitzulesen.
»Du könntest deine Mutter als Unterstützung auswählen. Oder eine andere Freundin von dir. Oder den Paul aus dem Übersetzungskurs …« Tanja biss sich auf die Unterlippe.
»Nein, ich … ich will meine Mutter da nicht mit reinziehen. Sie weiß noch nichts davon und ich habe keine Ahnung, wie ich ihr das erklären soll, wenn sie mich im Fernsehen sieht. Vielleicht mache ich mit ihr an dem Tag einen Ausflug, dann muss sie nie etwas davon erfahren.«
Konnte sie nicht eventuell doch noch einen Rückzieher machen? Wie schmerzhaft war es eigentlich, sich selbst ein Bein zu brechen? Und wie lange dauerte es, bis das wieder verheilt war?
»Dann müssen wir eben alle drei ohne Unterstützung rein. Wir schaffen das schon.« Sabrina lächelte aufmunternd.
»Wieso fragst eigentlich DU nicht einfach den Paul? Wenn Anna ihn schon nicht will?« Tanja knuffte Sabrina in die Seite.
»Und was, wenn Paul nicht möchte? Er will ganz sicher nicht als euer schwuler vermeintlich bester Freund im russischen Fernsehen herumgezeigt werden. Das bringt nur Ärger. Ihr wisst, wie Russland in der Hinsicht drauf ist. Und wir wissen nicht, ob er sich vor seiner Familie schon geoutet hat. Sowas tut man einfach nicht.« Anna verschränkte die Arme. »Also ich ziehe das alleine durch. Ihr könnt ja schauen, was ihr zwei macht.« Sie schnappte sich ihre Unterlagen und stand auf.
»Anna, warte.« Tanja erhob sich ebenfalls und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich weiß, dass du gestresst bist. Und dass du eigentlich da nicht hin wolltest. Aber kannst du uns zuliebe mitspielen? Und uns die Sache nicht verderben? Bitte.«
Anna seufzte. »Na gut. Aber ich kann euch nicht dabei helfen, Unterstützer herauszusuchen. Das schafft ihr hoffentlich ohne mich, ich muss mich noch umziehen und duschen. Meine Schicht im Restaurant, ihr wisst schon.«
»Ich muss auch los.« Tanja seufzte. »Die Böden im Aldi schrubben sich nicht von alleine.«
»Blöde Böden.« Anna grinste wieder. »Dann können wir noch gemeinsam bis zur Haltestelle gehen.«
Sie verabschiedeten sich hastig von Sabrina.
Tanja hakte sich bei ihr unter und sie schritten flott zur Bushaltestelle bei der Universität. »Was bereitest du eigentlich für eine Überraschung vor? Ich glaube, ich mache Bauchtanz. In einer Statistik zur Sendung hat die Moderatorin mal gesagt, dass damit 80% der Bewerberinnen Erfolg hatten und ausgewählt wurden.«
Anna erstarrte. »Das hatte ich völlig vergessen.«
»Du hast nichts vorbereitet?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann musst du dir was einfallen lassen. Was kannst du denn besonders gut?«
»Ja, wenn ich das so genau wüsste.« Sie konnte weder besonders gut backen, noch selbst Kleidung nähen. Sie machte auch keinen besonderen Sport und war nicht wirklich künstlerisch tätig.
Was sollte sie tun? Es musste schon ein kleines Wunder geschehen, damit ihr rechtzeitig etwas einfiel. Oder eine gute Fee musste nachhelfen.
7. Viktor
Er saß in der Maske und spielte mit dem Gedanken, sich schon wieder zu betrinken. Das Einzige, was ihn davon abhielt, war der Gedanke daran, dass ihn die ganze russischsprachige Welt sehen würde.
Seine Geschäftspartner in Moskau, die in Berlin und Amsterdam. Die Familie seiner Sina. Ein Haufen ehemaliger Studienkollegen, Freunde, Verwandte.
Viktor konnte sich nicht die Blöße geben, vor allen diesen Menschen einfach abzustürzen. Das wäre eine zu leichte Flucht und wenn er am Ende erwachte, hatte er mehr verloren, als ein kurzer Augenblick des bitteren Triumphes wettmachen könnte.
Das war es nicht wert. Und außerdem würde die Maskenbildnerin ihn skalpieren, wenn er ihre Arbeit ruinierte. Auch wenn er keine Ahnung hatte, wieso sie ihn mit so vielen Pinseln und Pulvern traktieren musste, aber sie blickte schon jedes Mal böse, wenn er sich nicht an ihre Anweisungen hielt, und so ungern er es zugab – sie schüchterte ihn damit ein.
»Bist du bereit?« Kurschakov saß neben ihm und ließ die Assistentinnen schön um seinen blonden Schnurrbart herumpudern.
»Nein.« Viktor verschränkte die Arme.
»Komm schon, du musst nur da raus und charmant sein. Wie sagte mein Coach immer so schön? Sei einfach du selbst.«
»Ich mag mich selbst aber gerade nicht besonders.« Viktor hörte seine eigenen Worte und stellte fest, dass er wie ein trotziger Schuljunge klang, nicht wie ein millionenschwerer Firmenchef. Lächerlich.
»Musst du ja auch nicht. Hauptsache, die drei Mädels mögen dich. Und vielleicht fällt ja eine für mich ab, wer weiß.« Kurschakov grinste breit.
»Du bist verheiratet!« Viktor schlug mit der Faust auf den Schminktisch.
»Das musst du aber niemandem auf die Nase binden.«
»Und wenn deine Nadja in ein paar Wochen die Sendung sieht?«
»Idiot.« Kurschakov schmollte.
Im nächsten Moment wurde Viktor aus dem Sessel gescheucht. Die Moderatorin Nora trat neben ihn, nahm mit ihren Gelkrallen besitzergreifend