Die Engel am Teufelssee. Marie Louise Lennart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Lennart
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738071825
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einem kleinen Fernseher. Die Fernbedienung lag auf dem Gerät.

      „Puh“, sagte Karo, „das sieht wirklich nicht lustig aus.“

      Jans Blick fiel auf das Bett. Eine dunkelblaue Tagesdecke ohne Muster lag ordentlich darüber. Sicher hatte sich Jana Schäfer auf das Bett gelegt, als sie die Tabletten intus hatte, dachte er. Das letzte, was sie im Leben sah, war die Decke über ihr. Was sie wohl gehört haben mag, überlegte er weiter. Vielleicht fröhliches Kindergeschrei, oder einen Streit im Hof. Aber er durfte jetzt nicht rührselig werden. Die Frage war, was hatte der Täter, der Leichenräuber, hier an Spuren hinterlassen.

      „Nun, was sagt uns die Wohnung des Opfers“, fragte Jan in den Raum hinein.

      Karo stand am Fenster und blickte hinaus.

      „Nicht mal einen Balkon hat die Wohnung“, sagte sie und drehte sich zu Jan um.

      „Nun?“

      Jan stand mitten im Raum und schloss die Augen.

      „Es ist sehr ordentlich hier“, begann er, „nicht nur, weil es keine Bücher oder CDs oder was auch immer zu geben scheint. Selbst das Bett ist gemacht. Die Frage ist, wie der Täter, derjenige, der die Leiche mitgenommen hat, in die bestehende Ordnung oder Unordnung eingegriffen hat.“

      Karo lehnte sich an die Fensterbank.

      „Ja“, sagte sie, „hier liegt nichts herum, kein Buch, keine Zeitung, das ist eine Wohnung ohne persönliche Note. Keine Bilder von Freunden oder den Eltern, keine Ecke, in der Postkarten stecken, nichts dergleichen.“

      Sie ging noch einmal in die Küche und öffnete alle Schränke. Geschirr und Besteck und Töpfe und Pfannen waren vorhanden, auch Geschirrtücher, Schwämme, Waschpulver, Weichspüler und so weiter, doch es gab nichts Persönliches, selbstgehäkelte Topflappen oder so etwas. Im Schrank Kleider und Shirts, ein Wintermantel, in den Schubladen Unterwäsche, neben dem Schrank ein kleines Schuhregal mit drei Paar billigen Schuhen, einem schwarzen und zwei braunen. Alles sehr ordentlich. Auch die Fenster schienen geputzt zu sein, doch keine einzige Zimmerpflanze, ja überhaupt kein Leben in der Wohnung, nicht mal eine Fliege.

      Jan stand noch immer mitten im Raum. Er fror ein wenig. Nach der Hitze draußen und im Auto war es hier ziemlich kühl. Je eher er sich alles eingeprägt hatte, desto eher könnten sie hier raus.

      „Karo“, sagte er, „wir müssen herausfinden, ob Jana Schäfer das alles getan hat. Vielleicht wollte sie die Wohnung so hinterlassen. Das wäre eine Botschaft, ohne Zweifel.“

      „Der Welt nichts zu hinterlassen, weil auch die Welt ihr nichts gegeben hat?“, fragte Karo.

      „Ja, so ungefähr, aber das glaube ich eigentlich nicht. Ich glaube, der Täter hat das so hergerichtet, so arrangiert. Es geht um Sauberkeit. Um Reinigung. War die Leiche sehr sauber?“

      „Der Bericht sagt, sie sei aufwändig gewaschen worden. Aber wer weiß, vielleicht hat sie sich selbst sozusagen sauber gemacht, bevor sie die Tabletten nahm!“

      „Das müssen wir herausbekommen.“

      Jan stand irgendwie plötzlich neben sich. Er sah sich selbst, wie er hier den Ermittler spielte, er, Jan Nordhäuser, Diplompsychologe aus Freiburg, nun Mitarbeiter der Berliner Hauptkommissarin Karo Bartels, Team Forensik XII, das zur Zeit nur aus ihr und ihm bestand. Aber es war real, es war seine Rettung nach der fürchterlichen Zeit, die auf die Scheidung von Marie folgte, nicht nur wegen der ganzen Selbstvorwürfe. Er hatte feststellen müssen, schon vor der eigentlichen Scheidung, dass er keine eigenen Freunde hatte, trotz einer langen Liste mit Telefonnummern. Er schweifte ab. Karo hatte ihn irgendetwas gefragt.

      „Bitte?“

      „Ich sagte, es könnte also doch Mord gewesen sein? Das dürfen wir nicht ausschließen.“

      „Wieso?“

      „Weil das nach Planung aussieht, über die Planung des Suizids hinaus. Vielleicht hat der Täter den Wunsch des Opfers zu sterben ausgenutzt, ihr also die Tabletten besorgt und sie ihr vielleicht sogar verabreicht. Dass die Spurensicherung keine Spuren fand, kann ja sowohl das Eine wie das Andere bedeuten. Sagten Sie nicht, auch die Art der Aufbahrung im Wald könnte vom Opfer gewünscht worden sein? Was also, wenn er ihr das versprochen hat, obwohl er selbst dies am meisten wollte?“

      „Kann sein, ja“, sagte Jan, sich die Hände reibend. „Können wir mal hier raus, ich hol mir noch ’ne Lungenentzündung.

      Karo schloss die Tür ab und entfernte die Reste der Versiegelung. Dann zückte sie ihr Smartphone, wischte sanft darüber und rief eine Streife wegen der neuerlichen Versiegelung der Wohnung, man warte unten vorm Haus.

      „Wer also war Jana Schäfer?“, sagte sie und gab Jan Feuer. Sie hatten die Straßenseite gewechselt, um sich in der Sonne zu wärmen. „Hat sie sich aus freien Stücken umgebracht, oder ist sie ermordet worden? Wollte sie sich ermorden lassen. Suizid by Stranger, sozusagen. Oder by friend?“

      „Niemand bringt sich aus freien Stücken um“, sagte Jan, immer noch fröstelnd, „Tatsache aber ist, dass da ein Jemand Sinn hat für Sauberkeit und Reinheit, für Klarheit, wenn man so will. Deswegen auch keine Leichenschändung.“

      „Das nehmen wir wenigstens an. Aber die Leiche ist sehr sauber, das dürfen wir nicht vergessen! Womöglich ist er, wenn es sich denn um einen Mann handelt, doch post mortem eingedrungen und hat sich befriedigt.“

      „Denkbar, sicher. Er hat womöglich ein Kondom und Gleitmittel benutzt.“

      Es schüttelte ihn. Wäre er vielleicht doch besser bei seinen frustrierten, verzweifelten Hausfrauen in Freiburg geblieben? Die waren zwar auch nicht sehr lebendig, aber wenigstens nicht tot. Andererseits hatte so eine operative Fallanalyse ohne Zweifel einen großen Reiz. Neben dem letztlich zu erstellenden Profil des Täters musste ja auch meist das des Opfers erstellt werden, was allerdings nur auf den ersten Blick einfacher war. Aber das, hatte er mal in einem Artikel gelesen, gehört immerhin in gewissem Maße zum postmortalen Persönlichkeitsrecht, denn wer ermordet werde, so hatte das da gestanden, der sei in größtmöglicher Weise in seiner Menschenwürde verletzt worden, so seltsam sich das anhören möge.

      „Sind eigentlich alle ehemaligen Arbeitskollegen befragt worden, und alle Nachbarn?“, überlegte Jan laut.

      „Routinemäßig, einige, allerdings ohne Druck. Hat Stubenrauch ja erzählt, steht auch in den Unterlagen. Einmal hinfahren, klingeln, Frage, Antwort, fertig. Die Akte ist dünn wie eine Sterbeurkunde. Nicht ausgeschlossen natürlich, dass ein Kollege von ihr das getan hat, oder ein Nachbar. Ah, da sind sie ja“, unterbrach sich Karo und schnippte ihre Kippe in den Rinnstein, „wie gut, dass wir trotz all der Neuerungen immer noch den kompletten Polizeiapparat zur Verfügung haben. Ich klär das mal eben.“

      Er sah Karo hinterher, wie sie über die Straße lief und die beiden missmutig dreinblickenden Polizeibeamten begrüßte, eine junge Frau und ein sicher kaum älterer Kollege mit Schnäuzer. Sie verschwand mit ihnen im Haus. Nach ein paar Minuten stiegen die Beiden freundlich lächelnd in ihren Streifenwagen. Karo reckte das Kinn schräg nach oben und zückte den Wagenschlüssel. „Kommen Sie schon“, rief sie, „ich habe Hunger.“

      Das Café in der Wiener Straße platzte aus allen Nähten. Überall schnatterte die Jugend in allen möglichen Sprachen, Babys schrien, Geschirr klapperte und die Espressomaschine machte einen Höllenlärm. Karo eroberte aber sofort einen eben frei werdenden Tisch.

      „Ich nehm immer das vegetarische Tagesgericht“, sagte sie. „Nehme ich dann auch“, sagte Jan der Einfachheit halber. Ohne ihn zu fragen bestellte sie dazu Leitungswasser.

      „Ich geh gern in Cafés, die ich lange kenne“, sagte sie, „ich hab mal in der Wiener gewohnt, ganz hinten, am toten Ende.“

      Dann kam auch schon der Gemüsestrudel und das Wasser. Sie aßen schweigend. „Hören Sie, Jan“, sagte Karo plötzlich ohne jeden Zusammenhang, „versuchen Sie nicht, mich dazu zu bringen, alles auf einmal zu erzählen, von mir, meine ich, und schon gar nicht am zweiten Tag. Das mache ich nach und nach, so wie ich es für richtig halte. Okay?“

      Er nickte etwas verdutzt. Hatte er Fragen gestellt? Seine Stärke