Auch heute versprach es wieder ein schöner Tag zu werden.
Nachdem sie das Frühstück zusammen im Bett eingenommen hatten, rollten sie sich noch einmal aneinander und versprachen sich ewige Treue – zumindest bis morgen Abend nach dem Waldfest, zu dem sie von Prof. Dr. Anselm Megalein eingeladen waren.
Die Krümel piekten gewaltig, und es blieb ihnen nichts Weiteres übrig, als das Weite zu suchen und sich in die Fluten des Schwimmbades zu stürzen.
Nach dem Schwimmen schlüpfte Fiorenza nur schnell in ein leichtes Leinenkleid, denn es war später geworden als sie geplant hatte um sich mit Rahel, ihrer Freundin, in der Stadt zu treffen. Sie hatten sich bei Rico Cervico verabredet, im derzeit kleinsten Café von Siena, mit gerade einmal drei Tischchen, die eng aneinander gestellt fast den ganzen Raum einnahmen, sodaß man sich zwischen Theke, den Tischchen und den Stühlen, und davon gab es ein paar mehr als Tische, winden musste um herein oder wieder heraus kommen zu können.
„Hallo Rahel“, rief Fio über die Straße, die zu dieser Uhrzeit von reißendem Verkehr gefüllt fast nicht zu überqueren war, um ihr zu winken und anzuzeigen, daß sie schon einen Platz ergattert hatte.
„Springe noch schnell bei Fernato rein“, rief sie wild gestikulierend über den reißenden Fluß der Fahrzeuge hinweg,
„Bin dann gleich bei Dir.“
Fiorenza lachte, denn sie wusste, wenn eine der beiden sich zu Fernato verirrte, dann verschwand man für mindestens eine Stunde vom Fenster der Wirklichkeit um sich mit dem neuesten Mailänder Schick zu behängen, wie Hero sich ausdrückte.
Also bestellte sich Fiorenza gleich einen kleinen Salat und wühlte in Ihrer Handtasche nach ihrem kleinen Büchlein, in dem sie zurzeit verliebt schmökerte, um sich sogleich darin zu vertiefen.
Es dauerte natürlich etwas länger - wie erwartet, aber man verließ Fernato niemals ohne mit einer Tüte mehr nach Hause zu gehen. Nach nur eineinhalb Stunden des Ausprobierens, Ausziehens, Anziehens, Zoppelns an den Klamotten hier und Zoppelns dort hatte man vielleicht auch noch das passende Accessoire zum Fummel gefunden mit dem Frau den nächsten Ball oder das demnächst anstehende Konzert in der Mailänder Scala bestreiten konnte ohne dabei eventuell doch übersehen zu werden.
„Ciao Fio“,
„Ciao Rahel.“
„Schau´ Fio was ich mir gerade gegönnt habe, ist das nicht süß?“ und sie holte ein wirklich bezauberndes „kleines Schwarzes“ aus der Tüte hervor.
„Hatte es in dunkelblau an, konnte mich aber nicht entscheiden, kann es ja umtauschen, na was sagst du?“
„Schön, gefällt mir, kann ich mir gleich für heute Abend ausleihen, sind doch bei Megalein eingeladen, aber ich befürchte für diesen Abend ist es ein wenig zu frivol – was meinst du?“
„Aber wie redest du denn heute daher, sehe ich ganz und gar nicht so Fio, aber ich kenne Megalein, wenn der Dich in so einem Fummel sieht, kann er wieder den ganzen Abend nicht von Dir lassen, aber das kann er ja sowieso nicht.
Wann findet er endlich eine Frau, die es mit ihm aushält?“
„So schlimm ist er doch gar nicht.“
„Schlimm nicht, manchmal vielleicht ein wenig schwierig, aber sonst ein attraktiver Vertreter der holden italienischen Männlichkeit hier in Siena.“
Beide einigten sich auf die weiteren Vorzüge des Gastgebers von heute Abend und verbrachten noch die eine oder andere Stunde bei Cervico.
*
8
Die Sonne war noch nicht untergegangen, in Auckland, und trotzdem war es schon zu dunkel um ohne Licht lesen zu können.
In dem sonst lichtdurchfluteten Raum hatten sich gerade die Lampen eingeschaltet – ein Lichtsensor verrichtete hier seine Arbeit - und auch die Leselampe über dem Lehnstuhl, in dem Agneta Lummersby versunken in einem Roman las, schenkte ihr Licht den lesenden. Wieder einmal war sie später nach Hause gekommen als sie es ursprünglich geplant hatte. Wollte sie doch noch einige Unterlagen zu Hause in aller Ruhe durchgehen, weil sie im Institut wieder einmal nicht dazu gekommen war. Aber daraus wurde nichts. Zu spät war eben zu spät und damit hatte der Roman, den sie zurzeit verschlang, absoluten Vorrang.
Sie hatte es sich bequem eingerichtet und saß mit hochgelegten Beinen zufrieden auf ihrem Lieblingsplatz und versank in ihrem Buch.
Sie wollte eigentlich nie nach Australien – zu weit entfernt von Europa, zu weit entfernt von ihrer geliebten Heimat Norwegen, wo sie die Universität in Oslo besucht hatte nachdem sie wohlbehütet im Trollfjord auf den Lofoten aufgewachsen war.
Ihr Vater Schriftsteller und Ihre Mutter Anthropologin für skandinavische Frühgeschichte hatten sie während ihres Studiums sehr unterstützt; sie hatte es, nachdem sie Oslo verlassen hatte, in Florenz mit Summa cum Lauda abgeschlossen und war dann nach Cambridge berufen worden. Dort lernte sie auch Faun kennen – er bestand schon damals darauf mit keinem seiner Titel angesprochen zu werden. Ein seltsam interessanter Mensch dachte sie seinerzeit und war glücklich sich darin nicht getäuscht zu haben. Sie stellten immer wieder aufs Neue Ihre Seelenverwandtschaft fest und mussten meist keine großen Worte austauschen um sich zu verstehen wenn andere Anwesende noch nach dem roten Faden in ihren Ausführungen suchten. Viele waren der Meinung, daß es zwischen ihnen beiden eine besondere Verbindung gäbe ohne daß sich Fiorenza auch nur ansatzweise um Agneta als Frau Gedanken machen musste. Ihr war bekannt, daß die beiden noch während ihrer Studienzeit ein Verhältnis miteinander gehabt hatten, dies aber längst einer innigen Freundschaft gewichen war, und auch Agneta war seit vielen Jahren glücklich verheiratet. Aber genau diese innere Verbundenheit, dieses Verstehen ohne Worte, das Mitfühlen über Kontinente, schlicht die reine Übertragung der Denkstrukturen bei ganz bestimmten Themen, die nicht immer wissenschaftlich orientiert sein mussten, diese Art der Wahrnehmung hatten die beiden füreinander.
Der Abend war für sie noch lange nicht zu Ende, aber sie nahm sich diese Zeit um Abzuschalten und auf ganz andere Gedanken zu kommen, denn was sie heute im Labor mit ansehen konnte hatte ihr die Sprache verschlagen.
Sie legte ihr Buch zur Seite und ließ noch einmal diesen Tag vor ihrem inneren Auge passieren.
Auch sie hatte nicht in ihren kühnsten Träumen zu hoffen gewagt, daß sie alle der Lösung so nah gewesen waren und von nun an die Ausführung nur noch ein „Kinderspiel“ sein sollte.
Sie alle hatten ohne es zu wissen, seit mindestens zwei Jahren die Lösung immer nur um Millimeter verfehlt, ein in der Physik durchaus gängiger Zustand, aber in diesem Falle letztendlich ein tragischer Glücksfall, denn die Entwicklung für diese Technik der Energiegewinnung in diesen Dimensionen war zu dieser Zeit noch nicht so weit fortgeschritten.
Agneta Lummersby versuchte ihre Gedanken zu ordnen um ihrer Vorstellungskraft Platz zu schaffen. Nur andeutungsweise gelang es ihr eine wirtschaftliche Neuordnung zu skizzieren, die sich langsam, mosaikgleich, vor ihren Augen zusammenfügte. Was sie vor Augen hatte sprengte jegliches Vorstellungsvermögen eines aufgeklärten rational denkenden Wissenschaftlers, der sich in der Regel erst mit diesen Themen auseinandersetzt, wenn er mit vollendeten Tatsachen konfrontiert worden ist.
So war es natürlich auch in ihrem Falle. Keiner im Team hatte sich in aller Konsequenz jemals die Folgen ihres Schaffens näher vor Augen gehalten. Nun da der Status Quo, erreicht war sahen sie sich nicht nur vor neuen technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen umgeben, sondern würden auch gesellschaftliche Veränderungen in unvorstellbaren Dimensionen in Gang setzen.
Dies alles in ein Gedankenkonstrukt einzupassen ließ ihr wenig Spielraum den roten Faden nicht zu verlieren.
Hier erging es ihr nicht besser als Heronimus, der sich mit der gleichen Problematik beschäftigte und dem ebenfalls der Kopf rauchte. Wie ging man mit einer solchen Veränderung am besten um?
Was