Die Villa. Jacques Varicourt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jacques Varicourt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847608004
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irgendwelche kleinen Gemeinheiten austeilen. Auch meine weltbürgerliche Mutter kommentierte, mit leicht vorgeschobener Brust, in ähnlicher Art und Weise wie Melanie; die sich währenddessen, während meine Mutter ihren Vortrag hielt, an der, frisch vom Konditor gelieferten Schwarzwälderkirschtorte labte, und meine Mutter die Ansichten ihrer Tochter verteidigte bzw. noch zusätzlich ergänzte, damit auch dem Letzten an unserem Kaffeetisch klar war: Wie glücklich sich Mutter und Tochter fühlten, dass meine Ex-Frau, samt des Hauses ehemaligen Chauffeurs - Albert, „endlich“ nicht mehr Bestandteil dieser Familie waren. Die Ehemänner von Mutter und Schwester kümmerten sich „nicht“ um derartige Probleme, sie hielten sich wieder in harmlosen Gesprächen auf, so wie eigentlich immer, wenn sie über den großen Teich zu uns herüber kamen. Meine Mutter nahm mich eines Abends, leicht angesäuselt, zur Seite und steckte mir einen Haustürschlüssel zu, es war ein stinknormaler Schlüssel so wie man ihn in aller Welt benutzt, um das Haus zu betreten, nur mit dem feinen Unterschied, dass dieser mit einer Gravur versehen war – einer Adresse in London. Ich sah meine Mutter verdutzt an und fragte sie wörtlich: „Was soll das denn bedeuten?“ „Es ist für den Fall, dass Hitler Krieg macht, deshalb habe ich in London, außerhalb der City, ein kleines Häuschen gekauft.“ „Für mich?“ „Für dich und deine Liebsten, wenn, was Gott verhüten möge, der Ernstfall eintritt.“ Im ersten Moment war ich fassungslos wie bescheuert meine eigene Mutter war, warum sollte Hitler Krieg führen in absehbarer Zeit? Und vor allem gegen wen? Doch meine Mutter bestand darauf, dass ich den Schlüssel immer bei mir tragen sollte. „Dein Name steht bereits an der Tür des Hauses, außerdem wird das Haus von einem meiner Bekannten in Schuss gehalten, ihr müsst auf nichts verzichten, solltet ihr irgendwann einmal dort hinziehen,“ fügte meine Mutter besorgt hinzu. So wie in diesem Moment hatte ich meine Mama noch nicht erlebt, vielleicht wusste sie mehr als wir in Deutschland. Dennoch, mir war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass meine Mutter eventuell doch recht haben könnte, also klinkte ich den Schlüssel an mein Schlüsselbund, zeigte ihr jenes, als Beweis, und schob die fürchterlichen Themen Krieg, Konzentrationslager und das Verunstalten von jüdischen Einrichtungen sowie Geschäften in Deutschland bewusst zur Seite. Weder Dave, Roger und, - Melanie schon mal gar nicht, keiner hatte jemals in den vergangenen Jahren auch nur den geringsten Zweifel an der deutschen Politik geäußert. Roger und Dave gaben sich sehr lässig, sehr entspannt, wenn es sich um „Nazi Deutschland“ drehte, so wie sie sich ausdrückten, also, wenn sie von Deutschland und von Adolf Hitler sprachen, was sie sehr höflich, aber auch mit leisen Andeutungen taten, die nicht zu überhören waren. Es schien, als ob beide überhaupt keine klare Meinung zum Thema Deutschland hätten, aber dem war natürlich nicht so, dennoch vermieden sie es mir gegenüber auf Konfrontationskurs zu gehen. Ab und zu verteilte jeder mal seine Ansicht über den Faschismus, auch über den Faschismus in Italien; natürlich waren Hitler und Mussolini Gegenstand der Weltpolitik, welche besonders von den Emigranten in den USA mit Unbehagen beobachtet wurde, aber dass uns ein Krieg bevorstand, nein, das hätte ich nicht erwartet, ich meine, dass man so von den Deutschen dachte, denn der erste Weltkrieg war noch nicht so lange vorbei, als dass man an einen neuen denken sollte. Selbst so jähzornige und aggressive Zeitgeister wie Ludwig Rösser, hielten eine unmittelbare militärische Auseinandersetzung, ausgehend von Deutschland, für undenkbar. Rösser sagte damals zu mir, als ich ihn auf einen kommenden Krieg ansprach den meine Mutter befürchtete: „So ein Quatsch, und vor allem gegen wen denn? Europas Regierungen bestehen doch nur aus Waschlappen und feigen Demokraten, die sich von irgendwelchen dahergelaufenen Juden herumkommandieren lassen, jedoch, wer sich mit Deutschland anlegt, der hat selber Schuld.“ - Das war die Meinung von Ludwig Rösser, er, der ehemalige Bürgerkriegsveteran, der es ja wissen musste...

      Und dann, mit lauter, fester, sowie kraftvoller Stimme fügte er hinzu: „Es wird überhaupt keine Kriege mehr geben, wenn sie nicht notwendig sind – Heil Hitler.“ Tja, und wie er das so daher sagte, nun, das klang schon fast nach dem Führer selbst, welchen Ludwig Rösser nur allzu gerne einmal, zum Tee, zu sich nach Hause eingeladen hätte, um „ihn“ dann in „seinen“ radikalen Ansichten zu bestärken, schließlich hatten beide im ersten Weltkrieg für „ein und dieselbe“ Sache gekämpft. Doktor Feldermann, seine liebreizende, spröde Gattin Ivonne, Frau Rösser, dann der etwas irre Frank Zaböhl, welcher immer noch in Diensten von Rösser sowie Doktor Feldermann stand, alle glaubten, ich übrigens auch, dass von deutschem Boden aus, nie wieder Krieg entstehen würde. Hitler, und seine Politik waren die Garanten für einen dauerhaften Frieden in Europa und der Welt, da waren wir uns alle einig. Warum meine Mutter so verdüsterte Gedanken mit sich herumtrug? Konnte ich mir nicht erklären, aber sie war anscheinend der amerikanischen und der britischen Propaganda gegen die Deutschen aufgesessen; irgendwie tat sie mir leid, es war wohl das Alter welches sie zu allerlei Befürchtungen veranlasste, so- und nicht anders, sah ich das damals.

      Und nachdem Lukas, von unserem Besuch aus Übersee, zwei Wochen lang verwöhnt und abgeschleckt worden war, sowie einen weiteren Teddybären erhielt, ja, da kam wieder die Zeit des Aufbruchs. Wie schon so oft verließen uns unsere lieben Verwandten - Richtung Venedig, um dort dann, wie immer, eine Ansichtskarte mit freundlichen Grüßen zu versehen, sowie mit einer Marke zu bekleben, damit die Post sie weiter befördern konnte, um dann nach einer Woche endlich im Briefkasten unserer Villa zu landen. Britta fand das ganz zauberhaft und hinreißend und irgendwie auch süß, sie schwärmte von ihrer Schwiegermutter in den höchsten Tönen, besonders seit der Schlüsselübergabe; und auch Melanie war für sie eine Freundin „wie man sie sich nur wünschen kann,“ verkündete sie mir eines Morgens, als die Karte aus Italien uns erreichte, und sie mir die Grüße mehrfach vorgelesen hatte, bis ich sie darum bat, jetzt, bitte, „endlich“ aufzuhören und Britta gehorchte. Britta war dennoch hellauf begeistert, sie wollte auch nach Venedig, sie wollte Italien einmal so erleben wie es auch in Filmen gezeigt wurde - nämlich als die Stadt der Liebenden und der Verzauberten, Britta drängelte und liebkoste mich immer wieder mit der dringenden und immer wiederkehrenden Bitte: Den nächsten Urlaub in Bella Italia zu verbringen, weil des Führers Geliebte – Eva Braun, dort auch die schönsten Wochen des Jahres, unter blauem Himmel genoss, und nicht nur sie allein... In der Tat hatten unsere nationalsozialistischen Führer, von Goebbels bis Hitler, sowie deren Anhang, an Italien einen Narren gefressen, und solche Dinge stärkten die Freundschaft sowie die Bündnistreue zwischen dem germanischen Norden und dem südlichen Italien. Ja, als ich es mir so recht überlegte ob ich denn dem Gedränge meiner Frau nachgeben sollte, da erlag auch ich plötzlich der Vorstellung: an der Adria im blauen Meer zu baden, Spaghetti zu essen, Rotwein zu trinken und die sommerliche Exotik auf mich wirken zu lassen. Es war wohl darüber hinaus auch meine persönliche Sehnsucht nach Abwechslung des teilweise zu grauen Alltags in Hamburg, der manchmal, einem, wie dem anderen glich, und auf das Gemüt drückte. Aus dieser gedanklichen Poetik heraus entschloss ich mich, aufgrund meiner hanseatischen Verwurzelung, mit der ich auch Weltoffenheit und Korrektheit verknüpfte, dem sonnigen und faszinierenden Italien meine Aufwartung zu machen. Und als ich meine Absichten in einem langen Brief meiner Familie in Amerika mitteilte, wurde dieser „Schritt“ – so wie man sich ausdrückte, kurze Zeit später im Antwortbrief, begrüßend und als „richtig“ formuliert, denn gerade Venedig war, durch die regelmäßigen Besuche meiner Mutter und deren Ja-Sagern, fast schon zu einem Fixpunkt geworden.

      Meine Mutter liebte das italienische Europa mehr als das übrige, und wahrscheinlich rührte die Liebe zu dem Land von meinem Vater her, der meine Mutter dort einst, vor ewigen Zeiten, geheiratet hatte. Meine Kindheitserinnerungen waren sehr dünn an Italien, deshalb hielt ich es auch für besser, jetzt, als gestandener Mann, mit einer goldenen Nadel der Partei an der Anzugjacke, auch dort hinzufahren, wo die Zitronen blühen. Und es war, familiär gesehen, somit beschlossene Sache, dass wir den nächsten Sommerurlaub in Italien verbringen würden. Als ich Rösser, an einem bewölkten Samstag, auf der Elbbank sitzen sah und mich zu ihm gesellte, um ihm von meiner Italienreise zu erzählen da sagte er mir nur: „Italien? Na, ja. Ich würde an deiner Stelle auf jeden Fall genügend Medikamente mitnehmen, lass dir von Feldermann so eine Art von Apothekenkoffer zusammen stellen, denn da unten, bei den Makkaroni, ich meine, man weiß ja nie.“ Hier stellte ich mal wieder fest, dass Rösser ein pedantischer Volksdeutscher, durch und durch, war. Andere Völker oder Kulturen waren für ihn einfach nur überflüssige, dreckige Krankheitsherde, auf denen sich bereits die verschiedensten Bakterien tummelten; dass es woanders auch ganz schön sein könnte, nein, diesen Fakt ließ