Sergej lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Im Geiste ging er den nächsten Auftrag durch.
Name: Frank Tabbert
Geschlecht: männlich
Alter: 43 Jahre
Beruf: Sicherheitsmann bei der First National Bank
Familienstand: verheiratet, zwei Kinder (Peter und Justus)
Charakter: Gewohnheitsmensch
Marotten: Blickt ständig auf die Uhr; pingelig, was Termine anging.
Umsetzung des Auftrags:
Tatzeit: 05:00 p.m.
Datum: 2014:03:16
Ziel: Frank Tabbert mit einem Schuss töten (Kopfschuss).
Tatort: direkt vor dem Betreten der Bank
Ausrüstung:
Little Susie (sein Spezialgewehr mit Zielfernrohr/Infrarot und Laserpointer)
Munition: 1 Patrone Hohlmantelgeschoss
Kaliber: 11 mm
Er hatte nie mehr als eine Patrone dabei. Noch nie in seiner Karriere als Profikiller hatte er jemals danebengeschossen. Bekannt war er unter dem Decknamen „Headshot“.
Sergej konnte nicht schlafen und so suchte er mit den Augen den Raum nach einem Fernseher ab, aber Fehlanzeige. Auf dem Nachttisch lag ein Buch. Wie in vielen Hotels Standard, war es auch hier eine Bibel. „Für diesen Quatsch bin ich nicht Sergej geworden. Ich bin Knipser von Beruf. Und ich das gut kann“, dachte er so bei sich. Noch während ihm das durch den Kopf ging, hatte er wieder dieses Gefühl, dass er beobachtet werden würde. Er schaute von Wand zu Wand und schließlich ins Feuer. Alles wirkte normal. Zu seiner Rechten hing ein goldgerahmter Spiegel an der Wand. Darin konnte er eine Ecke des gegenüberstehenden Schrankes sehen. Gerade dieser Schrank an der Wand zu seiner Linken war es, welcher ihm Unbehagen verursachte. Er wirkte so klobig und grobschlächtig. Fast so, als wäre er aus einem Stück gefertigt worden. Sergej winkte schließlich ab, fuhr mit ausgestrecktem Arm hinter sich an die Wand und drückte den Lichtschalter. Augenblicklich wurde der Raum von Dunkelheit geflutet. Einzig das knisternde Kaminfeuer in ungefähr 20 Fuß Entfernung zum Bett tauchte den Raum noch in Lichtfetzen.
Timothy drehte und wälzte sich in der Nacht herum. Obwohl er den Abschluss seines Lebens geschafft hatte mit der Vermietung des Loraine-Anwesens, fühlte er sich nicht wohl. Die Träume erfreuten ihn nicht, im Gegenteil, sie zerrten und rissen an ihm herum. Er musste förmlich strampeln, um der einen oder anderen gefährlichen Situation zu entgehen. Kurz darauf tastete er mit der linken Hand an dem kleinen Nachttisch herum auf der Suche nach dem Lämpchen, was dort stand, aber er fand nichts. Schließlich schob er sich nach vorne zum Bettende, rutschte heraus unter der Bettdecke und stand auf. Im Dunkeln durchschritt er den Raum auf der Suche nach einer Lichtquelle. Da, ein trüber Lichtschein fiel durch das Schlüsselloch. Ihm war zuvor gar nicht aufgefallen, wie einfach die Schlösser hier doch sind. Durch diesen Lichtschein erkannte er endlich, dass er zur falschen Seite des Nachtschränkchens gegriffen hatte.
Ein, zwei, Minuten später drückte er das Licht an und schaute auf die Uhr: 03:43 a. m. „Mein Gott, was für eine grässliche Zeit“, entfuhr es ihm. „Warum nur bin ich wach, ich versteh das gar nicht. Sonst bin ich doch ein Durchschläfer, warum denn heute nicht?“ Der Umstand ließ ihm keine Ruhe. Irgendetwas passte nicht bei dem Vertrag mit dem Russen. Kurz darauf zog er sich an, streifte seinen Mantel über und ging zur Tür, die Treppe hinunter und hinein ins Auto. Er startete den Motor, machte das Licht an und schon fuhr er los. Das Wetter war ungemütlich. Es regnete in Strömen und der Wind heulte. Timothy lenkte das Auto in Richtung Herrenhaus. Die Lichtkegel fraßen sich durch die Dunkelheit und gaben nur sehr wenig Straße dem Sichtfeld seines Blickes frei. Der Wind nahm zu, es wurde stürmisch. Meile um Meile kam er dem Haus näher. Er spürte, wie sich ein Schatten seiner bemächtigte.
Endlich stand er vor dem Tor. Das Haus war von der Straße aus nicht zu erkennen. An der Auffahrt selbst leuchteten ein paar Laternen. Timothy stieg aus, öffnete das Tor, fuhr hindurch und schloss es danach wieder. Langsam glitt sein Wagen die lange Auffahrt zum Haus dahin. Als er es sah, gefror ihm der Blick. Er stoppte seinen Wagen. „Was zur Hölle ist das da oben oberhalb des letzten Fensters?“, fragte er sich. Er konnte es eigentlich genau erkennen, aber sein Verstand spielte ihm einen Streich und so war es verschwommen. Er kniff das linke Auge zu und schaute noch einmal nach oben. Und tatsächlich, da ganz oben auf dem Giebel des Hauses stand eine Frau in einem nassen weißen Kleid. „Um Himmelswillen, Frau Debora!“, rief er hoch. „So tun Sie sich doch nichts an, wir können doch über alles reden!“ Schnell rannte er zum Eingang, sprang herein und durchquerte in Windeseile die untere Etage, spurtete die Treppe hinauf und blieb erst mal stehen. Er prustete, denn der Jüngste war er nicht mehr. Dann rannte er weiter, die nächste Treppe hinauf, den Gang hinunter bis zum Ende, entklappte dort die alte Dachbodentreppe und kletterte wilden Schrittes hinauf. Hier oben herrschte völlige Dunkelheit. Timothy griff in seine Manteltasche und holte sein altes Benzinfeuerzeug hervor, ratschte einmal kurz und schon sah er, wo er war: nicht dort, wo er eigentlich hätte sein müssen. Er stand nicht auf dem Dachboden. „Wie ist das möglich?“, murmelte er in seinen Bart. „Aber ich bin doch definitiv die Leiter zum Boden hochgestiegen. Das kann doch gar nicht sein! Hab ich Halluzinationen? Wie bin ich denn in den Keller gekommen?“ Tatsächlich stand er nämlich im alten Kohlenkeller. In der Ecke lagen aufgetürmt wohl an die 50 Sack Kohlen. Er spürte, wie die Kälte ihn erfasste, ganz so, als würden drei, vier Hände unter seine Kleider greifen und nach der Wärme seines Körpers suchen. Ihn schauderte. Er wollte nur noch raus, weg aus dieser Situation. DA HÖRTE ER ES. Ein tiefes Schnaufen kam von irgendwo hinter ihm. Er wagte es nicht, sich umzudrehen und so blieb er wie angewurzelt stehen. Das Schnaufen kam näher und es schleifte etwas über den Boden, fast so, als würde es einen Klumpfuß haben. Timothy riss die Augen auf. „Bei drei drehst du dich um, egal was da ist, du willst es sehen. Sei stark, los komm“, flüsterte er zu sich selbst. Dann zählte er langsam: „Eins, zwei, drei“ – und zack, drehte er sich um. Aber da war nichts. Nur Dunkelheit, Kälte und die Einsamkeit, die ihn fesselte wie ein dickes Seil. Im Wohnzimmer des Hauses kauerten derweil Debora und Elise dicht aneinander. Irgendetwas stimmte hier überhaupt nicht und das spürten sie beide. Trotz mehrerer Leuchter, des Kaminfeuers und einer kleinen Öllampe war der Raum nahezu dunkel. Beide fühlten sich eingeengt. Die Wände veränderten sich, die Luft wurde stickig, und da geschah es: Eine Stimme ertönte und sprach ganz tief:
„GEHT FREMDE, NIEMAND WILL EUCH HIER! BLEIBT UND ICH WERDE EUCH TÖTEN!“
Dann gewann der Raum wieder an Helligkeit. Aber das bedrückende Gefühl war nach wie vor da. Beide Frauen spannten ihren Bauch an und hielten wieder und wieder den Atem an. Doch es half nichts. Elise sah es zuerst. Die Decke kam zu ihnen herunter. Der Kronleuchter, der inmitten des Raumes hing, war fast zum Greifen nah. Debora schrie laut auf: „AAARRRGGGHHH!!!, lass uns in Ruhe, du Geist!“ Da sagte die Stimme nur:
„GEIST – ICH BIN KEIN GEIST. ICH DULDE KEINE MÖRDER IN MEINEN WÄNDEN!“
Die beiden rannten sofort aus dem Raum. Anschließend den Flur herunter zum Schlafzimmer. Hier hatte es sich Sergej gemütlich gemacht. Jedenfalls soweit die beiden wussten. Ganz so war dem allerdings nicht mehr, als sie den Raum betraten. Sergej hing aufgespießt am Kronleuchter in 15 Fuß Höhe. Sein Kopf war merkwürdig verdreht und die Arme und Beine wackelten, fast so, als wäre er noch am Leben. Es sah schrecklich aus. Die Frauen kreischten nervenzerreißend: »AAARRRGGGHHH, NNNEEEIIINNN, AAAAARRRRRGGGGGHHHHH!!!!!« Als sie im Schlafzimmer standen, meinten sie im Kamin eine Fratze zu erkennen. Plötzlich ertönte ein höhnisches Gelächter: „HAHAHAHAHA, ihr kommt hier nie mehr lebend raus. Ich finde euch!“ Kaum hatten sie das gehört, rannten sie auch schon los, den Flur zurück in Richtung Treppe. Sie wollten nur noch raus aus dem Haus. An der Treppe angekommen, liefen sie wie der Teufel die Stufen hinunter. Im Foyer stand Elise schon an der Tür, doch diese war verschlossen. Da sagte Elise: „Das ist wie in einem Horrorfilm, dass die Tür zu ist.“ – „Und was muss man als Nächstes