Paulo bereist die Seidenstraße (4). HaMuJu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: HaMuJu
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847652465
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Szene als im Basarcafe, es gab Alkohol, es wurde getanzt und es wurde geknutscht, man traute seinen Augen kaum. Arvid kam auf uns zu und hieß uns willkommen. Sofort bot er jedem von uns eine Dose Bier an, er sagte, wir sollten Musikwünsche äußern. Wir gingen zu den CD-Ständern und fanden alles, was bei uns zu Hause auch auf Parties gespielt wurde. Dann kamen auch die anderen aus dem Basarcafe und begrüßten uns. Wir prosteten uns zu und riefen unsere Vornamen, wir riefen Jean-Jacques, Pierre, Steve und Paulo und hörten Arian, Sami, Farid und Amon. Auch die Mädchen nannten ihre Namen, Nina, Kira, Daria, Tara, Samira und Dilara. Natürlich konnten wir uns die Namen nicht sofort alle merken. Dann wurde getanzt, ich tanzte mit Daria und sagte ihr, dass ich Paulo wäre. Sie sah sehr gut aus und lachte mich an, ich lachte zurück, das wäre im Basar undenkbar gewesen. Wir tanzten sogar einen sehr engen Schmuseblues zusammen. Daria rieb ihre Brüste an meinem Oberkörper, wir küssten uns. Die anderen nahmen das zur Kenntnis, schenkten dem aber keine weitere Bedeutung. Als wir zu Ende getanzt hatten, setzten wir uns zusammen und erzählten uns alles Mögliche. Darias Englisch war ganz in Ordnung, wir verstanden uns jedenfalls gut. Steve und die beiden Franzosen unterhielten sich auch prächtig. Die Musik war inzwischen mächtig laut geworden und Daria und ich setzten uns im Raum nach hinten, um uns unterhalten zu können. Wir schauten uns ständig an, als Daria anfing, mich zu streicheln. Wir küssten uns und küssten uns und küssten uns. Gegen Mitternacht erschienen plötzlich zehn Basiji, stellten die Musik leise und konfiszierten den Alkohol. Sie schrieben die Namen aller Partygäste auf, nur Daria und ich, wir hatten uns hinten im Raum hinter einem Schrank versteckt und uns mit einer Decke zugedeckt, wir wurden nicht aufgeschrieben.

      Die Basiji waren alle um die fünfundzwanzig Jahre alt, sie kamen sich unglaublich wichtig vor, man war drauf und dran, ihnen Kontra zu geben, wir hielten uns aber zurück. Wer der Verantwortliche des Festes wäre, wollten sie wissen. Da trat Arvid hervor und fragte, was denn verwerflich daran wäre, eine Party zu feiern. Der Anführer der Basiji, ein stämmiger Bursche mit Vollbart sagte, dass unsere Art von Musik mit dem islamischen Geist nicht vereinbar wäre, Alkohol wäre ohnehin verabscheuenswert und unser freizügiger Umgang mit den Mädchen wäre sexuell verwerflich. Darauf wusste Arvid nichts zu antworten, er gab bereitwillig seinen Namen und seine Heimatadresse preis, er kam aus Qom, der heiligen Stätte der Schia. Als der Anführer der Basiji hörte, dass Arvid aus Qom stammte, sagte er, dass er als Schiit doch erst recht wissen müsste, was er falsch gemacht hätte. Arvid gab klein bei. Man würde seine Eltern in Qom benachrichtigen und ihnen mitteilen, was ihr Sohn in Teheran so triebe. Die Ankündigung machte Arvid sehr betroffen und er schaute zu Boden.

      Er beschloss, mit seiner Schwester Daria am nächsten Tag nach Hause zu fahren, um der Benachrichtigung der Eltern zuvorzukommen. Daria bat mich, doch mitzukommen, sie würde mir Qom zeigen. Ich sagte zu und unterrichtete meine drei Freunde, dass wir uns am nächsten Tag trennen würden. Sie waren traurig, genau wie ich, wünschten mit aber auf meiner langen Reise viel Glück und freuten sich auf ein Wiedersehen in der Heimat.

      Die Party war zu Ende, die Basiji wieder abgezogen und wir fuhren mit dem Taxi zu unserem Hotel. Ich verabredete mich vorher mit Daria und Arvid am Bahnhof. Am nächsten Morgen frühstückte ich zusammen mit meinen drei Freunden, dann brach ich zum Bahnhof auf. Ich wartete eine halbe Stunde in dem Cafe, in dem ich schon bei meiner Ankunft in Teheran gesessen hatte, dann kamen Daria und Arvid. Wir begrüßten uns und schauten auf den Fahrplan. Wir mussten noch eine Stunde warten, bis der Zug nach Qom abfuhr. Daria hatte ein Kopftuch um und einen schlichten Mantel an, der ihr bis über die Knie reichte. Sie sah nicht gerade hässlich aus, aber am Vorabend hatte sie mir besser gefallen.

      Daria bemerkte meine Blicke und sagte, dass sie in Qom alles wieder ablegen würde. Wir gingen wieder ins Cafe zurück, wo wir die Wartezeit verbringen wollten. Arvid begann, von Qom zu erzählen. Qom war, neben Nadschaf im Irak, wichtigstes Zentrum der Schiiten. In Qom befand sich die wichtigste islamische Hochschule des Landes, an der auch Ayatollah Ruhollah Chomeini gelehrt hatte. Unter anderem wäre Ali Chamenei, der Führer der iranischen Republik, sein Schüler gewesen. Nach dem Tode Chomeinis wäre Ali Chamenei zu dessen Nachfolger mit noch größerer Kompetenz gewählt worden, nach seiner Zeit als Ministerpräsident wäre er zum Ayatollah befördert worden. Als solcher hätte er im Iran quasi diktatorische Vollmachten, er stünde sozusagen über dem Gesetz. Seine Macht stützte sich vor allem auf den Wächterrat, der 1980 die Funktion des Revolutionsrates übernommen hatte und in dem zwölf schiitische Geistliche sämtliche politischen Vorgänge überwachten. Parlamentsbeschlüsse würden kontrolliert, Wahlen durch Nichtzulassung reformerischer Kandidaten beeinflusst, politische Opposition würde klein gehalten, die Medien würden einer strengen Zensur unterworfen. Chamenei selbst konnte die Hälfte der Mitglieder des Wächterrates bestimmen, er wurde als Fühungspersönlichkeit des konservativen Establishments im Iran angesehen. Nachdem Muhammad Chatami 1997 zum iranischen Präsidenten gewählt worden war, keimte reformerische Hoffnung auf, die aber nach den Parlamentswahlen von 2005 wieder zerstob, als die Konservativen die Mehrheit der Mandate erhielten. Die offizielle Anrede des Staatsoberhauptes war: His Excellency Ayatollah Sayed Ali Chamenei, Leader of the Islamic Republic of Iran.

      Wenn die nächsten Parlamentswahlen anstünden, kandidierte wieder Chatami, aber gegen Ahmadinedshad. Sein Versuch, die Macht des Wächterrates in der iranischen Verfassung zu begrenzen, scheitere am Widerstand der Geistlichen. Vonseiten der Staatsoberen wurde alles versucht, Chatami von einer Kandidatur abzubringen. So wurde ein Hetzbuch, das ein vertrauter Journalist Ayatollah Chameneis verfasst hatte, in Umlauf gebracht, in dem behauptet wurde, Chatami stünde im Zentrum einer internationalen Verschwörung und wollte aus dem Iran einen säkularisierten Staat machen. In Teheran traten zum dreißigsten Jahrestag der Iranischen Revolution Schlägertrupps mit dem Ruf: „Tötet Chatami!“ auf. Man würde abwarten müssen, welche Ergebnisse die Parlamentswahlen brächten.

      Arvid hatte etwas Warnendes in der Stimme. Die Basiji wären Kinderkrams gegen die offizielle Polizeigewalt. Daria schaute mich ängstlich an, ich sollte auf keinen Fall politisch öffentlich in Erscheinung treten, flehte sie mich an. Dann gingen wir auf den Bahnsteig. Der Zug kam pünktlich und wir stiegen ein, er fuhr über Qom nach Isfahan. Der Zug war gut gefüllt mit Geistlichen, aber auch mit normalen Passagieren. Wir bekamen nach einigem Suchen auch noch Plätze.

      Arvid setzte seine Einschätzung über das politische System im Iran fort. Nach der islamischen Revolution gegen Schah Reza Pahlavi 1979 durch Ayatollah Chomeini wurde Abu Hasan Banisadr Staatspräsident im Iran, er blieb es für eineinhalb Jahre bis zum Jahre 1981, ihm folgten bis in unsere Zeit Mohamed Ali Radascha-i, Sayed Chamenei, Ali Akbar Rafsandschani, Mohamed Chatami und Mahmud Achmadinedschad. Der absolute Machtfaktor im Staate wäre aber Chamenei, er folgte als Schüler Chomeinis in Qom jenem im Amte nach, genoss aber nie den Rückhalt, den jener im Volke hatte. Auch in der Schia-Geistlichkeit erfuhr er nie Chomeinis Achtung. Nachdem Rafsandschani eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt 1997 versagt worden war, kam mit Chatami der große Reformer. Der Wächterrat ließ ihn trotz seiner politischen Vergangenheit zu. Er erhielt siebzig Prozent der Stimmen und schaffte damit einen überwältigenden Wahlerfolg.

      Mit seinem reformerischen Eifer machte sich Chatami sofort Gegner. Mehr und mehr griff der Wächterrat direkt in seine Regierungsgeschäfte ein, er machte sogar verabschiedete Gesetze rückgängig.

      Chatami hatte zwei Amtszeiten und durfte deshalb 2005 nicht noch einmal kandidieren. Sein Nachfolger Achmadinedschad machte innerhalb kürzester Zeit die außenpolitischen Erfolge, die Chatami verbuchen konnte, wieder zunichte. Mitglieder seines Kabinetts waren ehemalige Mitglieder der Revolutionsgarden, Hardliner, Radikalislamisten. Jüngste Kapriolen Ahmadinadschads waren die Leugnung des Holocausts und sein Ausspruch, Israel müsste von der Landkarte verschwinden.

      Ich wollte wissen, warum die Jugend nicht gegen das diktatorische Regime und seine Schergen demonstrierte. Arvid sagte, dass es sehr schwer wäre, in der Öffentlichkeit Protest zu erheben. Der Geheimdienst wäre überall und auch die Basiji würden öffentlichen Protest im Keim ersticken. Es blieb eigentlich nur, die restriktive Politik im Privatraum zu umgehen, wie am Abend zuvor auf der Party. Oder man träfe sich an Orten, die unbeobachtet wären, wie zum Beispiel in der Waschstraße.

      Daria sagte nichts und schaute zum Fenster hinaus.

      Ich enthielt mich weiterer Kommentare.

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