Paulo bereist die Seidenstraße (4). HaMuJu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: HaMuJu
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847652465
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      HaMuJu

      Paulo bereist die Seidenstraße (4)

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       ESSEN

       Istanbul

       Ich setzte mich in einem Waggon ans Fenster und wartete auf die Abfahrt. Der Zug setzte sich pünktlich in Bewegung und schlängelte sich nach Süden immer die Küste entlang. Nach etwa einer Stunde nahm ich einen letzten Blick auf das Marmara-Meer, dann verschwand der Zug im Landesinneren.

       Konya

       Malatya

       Bingöl

       Van

       Teheran

       Qom

       Isfahan

       Yazd

       Semnan

       Emamshar

       Sabzevar

       Soltanabad

       Mashhad

       Sarakh

       Merv

       Bayram Ali

       Buchara

       Sarmakand

       Taschkent

       Impressum neobooks

      ESSEN

      Ich liebte es über alles, mit Frau Aldenhoven unten in der Laube zu sitzen und ihr zuzuhören, wie sie aus ihrer ostpreußischen Heimat erzählte.

      Frau Aldenhoven war eine alte ansehnliche Frau, sie war erfahren und hatte viel zu erzählen. Wie bei alten Frauen üblich hatte sie die langen grauen Haare nach hinten gekämmt und zusammengebunden. Die Haartracht wurde von einem Haarnetz gehalten. Ihre Kleidung war schlicht, hausfrauengemäß, ein Allerweltskittel in undefinierbarer Farbe, bei der ein Rot-Lila überwog. Sie trug Perlonstrümpfe, die sie über den Knien zusammenrollte und Schlappen., die eine Mischung aus Straßenschuh und Pantoffel waren. Frau Aldenhoven setzte zum Lesen eine Brille auf, sie war von stämmiger Figur, ihre Oberarme hatten einen beträchtlichen Umfang und ihre Beine waren durch die Perlonstrümpfe eingeschnürt. Sie hatte ein tief zerfurchtes Gesicht, auch Arme und Beine zeigten Falten. Es ging etwas Ehrwürdiges von ihr aus. Frau Aldenhoven war eine Person, zu der man aufschaute und die man achtete.

      Sie wohnte unten im Haus. Immer, wenn ich zur Haustür hereinkam und Frau Aldenhoven unten im Flur war, grüßte ich sehr höflich und Frau Aldenhoven grüßte dann zurück, auf ihrem alten Gesicht war dann ein Lächeln zu sehen. Von Frau Aldenhoven ging ein Geruch aus, der schwer zu beschreiben war. Für mich war es ein Duft, wenngleich es ein Körpergeruch war. Sie roch aber nicht nach Schweiß und duftete nicht nach Parfum. Für mich verbarg der Duft ein ganzes Leben.

      Der Duft gab etwas von Frau Aldenhovens Innerem frei, etwas, das sie nicht steuerte oder beeinflusste.

      Der Duft war unverkennbar sie, sie war grundehrlich, arbeitsam und mitteilungsbedürftg. Ich liebte sie fast und sie spürte meine Zuneigung. Immer wenn Frau Aldenhoven in der Laube saß, sommertags, saß ich bei ihr. Es gab noch einige andere Erwachsene mit ostpreußischer Vergangenheit, niemand wusste aber seine Lebenserfahrungen so erfolgreich und berührend vorzubringen, wie Frau Aldenhoven. Immer wieder erzählte sie von Gumbinnen, wo sie als Magd auf einem Gutshof gearbeitet hatte, sie ließ nichts auf ihren ehemaligen Gutsherrn kommen, auch dann nicht, wenn er zu Pferde sitzend die Landarbeiter mit der Reitgerte züchtigte.

      Frau Aldenhoven schwelgte so sehr in der alten Zeit, dass sie von den neuen Verhältnissen, die sie umgaben, gar nichts mitbekam. Den Hitler fand sie aber auch nicht gut, der war dumm und konnte dem Landadel nicht das Wasser reichen, schließlich waren die Gutsherren gebildete Menschen. Sie erzählte immer wieder, wie ein Trupp SS-Leute auf ihr Gut kam, um Land für die Reichswehr zu requirieren. Wie da ihr Gutsherr mit denen umgesprungen wäre, das hätte man sehen sollen!Gesenkten Hauptes wären die SS-Leute wieder von dannen gezogen! Frau Aldenhoven hatte ihren Mann nach dem Kriege verloren, er war in russischer Gefangenschaft umgekommen.

      Wir könnten uns ja nicht vorstellen, was es bedeutet hätte, in einem russischen Gefangenenlager untergebracht gewesen zu sein. Bei -30°C hätten die Gefangenen in Steinbrüchen arbeiten müssen, kaum einer hätte die Strapazen überlebt. Wenn Frau Aldenhoven von der alten Zeit sprach, hegte sie keinen Groll, auch nicht gegen die sowjetischen Soldaten, denen sie kurz vor Kriegsende noch in die Hände gefallen wäre. Darüber schwieg sie sich dann aber aus. Sicher war sie, wie tausend andere Frauen auch, von den Soldaten vergewaltigt worden. Sie floh vor der vorrückenden Sowjetarmee nach Westen, bis sie im Ruhrgebiet ankam. Ihr „Ostpreußen“ war das Thema, mit dem sie sich bei jedem Gehör verschaffte. Andere Ostpreußenstämmige nickten immer nur stumm, wenn Frau Aldenhoven erzählte, sie hatten das Gleiche erlebt, ihnen fehlte aber die Fähigkeit, von diesen Dingen mit solcher Warmherzigkeit zu erzählen, wie es nur Frau Aldenhoven konnte. Unvergessen war die Geschichte, wie sie und drei weitere Mägde dreißig Pferde sicher in den Stall brachten, nachdem ein fürchterliches Gewitter aufgezogen war. Ein Hengst war auf sie zugestürzt und warf sie mit seiner Flanke gegen den Weidezaun. Sie nahm einen dicken Knüppel und schlug dem Hengst kräftig vor den Kopf. Daraufhin war er gefügig und trabte zum Stall, die anderen Tiere folgte ihm. Der Gutsherr, der zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem Hof war, dankte es seinen vier Mägden am nächsten Tag, jede durfte einen Tag frei machen, wann es ihr gefiel.

      Sie dankten dem Gutsherrn, den freien Tag hatte Frau Aldenhoven aber nie genommen. Die dreißig Pferde waren kostbare Trakehner, sie wären vor Angst ausgebrochen und hätten sich dabei möglicherweise verletzt. Einmal hatte Frau Aldenhoven Gelegenheit, von Gumbinnen aus mit dem Zug nach Königsberg zu fahren. Immer wieder erzählte sie die Geschichte, wie sie in Königsberg einen Hut gekauft hatte. Sie ging in ein Modegeschäft, trat sehr selbstbewusst auf und kaufte sich einen Hut von der Fensterauslage, die Verkäuferin half ihr beim Anprobieren.