Totenläufer. Mika M. Krüger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mika M. Krüger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738090222
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      Mika M. Krüger

      TOTENLÄUFER

      Auftakt der Reihe Silver Coin 203

      »Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.«

      Benjamin Franklin

      Inhalt

       Worte aus Red-Mon-Stadt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Kapitel 11

       Kapitel 12

       Danksagung

      Das Buch

      Die Autorin

      Ausschnitt aus der Kolumne: »Der Totenläufer, ein Held der Sicherheit«. Entnommen aus der Tageszeitung Red-Mon-Aktuell vom 24.10.2075.

      »[…] Die Mitglieder der REKA bezeichnen den Totenläufer als unmenschlichen Schlächter. Als Monster, das kaltblütig mordet. Doch ist es Mord, wenn wir zur Verteidigung unseres Selbst zur Waffe greifen? Gewiss nicht. Und nichts anderes tut er. Im Namen der Bewohner unserer herrlichen Stadt riskiert er täglich sein Leben, um uns vor der gefährlichsten aller Seuchen zu bewahren: der Lorcakrankheit. Er ist ein einsamer Wolf in der Uniform eines Soldaten, der die Verantwortung für jeden von uns auf den Schultern trägt. Die Stadtverwaltung unterstützt sein Vorgehen und möchte den Bürgern mitteilen: Der Totenläufer ist ein Held und kein Monster. Wir sollten ihm dankbar sein. […]«

      Ausschnitt aus der Rebellenzeitschrift Kalter Sturm, die im Geheimen von der REKA veröffentlicht wird. Artikel vom 25.10.2075

      »[…] Es ist wahr. In der Nacht vom 23. zum 24. Oktober sind nicht nur drei unserer treuesten Anhänger vom so genannten Totenläufer exekutiert worden, sondern mit ihnen fünf Lorca, die sich unter unserem Schutz befanden. Die Gruppe versteckte sich in einer unterirdischen Notunterkunft in Nordend. Bisher ist unklar, wie sie entdeckt werden konnten. Wir betrauern den sinnlosen Tod dieser Menschen. Es ist der schwärzeste Tag in der Geschichte unserer Organisation. Doch wir werden uns von dieser Brutalität nicht abschrecken lassen. Der Totenläufer und die Verwaltung werden für diese Taten zur Rechenschaft gezogen. […]«

      Leserbrief an den Totenläufer vom 25.10.2075

      »Sehr geehrter Totenläufer,

      Sie haben meine Familie gerettet. Durch Ihr Zutun konnten die Lorca, die sich unter unserem Wohnhaus versteckt gehalten haben, ausfindig und unschädlich gemacht werden. Meine Familie musste sich medizinischen Tests unterziehen, aber die Lorcakrankheit konnte nicht diagnostiziert werden. Ihr Scharfsinn, Ihr Einsatz, Ihre Liebe zu Red-Mon-Stadt hat uns gezeigt, welchen Wert Treue hat. Im Namen meiner Frau, meiner Tochter, meinem Sohn und meinen zwei kleinen Enkeln möchten wir uns bei Ihnen bedanken. Wir verneigen uns in tiefer Demut.«

      Antwort des Totenläufers in handschriftlicher Signatur

      Es war mir eine Ehre.

      Die Welt drehte sich rückwärts. Sie waren tot. So tot wie zertretenes Ungeziefer oder Ratten mit Genickbruch. Keiner von ihnen würde erneut aufstehen, den Himmel sehen, das Wasser rauschen hören, atmen. Allein Rina hatte es geschafft, so wie immer.

      Doch dieses Mal war sie nicht unbemerkt entkommen, denn ein SDF-Soldat folgte ihr. Seine vagen Schritte zwischen Regen und Wind glichen der Präsenz eines Raubtiers auf der Jagd. Niemals würde er sie laufen lassen. Dabei konnte sie nicht sterben. Nicht jetzt, wo alle anderen gegangen waren. Sie musste sich an ihre Überlebensformel erinnern: Schau niemals zurück, sprinte in die Zukunft, denn alles andere hat keine Bedeutung.

      Rina rannte über die hohen Metallbrücken des Wohnviertels, die über ein weit verzweigtes Netz aus Straßen und Fußwegen führten und ließ silbergraue Hochhäuser hinter sich. Sie musste zum Stadtrand. Dort gab es ein Versteck, wo sie bis zum Morgengrauen sicher war. Wenn sie schnell genug dorthin gelangte, hatte sie eine Chance.

      Hastig sprang sie die Treppen zum tiefergelegenen Stadtteil herunter, überquerte den Fußgängerweg, sah einen Monorailzug an sich vorbeirauschen, hörte, wie sich ihr Atem gehetzt aus der Lunge presste. Kalter Regen peitschte ihr ins Gesicht und sie glaubte, das Salz des Meeres zu schmecken. Ganz gleich, ob das Meer noch viel zu weit entfernt war.

      Sie zwängte sich an Passanten vorbei, die sich angeregt unterhielten und richtete den Blick starr auf den Boden, um nicht erkannt zu werden. Hoffentlich tat man sie als verwirrte Person ab und ging nicht von einer Bedrohung aus.

      Plötzlich stieß jemand heftig gegen sie. Rina stolperte und prallte gegen eine Frau, an der sie sich festklammern musste. Etwas ging zu Boden und zerbrach scheppernd.

      Vor Schreck entfuhr der Frau ein erstickter Schrei und sie stieß Rina von sich weg.

      »Pass doch auf, wo du hinläufst«, schimpfte sie, doch Rina gab nichts darauf, wandte sich ab und wollte fort. Sie durfte auf keinen Fall stehen bleiben und schon gar nicht diesen Leuten zu nahe kommen. Wenn sie ihr ins Gesicht sahen, dann …

      Jemand packte ihren Arm und riss sie herum. Der Soldat? Nein, er hätte sie erschossen, wäre er schon so dicht bei ihr gewesen.

      »Kannst du nicht die Augen aufmachen?«, fauchte ein Mann in blauem Overall. »Das Monotab wirst du mir ers…«

      Er brach ab, sah sie an, lang und ausdauernd, bis er begriff, was da vor ihm stand. Ihre schneeweiße Haut und die goldenen Fäden in ihrer Iris ließen sich nicht verbergen. Sofort löste er seinen Griff und in seine Miene schlug sich blutrote Panik.

      »Ein Lorca!«, brüllte er, »Sie ist ein Lorca! Und ich habe sie angefasst!« Ungläubige Blicke streiften sie, fühlten sich an wie heißes Metall auf nackter Haut. Einem Sicherheitsrisiko wie ihr auf offener Straße zu begegnen, waren die Stadtbürger nicht gewohnt, denn normalerweise entsorgte die Verwaltung jemanden wie sie. Da gab es keine Ausnahmen.

      Eine Person schrie vor Entsetzen und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Rina. Ihr Atmen wurde unregelmäßig, der Körper bebte. Keine Zeit, sich darauf zu konzentrieren. Augenblicklich wandte sie sich ab, kämpfte sich durch die Menschen, die sich um sie drängten und hörte nicht auf die Worte, die ihr nachgerufen wurden. Sie wusste genau, was die Leute sagten. ›Stirb Lorca, stirb!‹

      Der Soldat war bedrohlich näher gekommen. Trotz schwindender Kraft beschleunigte sie ihren Schritt, passierte die Bogenstraße, rannte an länglichen Wohnkomplexen mit Glasfassade vorbei, schlug Haken, um kein zu leichtes Ziel abzugeben.

      Dann endlich taten sich vor ihr die skeletthaften Neubauten auf, die den Stadtrand ankündigten. Nur noch ein paar Schritte und ihr konnte nichts mehr geschehen. Sie setzte zum Sprint an, nahm all ihre verbliebene Kraft zusammen, um schneller zu sein als ihr Verfolger.

      Am Meer angelangt, blieb sie kurz stehen, sah nach rechts und links und entdeckte den Bootssteg, unter dem sich in der aus Beton gefertigten Stadtplattform ein Ablaufkanal befand. Rasch lief sie dorthin, kroch über den Rand der Stadtgrenze, stieg auf einen Vorsprung, kletterte zur Seite, erreichte den Metallsteg, sah das runde Loch unter