Kreuzfahrt kann sehr tödlich sein. Jan Gillsborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Gillsborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752913637
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am Eingang. So, das war auch getan – in einer dreiviertel Stunde würde er wieder auf dem Schiff sein.

      „Hallo – George!“ Er fuhr zusammen. In der dunklen unbewohnten Straße, die nur spärlich von einer weit entfernten Laterne vor einer langen Mauer etwas Licht erhielt, baute sich ein Schatten vor ihm auf. Seine Hand glitt nach hinten zum Hosenbund, in dem die Glock17 steckte.

      „Michael?“ Er hatte die Stimme gleich erkannt. Sie waren in jungen Jahren einmal enge Freunde gewesen hier in dieser Stadt. Und sie hatten lange und eng genug zusammengearbeitet in der „Firma“, wie sie sie die Agency nannten, und Michael war auch mit an der heißen Sache beteiligt gewesen, um die es hier ging. Die anderen fünf Leute, die mitgemacht hatten, waren alle tot. Unfälle. Krankheiten. Ein Raubüberfall. Er hatte daran gezweifelt, dass es natürliche Todesfälle gewesen waren. Vielleicht hatten die Typen in der Hackordnung über ihnen unnütze Mitwisser aus dem Weg geräumt. Er hatte sich rechtzeitig abgesetzt und in Sicherheit gebracht. Auch Michael war wie im Nichts verschwunden. Jetzt war er plötzlich wieder da. Stark gealtert, so wie George Wilkins auch.

      „Du hast es also aus dem Schließfach geholt und willst das ganz große Geschäft allein machen, nicht wahr?“ fragte der Ankömmling.

      „Ich habe deine alten Quellen und Kontakte durchforstet“, George lächelte. „Auch eine alte Freundin besucht. So wie du. Durch sie bin ich darauf gestoßen. Ich hatte dir vertraut. Aber du hattest es gestohlen, um es für dich allein zu haben. “

      Der Schatten trat näher. Etwas glitzerte in seiner Hand. Eine Messerklinge. „Wo ist es jetzt?“, fragte der andere. „Ich will selbstverständlich ein großes Stück vom Kuchen haben. Schließlich haben wir es damals zu zweit gemacht. Du weißt, dass ich aus dir herausquetschen werde, wo du es versteckt hast.“

      „Warum drohst du mir?“, sagte George sanft. „Wir waren doch früher gute Freunde.“

      „In unserem Beruf gibt es keine Freunde!“, Michaels Silhouette vor dem schwach erleuchteten Hintergrund baute sich zwei Meter vor ihm auf und seine Stimme klang drohend.

      „Das ist allerdings wahr“, gab ihm George Recht und schoss ihm ins linke Auge.

      Der Schatten sackte zusammen, ohne auch nur einen Ton von sich zu geben.

      Einige Minuten überlegte George, was er tun sollte. Einfach abhauen? Schlecht. Jemand würde den Toten finden und die Polizei rufen. Hier in der Nähe seines Verstecks konnte er keine Bullen gebrauchen, die überall herumschnüffeln würden. Vielleicht sogar in der Kapelle.

      Etwa fünfhundert Meter entfernt, dort wo die Laterne stand, befand sich ein Baugrundstück. Er hatte es bemerkt, als er vorhin dort vorbeigekommen war. Verschalungen ragten in die Höhe. Die Arbeiter würden gegen Sechs oder Sieben anfangen. Wenn er den Toten bis dorthin schleppen konnte und in eine der Gruben warf, würde der am frühen Morgen mit einbetoniert werden, ohne dass es jemand bemerkte.

      Ich bin zu alt für so eine Schinderei, dachte George, als er sich mit dem Toten auf der Schulter zu diesem Grundstück hinüber quälte. Seine Arme schmerzten und sein Herz schlug heftig angesichts der Anstrengung. Doch er schaffte es, auf das nicht abgesperrte Areal zu gelangen und den Körper des Erschossenen über eine der hohen Verschalungen hinab in ein tiefes Loch zu werfen. Schwer atmend verharrte er danach. Er schnappte heftig nach Luft. Dann warf er die Glock17 hinterher, nachdem er mit einem Taschentuch und dem Desinfektionsmittel aus seinem Rucksack alle Fingerabdrücke beseitigt hatte. Aufs Schiff konnte er die Waffe ja doch nicht mitnehmen wegen der Sicherheitskontrollen im Cruise Terminal.

      Minuten später war er auf dem Weg zurück zum Kreuzfahrtschiff. Sein Herz schlug immer noch wild und unregelmäßig. Er bekam kaum noch Luft. Im linken Arm verspürte er ein unangenehmes schmerzliches Ziehen, das bis in seine Finger reichte. Für Sekunden verschwamm ihm alles vor den Augen.

      Er fühlte sich auch nicht viel besser, als er endlich wieder an Bord der „Bella Auranta“ angekommen war.

      Vielleicht sollte ich etwas zu mir nehmen, dachte er. Dann geht es mir wieder besser. Einen kleinen Snack, eine Cola. Ja, das würde helfen. Es war ein bisschen viel gewesen für einen alten Mann um die Siebzig. Aber er wollte noch mindestens zwanzig Jahre leben und zwar in guten finanziellen Verhältnissen. Dazu musste er die „Ware“ nur noch verkaufen. Ihm war egal, wer sie bekam – der Meistbietende würde den Zuschlag bekommen. Die Amerikaner. Oder die Russen. Für beide Seiten war das brisante Material hochinteressant.

      Auf der „Bella Auranta“ gab es auf Deck 5 ein kleines Buffet „24 h“, das rund um die Uhr geöffnet hatte. George beschloss, nicht sofort in seine Kabine 9272 zu gehen, sondern zuvor noch das Restaurant zu besuchen. Es war nicht sehr voll, aber acht schlaflose Passagiere hatten sich trotz der späten oder besser: frühen Stunde hier niedergelassen, um sich etwas vom Tresen zu holen.

      George versuchte tief Luft zu holen, aber das klappte nicht. Er hatte das Gefühl, dass sich eine Schraubzwinge um seinen Brustkorb zwängte und auch sein Magen nicht in Ordnung war. Deshalb entschied er sich, zuerst eine Schüssel Hühnerbrühe zu sich zu nehmen – hinterher konnte es dann noch etwas Deftiges sein.

      Er setzte sich an einen Tisch im Hintergrund. Schob die Schüssel zu sich heran. Griff zum Löffel.

      In diesem Augenblick schoss ein so heftiger Schmerz durch seine Brust, wie er ihn noch nie empfunden hatte. Es zerriss ihn fast. Er stöhnte auf. Die Tischplatte schien ihm plötzlich entgegenzukommen.

      George fiel mit dem Gesicht so heftig in die heiße Hühnerbrühe, dass es nur so spritzte.

      Es machte ihm nicht aus. Denn der Löffel fiel ihm aus der Hand.

      Endgültig!

      1. Drei Wochen später

      Sighard Höhne wurde an einem trüben Tag im Mai begraben. Wir waren zwölf Studienkameraden von ihm, die auf dem kleinen Friedhof im Norden Berlins zusammengekommen waren, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Ehrlich gesagt, gehe ich immer weniger gern zu Begräbnissen, je älter ich werde. Die Totengräber sehen einen stets so eindringlich an, als sei man bald der Nächste, und die meisten Trauergäste taxieren sich auch schon untereinander, wer denn bald an der Reihe sein könnte.

      Unser Freund Sighard war auf unkonventionelle Art und Weise aus dem Leben gegangen. Der Tod, ein humoriger Geselle, hatte ihn in der verkehrsarmen Zeit in der Berliner S-Bahn zwischen Pankow und Schönefeld zu sich genommen – auf stille Weise, völlig unbemerkt. Ein Herzschlag, und wie der Notarzt später meinte: ein schöner Tod. Niemand von den wenigen Fahrgästen, die zu dieser Zeit unterwegs waren, hatte davon etwas bemerkt und sich daran gestört, dass Sighard mit geschlossenen Augen auf einem Ecksitz des Wagens vor sich hin ruhte. Da macht einer ein Nickerchen, werden die meisten, die ihn überhaupt gesehen hatten, gedacht haben. Sighards Leichnam musste etwas zwei-, dreimal die ganze lange Strecke hin und hergefahren sein, ehe zwei Fahrkartenkontrolleure am Ostkreuz zustiegen. Um Sighard aus seinem tiefen Schlaf zu wecken, damit er ihnen sein Ticket zeigen könne, rüttelte ihn einer der Kontrolleure an der Schulter. „Aufwachen, guter Mann“, sagte er freundlich. Da fiel Sighard zur Seite und gleich darauf vom Sitz.

      Seine etwas dominante Frau, unter der Sighard zu Lebzeiten arg gelitten hatte, setzte zwei Wochen später eine Todesanzeige in die „Berliner Zeitung“, die mit der treffenden Zeile „Erlöst!“ begann. So erfuhren wir von seinem Hinscheiden, telefonierten miteinander, und wer von seinen Studienkameraden in Berlin wohnte, kam zu Trauerfeier und Begräbnis auf den Friedhof, um von unserem Freund Abschied zu nehmen. Ich will nicht auf die Grabrede eingehen, die ein professioneller Trauerredner hielt – bekanntlich wird bei Begräbnissen, was die Toten betrifft, unheimlich gelogen. Hier wurde Sighard als ein Muster von Mensch dargestellt, als engelsgleiche Gestalt, als bienenfleißiger Mensch und stets treuer Ehemann. Von seinen heimlichen Affären und seiner Liebe zum Alkohol sagte der Redner nichts und es dröhnte auch keine Stimme vom Himmel, als er die wundervolle harmonische Ehe pries, über die sich Sighard uns gegenüber bei den regelmäßigen Studententreffen jämmerlich beklagt hatte.

      Als Lied zum Abschluss der Trauerfeier hatte